Türkische Intervention in Liyben - Die Türkei will Regionalmacht sein

Wie kommt es, dass die Türkei militärisch in Libyen intervenieren will und kann? Es wird immer deutlicher: Der Rückzug der USA aus dem Nahen Osten bringt nicht nur Russland auf den Plan. Immer häufiger versuchen Regionalmächte an Einfluss zu gewinnen

Verbündet und verbrüdert: Recep Tayyip Erdoğan und der libyische Premierminister Fayez al-Sarraj / picture alliance
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Dr. Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin u.a. zum politischen Islam und zum Terrorismus.

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Noch ist unklar, wie genau die türkische Intervention in Libyen aussehen wird, die vom türkischen Parlament am 2. Januar 2020 genehmigt wurde. Bisher ist nur bekannt, dass erste syrische Söldnertruppen schon in Libyen angekommen sind und weitere für die Verlegung vorbereitet werden. Wie viele Bewaffnete insgesamt geschickt werden sollen, ob auch türkische Truppen folgen und ein Einsatz der Luftwaffe geplant ist, dürfte sich erst in den nächsten Tagen und Wochen klären.

Die Entscheidung des Präsidenten Erdoğan darf nicht überraschen, denn schon im Sommer 2019 hatte die Türkei Militärberater, Waffen und Kampfdrohnen geschickt, um die international anerkannte libysche Einheitsregierung von Ministerpräsident Fayiz as-Sarraj zu unterstützen. Dies war damals schon dringend notwendig, wollte man wie die Türkei einen Sieg des Kriegsfürsten Khalifa Haftar vermeiden, der von seinen Hochburgen im Osten des Landes eine groß angelegte Offensive auf die Hauptstadt Tripolis gestartet hatte.

Die Türkei will Regionalmacht sein

Für die türkische Intervention werden nun viele Gründe genannt. Die einen verweisen auf die Wirtschaftsabkommen, die die Türkei mit der Einheitsregierung geschlossen hat und die keinen Bestand haben dürften, sollten Haftars Truppen in Tripolis einmarschieren. Insbesondere Erdgas soll eine Rolle spielen. Andere nennen innenpolitische Gründe, weil Präsident Erdogan schon häufiger die Neigung gezeigt hat, nationalistische Türken durch eine expansive Außenpolitik für sich einzunehmen.

Vorgezogene Parlamentswahlen könnten tatsächlich noch dieses Jahr stattfinden und eine starke türkische Präsenz in Libyen, das dem Osmanischen Reich erst 1911 von den Italienern abgenommen wurde, könnte der schwächelnden AK-Partei helfen. Alle diese Gründe können eine Rolle spielen, doch der wichtigste Grund für die Intervention in Libyen ist, dass die Türkei unter Präsident Erdoğan eine Regionalmacht im Nahen Osten sein will.

Islamisten als politische Kräfte der Zukunft

Für ihre Regionalpolitik hat die türkische Regierung seit 2011 eine Strategie, die sie seitdem mit wenigen Abweichungen verfolgt. Sie entschied sich nämlich schon während der Wirren des Arabischen Frühlings, islamistische Kräfte zu unterstützen. Dies galt für die Muslimbruderschaft in Ägypten, die an-Nahda-Partei in Tunesien, aber auch für islamistische Aufständische unterschiedlicher Couleur in Syrien und Milizen in Libyen.

Ideologische Affinität mag eine wichtige Rolle gespielt haben, denn Präsident Erdogan und seine AK-Partei entstammen dem türkischen Ableger der Muslimbruderschaft. Auf jeden Fall identifizierten Erdogan und seine Gefolgsleute diese Islamisten als die politischen Kräfte der Zukunft in der arabischen Welt und suchten dadurch, dass sie sie nach Kräften unterstützten, Einfluss auf die Ereignisse in Ägypten, Tunesien, Syrien und anderswo zu gewinnen.

