Tony Blair - Der letzte britische Europäer

Die EU-Staatschefs haben die Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen gebilligt. Der ehemalige Premier Tony Blair hat energisch gegen den Austritt Großbritanniens aus der EU gekämpft. Beim Frühstück erklärt er, wie es nun mit seinem Land weitergehen soll

Will die Hoffnung auf einen Exit vom Brexit nicht aufgeben: Tony Blair / picture alliance
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Woran denkt Tony Blair als Erstes, wenn er gefragt wird, was zwanzig Jahre nach seinem Regierungsantritt von seiner Arbeit geblieben ist? „Ich sehe natürlich älter aus“, sagt der ehemalige britische Premierminister, der in diesen Tagen seinen 64. Geburtstag feiert. Dann aber wird er gleich ernst: „Ich habe immer geglaubt, dass Großbritannien eine große Rolle in Europa spielen soll, deshalb ist der Brexit für mich eine sehr traurige Sache.“

Tony Blair hat ein paar Journalisten zum Frühstück geladen. Serviert wird kein „Full English Breakfast“ mit Rührei und gebackenen Bohnen, es gibt Croissants. Blair ist überzeugter Pro-Europäer, eine Rarität unter den Briten. In seiner Zeit als britischer Regierungschef von 1997 bis 2007 forcierte er die Osterweiterung der EU, unterzeichnete 1998 das Karfreitags-Abkommen in Nordirland und folgte US-Präsident George W. Bush 2003 in den Irak-Krieg.

In der Innenpolitik setzte er auf Reformen und räumte in der Labour-Partei mit alten linken Dogmen auf. Der charismatische Blair riss damals nicht nur die Briten mit, sein „dritter Weg“ wurde auch auf dem europäischen Kontinent gefeiert. Die Trennung zwischen kommunistischem Osten und kapitalistischen Westen wurde in seiner Regierungszeit endgültig Geschichte.

„Wir brauchen Europa und die Europäer“

Heute muss er zusehen, wie seine Nachfolgerin Theresa May die Briten aus Europa herausführt. May will nicht bloß die EU verlassen, sie will auch die Mitgliedschaft im Europäischen Binnenmarkt und der Europäischen Zollunion aufgeben. „Den Binnenmarkt zu verlassen, ist per definitionem ein harter Brexit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir ein Freihandelsabkommen aushandeln können, das uns die gleichen Vorteile wie die Mitgliedschaft bringt“, sagt Blair.

Dass May all dies in Kauf nimmt, um die Einwanderung aus der EU zu beschränken, hält Blair für bedauerlich: „Wir können die EU-Einwanderer natürlich stoppen, doch das wird unsere Wirtschaft schädigen. Die Europäer, die wegen eines Jobangebots kommen, die brauchen wir. Die europäischen Studenten in unseren Universitäten? Die wollen wir auch. Und die Beerenpflücker, nehmen die den Briten die Arbeit weg? Nein, denn die Briten bewerben sich gar nicht für diese Jobs.“

Der Brexit bedroht unseren Frieden

Seine Kritiker geben ihm einen Teil der Schuld für die Austrittswut der Briten. Blair hatte als Regierungschef – anders als seine deutschen und österreichischen Kollegen – darauf verzichtet, für die neuen osteuropäischen Mitglieder im Jahre 2004 eine Übergangsfrist bei der Personenfreizügigkeit zu verhängen. Eine Million Polen kamen damals auf die britischen Inseln. Viele Briten haben sich davon bis heute nicht erholt. „Die meisten Europäer kamen viel später“, verteidigt sich Blair. Was ihn besonders schmerzt, ist, dass die beiden wichtigsten Errungenschaften der EU heute in Großbritannien so negativ gesehen werden: der gemeinsame Markt und die Osterweiterung. „In dieser Phase des wiedererwachenden russischen Nationalismus – wie stünden die osteuropäischen Staaten ohne die EU-Mitgliedschaft da?“

