Tag der deutschen Einheit - Ein Fest der Demokratie und ein paar Dutzend Vollidioten

Auch wenn man sich für manches schämt: Gerade am Tag der Deutschen Einheit gehören Gegendemonstranten, Zwischenrufe und Pöbeleien dazu. Sie stehen für Demokratie, Rechtsstaat und Meinungsfreiheit

Protest in Dresden: Solche Tage muss Deutschland aushalten können / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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„Merkel muss weg“, haben die Demonstranten also gerufen oder: „Haut ab.“ Und schon waren ein paar geladene Gäste in Dresden am Montag ein wenig verschnupft. Gepfiffen habe die Demonstranten und lautstark geschimpft. Auch ziemlich widerliche Worte waren dabei und ein Goebbelszitat auf einem Plakat. Und schon stehen ein paar Fragen im Raum: Ja, sind die Ostdeutschen denn undankbar ob der Deutschen Einheit? Wissen die denn nicht mehr, wie es vor drei Jahrzehnten in Dresden ausgesehen hat? Dürfen die einfach die Einheitsfeier stören, am deutschen Nationalfeiertag?

Angemessener als ein steriler Festakt

Um es kurz zu sagen: Sie dürfen. Sofern die DDR-Bürger vor 27 Jahren tatsächlich auf die Straße gegangen sind, weil sie für Demokratie, Rechtsstaat und Meinungsfreiheit eintreten wollten, dann ließe sich sagen, die Deutsche Einheit ist bei ihnen angekommen. Auch in Dresden. Ein Nationalfeiertag mit Festakt und Gegendemonstranten, mit Zwischenrufen und Pöbeleien ist einer selbstbewussten Demokratie allemal angemessener, als ein steriles Fest mit inszenierter Fröhlichkeit, blumigen Ansprachen und Demonstrationsverboten. Das gilt selbst dann, wenn sich Randalierer unter die Demonstranten gemischt haben und die Wut an manchen Stellen in Hass umgeschlagen ist.  Das gilt selbst dann, wenn man sich schämt, angesichts von Menschen, die einen farbigen Kirchenbesucher mit Affengeräuschen demütigen und „abschieben, abschieben“ skandieren.

Natürlich müssen sich Politiker fragen, woher kommt der Hass. Es lohnt sich darüber zu räsonieren, warum eine reiche Gesellschaft wie diese derart auseinanderdriftet. Natürlich kann man zudem ernsthaft daran zweifeln, ob jeder Gegendemonstrant in Dresden anderen gegenüber jene demokratische Größe aufbringen würde, die diese liberale Gesellschaft ihnen zuteil kommen lässt. Natürlich kennt Toleranz auch Grenzen und über diese Grenzen muss sich das Land immer wieder verständigen. Fremdschämen hilft dabei im Übrigen.

Solche Tage muss das Land aushalten

Und natürlich könnte die eine oder andere öffentliche Äußerung vom Montag ein Fall für den Staatsanwalt sein. Über die Frage, wo die Meinungsfreiheit endet und die strafbewährte Beleidigung beziehungsweise der Aufruf zu Straftaten anfängt, darüber hat das Bundesverfassungsgericht ausführlich Recht gesprochen. Aber trotzdem muss dieses Land Tage wie den gestrigen aushalten.

Es hilft allerdings, die Dinge ein wenig zurechtzurücken. 450.000 Menschen haben in Dresden am Montag den Tag der Deutschen Einheit gefeiert, Bundestagspräsident Norbert Lammert hat beim Festakt in der Frauenkirche eine große Rede gehalten. 5.000 Unzufriedene waren dem Aufruf einer rechtsextremen Bürgerbewegung gefolgt. Ein paar Dutzend Vollidioten sind so ausfällig geworden, dass man kotzen möchte. In diesem Sinne waren die Einheitsfeierlichkeiten in Dresden ein gelungenes Fest der Demokratie.

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