Türkei und Katar auf pro-islamistischer Linie

Bemerkenswert ist, dass Ankara diese Politik auch dann weiter verfolgte, als sich Misserfolge einstellten. In Syrien waren es Russland und Iran, die einen Sturz des Assad-Regimes durch die vor allem von der Türkei unterstützten und ab 2013 mehrheitlich islamistischen Aufständischen verhinderten. In Ägypten wurde die gewählte Regierung der Muslimbrüder im Juli 2013 vom Militär unter der Führung von General Abd al-Fattah as-Sisi gestürzt und die Organisation anschließend gnadenlos verfolgt. Unterstützt wurden die Putschisten durch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die die Gegenrevolution in der arabischen Welt anführten.

Außer der Türkei blieb nur noch das kleine Golfemirat Katar auf der pro-islamistischen Linie, so dass die beiden Staaten ein kleines regionalpolitisches Lager bildeten. Gemeinsam stellten sich Ankara und Doha in Libyen hinter die Einheitsregierung, weil viele der von ihnen in den Vorjahren unterstützten islamistischen Milizen mittlerweile unter deren Dach operieren. Haftar hingegen wurde in erster Linie von den VAE und Ägypten und später auch von Russland unterstützt.

Rückzug der USA aus dem Nahen Osten

Dass die Türkei überhaupt regionalpolitische Ambitionen entwickeln konnte, geht auf zwei Entwicklungen zurück. Die eine war die Instabilität in der arabischen Welt ab 2011, die auch schwächeren Mächten die Gelegenheit bot zu intervenieren. Die zweite war der schleichende Rückzug der USA aus dem Nahen Osten. In der amerikanischen Politik hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass die Kriege im Irak und in Afghanistan die USA davon abgehalten haben, den großen strategischen Gegnern wie vor allem China die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Das ist einer der wenigen Punkte, in denen sich die Obama- und die Trump-Administration einig sind, und das Ergebnis ist ein Rückzug der USA aus dem Nahen Osten, der, obwohl sich weiterhin zehntausende Truppenangehörige in der Region befinden, immer deutlicher zu beobachten ist.

Schon das offenkundige Desinteresse Obamas am Schicksal des Despoten Mubarak und seine Abneigung gegen die Saudis trieb Riad und Abu Dhabi zu einer viel eigenständigeren Regionalpolitik. Die Trump-Administration schwankt zwar noch zwischen dem Wunsch, Wahlversprechen umzusetzen und Truppen zurückzuziehen und einer antiiranischen Politik, doch gab sie von Beginn an jegliche Bemühungen auf, in Libyen Einfluss zu nehmen.

Russland nicht zu sehr reizen

Dies erlaubt es Regionalmächten wie der Türkei, eine eigene Politik in weit entfernten Ländern zu führen. Doch treten dort auch andere Staaten auf, die bemüht sind, die Schwäche der USA zu nutzen. In Libyen sind dies vor allem die VAE, Ägypten und Russland. Dabei dürfte die russische Unterstützung für Haftar zum größten Problem für die Türkei werden, denn Moskau zeigte Ankara schon in Syrien die Grenzen seines Einflusses auf, zuletzt im Oktober, als es verhinderte, dass die Türkei die angestrebte große „Sicherheitszone“ entlang der gesamten syrisch-türkischen Grenze einrichtete.

Schickt Erdogan tatsächlich Truppen nach Libyen, werden diese auf russische Söldner treffen, die in den zurückliegenden Monaten die Truppen Haftars verstärkt haben. Die militärischen Optionen der Türkei sind deshalb beschränkt, denn sie will keine Eskalation des Konflikts mit dem übermächtigen Russland. Wenn es aber wieder zu Verhandlungen im Libyen-Konflikt kommen wird, hat die Türkei einen Platz am Tisch jetzt schon fast sicher. Das könnte auch das Ziel im Hintergrund sein.

Für die Weltpolitik ist die geplante Libyen-Intervention ein erneutes Lehrstück dazu, was passiert, wenn die USA sich aus der Weltpolitik zurückziehen. Großmächte wie Russland und Regionalmächte wie die Türkei, Saudi-Arabien oder Iran versuchen das entstehende Vakuum zu eigenen Zwecken zu nutzen – und das Ergebnis ist für die betroffenen Länder und Menschen meist katastrophal. Es spricht einiges dafür, dass sich an dieser Diagnose für den Nahen Osten in den nächsten Jahren nichts ändern wird. 

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