Trump ohne Social Media - Twitter zieht den Stecker

Nach den Ausschreitungen in Washington haben zahlreiche Social Media-Plattformen dem noch amtierenden US-Präsidenten den Account gesperrt. Was gut ist für den sozialen Frieden, das kann sich langfristig als Gefahr für die Demokratie erweisen.

Zum Zusehen verbannt: Trump twittert nicht mehr / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Längst ist es ein Spiel um die Macht. Tech-Riesen wie Facebook, Twitter oder Google sind mittlerweile derart gigantisch angewachsen, dass sie einen Vergleich mit Staaten und Regierungen nicht mehr scheuen müssen. Beispiel Facebook: Mit einem Umsatz von 70,7 Milliarden Dollar im Jahr 2019 reicht der Konzern aus Menko Park, Kalifornien fast schon an das Bruttoinlandsprodukt von Äthiopien heran (beim Konkurrenten Google/Alphabet ist der Umsatz übrigens längst doppelt so hoch).

Die Follower, die der globale IT-Riese, der 2004 unter dem noch etwas holprig klingenden Namen TheFacebook gestartet war, mittlerweile auf der ganzen Welt einsammeln kann, summieren sich zu einer Gesamtzahl, die einem Viertel der Erdbevölkerung entspricht. Mehr Macht geht nicht. Konkurrent Twitter etwa kann da nur neidvoll staunen. Hier sind es lediglich 26 Millionen User, die die Plattform des Kommunikationsriesen um Softwareentwickler Jack Dorsey täglich mit neuen Tweets und Nachrichten bestücken.

Doch trotz dieser News-Flut, genau genommen sind Twitter und Facebook gar keine reinen Nachrichtendienste. Anders als etwa klassische Zeitungsverlage bieten sie ein Rundumpaket aus Kommunikation, Information, Konsum, Kontrolle und sozialen Beziehungen an. Bits und Bytes also gleichen nicht einfach einem Bogen Papier. Seitdem Facebook darüber nachdenkt, eine eigene Krypto-Währung namens Diem einzuführen, attestieren Kritiker dem Konzern längst ein Streben nach Eigenstaatlichkeit. So wird Social Media Stück für Stück zum „Staat im Staat“, zum Player, der über jeden einzelnen Bürger bereits vor Jahre weit mehr Wissen einsammeln konnte, als jede Regierung, jede Polizeibehörde, jedes Einwohnermeldeamt, jede wissenschaftliche Institution zusammen.

Eine Notfallsituation

Es hat daher mehr als ein „Geschmäckle“, wenn nach dem Sturm auf das Kapitol am vergangenen Mittwoch nahezu alle Social Media-Plattformen dazu übergegangen sind, die Accounts von Donald Trump, bis zum 20. Januar immerhin noch 45. Präsident der letzten verbliebenen Supermacht, zu sperren oder zumindest zeitweise abzuschalten. Der Rauch über der verheißungsvollen „City upon a Hill“ hatte sich gerade erst verzogen, da machten sich Facebook, Instagram, Twitter und Snapchat daran, die wohl stärkste Kommunikationswaffe Trumps für eine begrenzte Zeit lahmzulegen.

YouTube und Facebook gingen sogar dazu über, ein zuvor gepostetes Video des Präsidenten zu löschen. Es sei „eine Notfallsituation“, rechtfertigte sich ein führender Facebook-Mitarbeiter später über die Kommunikationskanäle des Konkurrenten Twitter. „Wir haben das Video entfernt, weil wir der Meinung sind, dass es das Risiko anhaltender Gewalt eher fördert als verringert.“

Für nicht wenige Bürger diesseits wie jenseits des Atlantiks kam dieser Schritt einer Erlösung gleich. Die Hassbotschaften und die Anstachelungen zur offenen Gewalt auf Trumps Kommunikationskanälen waren in den letzten Tagen derart unerträglich geworden, dass man im Silicon Valley vielleicht wirklich keine andere Wahl mehr hatte. Wer kennt das nicht: Ein unverbesserlicher Verwandter, der derart am Telefon nervt, dass man ihm am liebsten den Hörer auflegen würde? Ein ideologischer Seelenverkäufer mitten auf der eigenen Türschwelle, dem man die Haustür nur allzu gerne vor der Nase zuknallen würde? Ja, Trumps Lügen und Hasstiraden gegenüber harten Fakten und gegenüber dem politischen Gegner waren längst nicht mehr nur wider die guten Sitten, sie waren - die gewaltsamen Exzesse im Kapitol belegen es –brandgefährlich. 

Kommunikative Kastration

Vielleicht musste also tatsächlich etwas geschehen; zumal es bei der jetzt durchgeführten kommunikativen Kastration des Twitter-süchtigen Präsidenten nicht um Gesprächsverweigerung oder Diskursabbruch geht - niemand hat die angeblich so sozialen Neuen Meiden derart als kommunikative Einbahnstraße zu nutzen gewusst, wie Donald Trump aka @realDonaldTrump selbst. Doch hinter der angeblichen Notwehrlage der großen Tech-Konzerne könnte schon jetzt ein neuer, ein weit gefährlicherer Konflikt aufschimmern: Der Wettstreit zwischen den alten staatlichen Institutionen und den neuen, nach immer mehr Macht strebenden Online-Monopolisten, zwischen Leviathan und digitalem Prometheus. 

In der Debatte um die Abschaltung von Trumps Denk- und Sprachverstärkern jedenfalls generieren sich Facebook, Twitter und Co gerade wie jener ratlose Zauberlehrling, der die Geister, die er eben noch eigenmächtig gerufen hatte, nun nicht mehr los wird. Höchste Zeit also, dass man dem ungebrochenen Machtstreben abgewählter Präsidenten sowie der Hybris niemals gewählter IT-Monopolisten endlich einen Riegel vorschiebt. Dafür braucht es keine Algorithmen und Ausschlüsse, dafür braucht es eine starke, eine selbstbewusste Demokratie.

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