Auch das eigene Land sieht er durch den Brexit bedroht. Blair selbst hat Ende der neunziger Jahre dazu beigetragen, dass die IRA ihre Waffen niederlegt hat. Dieser fragile Frieden in Nordirland stehe jetzt auf dem Spiel, sagt er. „Bis jetzt waren Irland und Großbritannien immer entweder beide nicht in der EU oder beide in der EU. Wir hatten noch nie ein Land drinnen und ein Land draußen. Die neue Grenze stellt ein echtes Problem dar. Ich nehme aber an, dass Theresa May alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um eine Lösung zu finden.“ Ähnlich besorgt sieht er die Lage in Schottland: „Ich will das Vereinigte Königreich nicht zerbrechen sehen. Der Brexit erhöht natürlich den Druck. Heute kann man Schotte, Brite und EU-Bürger sein. Morgen werden nur noch zwei von drei Identitäten möglich sein.“

Opposition in Großbritannien zu schwach

Gerade in dieser Phase, wo die Briten mit der EU ihre Zukunft aushandeln, bräuchte das Land eine starke Opposition, die der Regierung in den Arm fällt, sollte sie den härtesten Brexit forcieren. Das wünscht sich auch Mr. Blair. Doch wenn die Sprache auf Labour-Chef Jeremy Corbyn kommt, dann ist sein Vorgänger merklich zugeknöpft. Über Corbyn will er eigentlich überhaupt nicht sprechen. Der Retro-Linke mit sektiererischem Führungsstil steht für genau das Gegenteil von dem, was Blair für eine Mitte-Links-Partei einfordert. „1997 galt es, 2017 gilt es noch mehr: Die Welt verändert sich immer schneller, und die Linke muss mithalten. Sie muss sich ständig modernisieren. Nur wenn sie den Leuten die Zukunft erklären kann und Lösungen für die Herausforderungen der Globalisierung anbietet, dann können die progressiven Kräfte gewinnen. Mit konservativer Politik ist da nichts zu holen.“

Ein Präsident Macron wäre gut für die EU

Der frische Ton von Emmanuel Macron jenseits des Kanals gefällt ihm daher gut. Steht der Franzose Macron in Blairs Tradition eines businessfreundlichen, sozialliberalen Linkszentristen? „Macron steht für sich selbst. Macrons Wahl wäre gut für die EU. Er wäre ein Signal der Stabilität und gleichzeitig für Reformen.“ Macron aber hat auch angekündigt, hart mit den Briten verhandeln zu wollen. Blair glaubt, dass die Verhandlungen mit den bisherigen EU-Partnern sowieso hart werden. „Wir müssen uns einfach an die Fakten halten.“ Die Alternative zu Macron hält er für viel schlimmer: „Marine Le Pen will Frankreich aus dem Euro holen. Können Sie sich vorstellen, was in der Weltwirtschaft los wäre, wenn sie gewinnt?“

Es fällt Tony Blair merklich leichter, über die französische Innenpolitik zu reden als über die britische. „Wenn wir die Wahl haben zwischen einer harten Brexit-Partei und einer harten Linkspartei, werden viele Millionen Wähler heimatlos“, sagt er mit einem Seufzer. Eine neue Partei will er dennoch nicht gründen. Zumindest nicht jetzt im Wahlkampf.

Da Theresa May weiß, wie schlimm es um die in sich zerstrittene und gelähmte Labour-Partei bestellt ist, hat sie zu Neuwahlen am 8. Juni aufgerufen. Den Linken droht eine fürchterliche Wahlniederlage, man spricht von einem möglichen Verlust von bis zu 50 der bisher 229 Parlamentssitze. Was Blair über Corbyn sagt, hört sich nur bedingt wie eine Wahlempfehlung an. „Ich wähle natürlich Labour. Ich finde auch die Position nicht schlecht, dass die Partei sagt: Die Regierung soll verhandeln und wenn wir das Ergebnis nicht gut finden, dann stimmen wir dagegen.“

Exit vom Brexit noch möglich?

Glaubt Tony Blair denn, dass die Briten den Brexit noch absagen könnten? „Ich werde die Hoffnung nicht aufgeben. Wenn am Ende der Verhandlungen mit der EU ein Deal steht, bei dem Britannien schlechter dasteht als jetzt, dann werden die Leute zögern, den Brexit durchzuziehen. Doch die meisten würden Ihnen sagen, dass ich nicht recht habe.“

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