US-Präsidenten - Mit der Lizenz zum Dekret

Donald Trump hat gleich in der ersten Woche seiner Amtszeit eine Reihe von Dekreten erlassen und damit die Albträume seiner Kritiker wahr gemacht. Aber der Fehler liegt im System, das diese Art zu regieren erst möglich macht

Auch Barack Obama hat in seiner Amtszeit 277 Dekrete erlassen / picture alliance
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Neu ist das neue Neu – das gilt nicht nur in der Mode, sondern auch wenn US-Präsidenten zum ersten Mal an die Macht kommen. Franklin Delano Roosevelt sprach von dem „New Deal“, John F. Kennedy von der „New Frontier“ – der „neuen Grenze“. Der „New Deal“ stand für eine Reihe von Wirtschafts- und Sozialreformen, die Roosevelt nach der Weltwirtschaftskrise 1929 auf den Weg brachte und mit denen es gelang, den Menschen wieder Mut zu machen. Kennedys „neue Grenze“ lieferte die Inspiration für Investitionen in den technischen Fortschritt, die den Weg für die ersten Menschen auf dem Mond bereiteten. Donald Trump sprach nun in seiner Rede zur Amtseinführung von einem „new decree“, einer neuen Verordnung. Was sollen wir davon halten?

Nach der US-amerikanischen Verfassung soll der Präsident eigentlich nicht nach Verordnungen regieren, sondern innerhalb des Mächtegleichgewichts, der „Balance of Power“ zwischen Repräsentantenhaus, Senat und Oberstem Gerichtshof.

Trump setzt seinen Willen durch

Trump machte schon früh klar, dass ihn die Standpunkte anderer kaum interessieren. In seiner Rede nach der Wahl zum Kandidaten der Republikaner hatte er gesagt: „Niemand kennt das System besser als ich, das ist der Grund, dass ich allein es reparieren kann.“ Während seiner Kampagne sagte er, dass er besser als die Generäle wüsste, wie man den sogenannten Islamischen Staat besiegen könnte. Seit seiner Amtseinführung besteht er darauf, dass drei bis vier Millionen Wähler illegal abgestimmt hätten, auch wenn die Offiziellen aller 50 Staaten ihn widerlegt haben. Während der ersten Tage seiner Amtszeit, sagte seine führende Beraterin Kellyanne Conway, dass Trump seine Schlussfolgerungen aus „alternativen Fakten“ zöge. Sein Pressesprecher fand, dass ein Präsident das Recht hätte, den Fakten zu widersprechen.

Kein Wunder also, dass er schon in der ersten Woche im Amt so viele Dekrete unterzeichnete, dass seinem präsidialen Füllfederhalter öfter die Tinte ausgegangen sein dürfte. Noch am Tag seiner Amtseinführung hebelte er Obamacare, die Gesundheitsreform seines Vorgängers, praktisch aus. Am Montag strich er Organisationen, die Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen unterstützen, die Mittel und kündigte das Freihandelsabkommen Trans-Pacific Partnership (TPP) auf. Dienstag ordnete er die Fortsetzung des Baus zweier umstrittener Pipelines an, von denen eine durch ein Reservat von Eingeborenen laufen wird. Mittwoch wies er Städte wie Los Angeles, Chicago und San Francisco an, härter gegen illegale Einwanderer vorzugehen, und leitete erste Schritte zum Bau einer Mauer zu Mexiko ein. Donnerstag folgte die Unterzeichnung eines Dekrets, um die legale Einreise von Geflüchteten aus Krisenregionen, vor allem aus Syrien, vorübergehend auszusetzen. Manche Experten haben vorausgesagt, dass das Amt des Präsidenten ihn zähmen würde, aber Trump denkt offenbar gar nicht daran. Im Gegenteil: Er scheint möglichst schnell die schlimmsten Befürchtungen seiner Gegner bestätigen zu wollen.

Per Dekret great again?

Was passiert da gerade? Haben wir es mit einem Despoten an der Macht des mächtigsten Landes der Welt zu tun, der sein Amt genauso führt wie seine Geschäfte – ohne Rücksicht auf Verluste oder Gesetze?

Nun kann man jeder einzelnen Maßnahme der ersten Trump-Woche mit sehr guten Gründen widersprechen. Es ist höchst zweifelhaft, dass sie helfen werden, Amerika wieder „great“ zu machen, was immer auch Trump unter diesem Slogan versteht. Man muss aber fairerweise festhalten: Was er macht, hat seit George Washington jeder Präsident der Vereinigten Staaten getan.

Sie haben präsidiale Dekrete erlassen und sich dabei auf die amerikanische Verfassung berufen, obwohl weder in der 1788 in Kraft getretenen Verfassung, noch in den 27 Verfassungszusätzen dieses Machtmittel des Präsidenten auch nur erwähnt ist. Aber es ist eben auch nicht explizit verboten. Denn der Präsident ist nun einmal der Chef der Exekutive, und was er bestimmt, ist für alle Beamten des Staates bindend.

Erlass mit kurzer Halbwertszeit

Um die Verwirrung noch zu vergrößern, haben die Dekrete verschiedene Namen und einen unterschiedlichen Rang. Eine „Presidential Proclamation", eine Präsidiale Erklärung, hat meist nicht mehr als symbolische Bedeutung. Eine vom Präsidenten erlassene „Executive Order“, also ein Befehl, hat Gesetzesrang. Sie bedarf nicht der Zustimmung der Legislative, also des Kongresses. Wie alle Gesetze kann die „Executive Order“ gerichtlich überprüft werden. Sie darf nicht gegen gültige Gesetze oder die Verfassung verstoßen. Der Kongress kann „Executive Orders“ nicht aussetzen oder ungültig machen. Er kann jedoch versuchen, Gesetze zu erlassen, die ein präsidentielles Dekret abändern.

Doch auch hier kann der Präsident wieder eingreifen: Mit seinem Veto kann er jedes Gesetz stoppen. Um das Veto des Präsidenten aufzuheben, sind jeweils Zweidrittelmehrheiten in beiden Kongresskammern notwendig, also sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus. Solche Mehrheiten sind selten, weshalb die meisten „Executive Orders“ bis zum Ende der Amtszeit des jeweiligen Präsidenten Bestand haben. In der Praxis kann sie erst der nachfolgende Präsident rückgängig machen, wenn er nicht mit ihnen einverstanden ist.

Der Fehler liegt im System

So kommt es, dass die größten Kritiker der präsidialen Dekrete oft zu den eifrigsten Nutzern werden, sobald sie das Amt des Präsidenten antreten. Barack Obama ging seinen Vorgänger George Bush Junior oft scharf an, weil dieser das Amt „missbraucht“ habe. Als Präsident unterzeichnete Obama dann 277 „Executive Orders“ und lag nur knapp hinter Bush Junior, der 299 Mal unterschrieb. Rekordhalter ist übrigens Roosevelt mit 3.721 Dekreten. Aber er hatte auch zwölf Jahre Zeit.

Wer also gegen das Regieren per Dekret ist, wofür es gute Gründe gibt, sollte seine Kritik nicht an der Person oder an den Maßnahmen festmachen, die derjenige in Gang bringt. Das Problem ist das ungenaue Rechtssystem der USA. Wir werden Trump noch oft mit dem Füllfederhalter in der Hand sehen – genauso wie jeden seiner Nachfolger.

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