Rückkehrerin nach Syrien - „Ich hab mich nie an die deutsche Kultur gewöhnt“ 

Die Diskussion über die Anzahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, hält mindestens seit 2015 das Land in Atem. Doch einige kehren freiwillig in ihre Heimat zurück, sogar ins Bürgerkriegsland Syrien. Eine 18-jährige Schülerin erzählt warum

Auch mit dem Flugzeug kamen Flüchtlinge aus Syrien in Deutschland an. Doch viele zieht es wieder zurück / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Rahaf Alrejla, 18, floh 2015 vor dem syrischen Bürgerkrieg mit ihrer vier Jahre älteren Schwester Ebtehaj nach Berlin. Nach einem Jahr kehrte sie alleine nach Damaskus zu ihrer Familie zurück. Sie bereitet sich jetzt auf ihr Abitur vor und will danach studieren. 

Frau Alreijla, Sie leben jetzt wieder in Damaskus. Wie sieht dort Ihr Alltag aus?
Ich bereite mich auf das Abitur vor, aber im Augenblick sind gerade Ferien. Ich ziehe mit meinen Freundinnen um die Häuser. Morgen melde ich mich im Fitness-Studio an. 

Klingt ganz normal. 
Nein, davon sind wir leider immer noch weit entfernt. Dort, wo wir leben, im Zentrum von Damaskus, fühle ich mich zwar hundertprozentig sicher. Aber dass woanders Bomben explodieren, kriegen wir hier natürlich auch mit. Ost-Ghuta ist ja nur fünfzehn Kilometer von Damaskus entfernt. 

2015 sind Sie, mit 15 Jahren, mit Ihrer vier Jahre älteren Schwester vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland geflohen. Was war damals anders? 
Der Krieg war überall, auch in Damaskus. 2013 ist eine Bombe auf unsere Schule gefallen. Es war alles voller Blut. Der Horror. Ich hab gesehen, wie Mitschüler starben. Ich hab mich aus Angst nicht mehr vor die Tür getraut. 

Und deshalb haben Ihre Eltern sie und Ihre Schwester nach Deutschland geschickt?
Nein, wir wollten das selber. Wir wollten vorgehen und unsere Familie nachholen. Das war der Plan. 

Woran ist er gescheitert?
An der Ausländerbehörde. Die hat gesagt, unsere  Eltern dürfen nicht beide gleichzeitig hinterherkommen. Erst sollte meine Mutter kommen, und sobald sie Aufenthalt bekommen hätte, sollte mein Vater hinterherkommen. Es war aber unsicher, ob das funktionieren würde. Ich habe noch eine kleine Schwester in Damaskus. Die wollte nicht, dass meine Mutter ohne sie ging. Es hätte unsere Familie zerrissen. 

Rahaf Alrejla / privat

Und deshalb sind Sie ein Jahr später alleine zurückgegangen?
Genau. Ich habe mir ein Ticket gekauft und bin zurückgeflogen.

Sie waren damals erst 16 Jahre alt. Hat Sie niemand aufgehalten? 
Nein, ich konnte einfach gehen. 

Warum haben Sie eine sichere Zukunft gegen das Leben in einem Land eingetauscht, das nach sechs Jahren Krieg in weiten Teilen zerstört ist? 
Was nutzte mir die Sicherheit ohne meine Familie? Es war furchtbar. Wir haben geskypt, sooft es ging. Aber oft fiel das Internet in Damaskus aus. Ich bin jedesmal vor Angst fast gestorben. 

Ihre Schwester aber ist geblieben.
Ebtehaj war schon volljährig und mit der Schule fertig. Ihr fiel es einfach leichter, sich von zu Hause abzunabeln. Sie hat sich im Flüchtlingsheim in einen Mann verliebt, der auch als Flüchtling aus Syrien kam. Sie haben geheiratet. 

Können Sie sich noch an Ihren ersten Tag in Deutschland erinnern?
Ja, es war der 1. Juni 2015. Ein kühler Tag, der Himmel war grau. Ich dachte erst, hier ist Winter. 

Was wussten Sie denn damals schon über Deutschland?
Ehrlich gesagt, nicht viel. Dass Ihr die besten Autos der Welt produziert und gerne Kartoffeln esst.   

Und wie sah Ihr Alltag in Berlin aus?
Der Anfang war hart. Meine Schwester und ich lebten in einem Flüchtlingsheim. In der Schule verstand ich kein Wort. Ich musste eine Klasse zurückgehen, in die Neunte. Ich habe mich am Anfang sehr schwer getan mit der Sprache. Ich hab gedacht: Wie sollst Du hier das Abitur schaffen? Ich brauchte dringend Nachhilfe. Aber ich habe keinen Lehrer gefunden. 

Hat Ihnen niemand geholfen?
Doch, ich hatte einige Freunde. Das waren aber auch alles Ausländer. 

Gar keine Deutsche?
Doch, eine Mitschülerin hat sich um mich gekümmert. Nora. Sie war aber die einzige Deutsche. Die anderen haben mich immer so komisch angeguckt. Ich glaube, die mochten keine Ausländer. Einige haben das auch gesagt. Ich habe mich dort wie ein Eindringling geführt. Immer, wenn in der Klasse irgendwas kaputt ging, war ich Schuld. 

Wieviel Geld hat Ihre Familie für die Flucht bezahlt? 
Ich weiß es nicht genau, ein paar tausend Euro, glaube ich. Mein Vater hatte das Geld gespart. Er besitzt einen Supermarkt in Damaskus. 

Jetzt, da Sie wieder zurück in Damaskus sind: Würden Sie sagen, es war herausgeworfenes Geld?
Eigentlich schon. Ich hab zwar viel in Deutschland gelernt. Ich bin geduldiger geworden. Ich hab gelernt, wie es ist, wenn sich Menschen mit Respekt begegnen. Das hat mich beeindruckt. Respekt ist etwas, was im Krieg als erstes verloren geht. Aber wenn ich ehrlich sein soll, habe ich mich nie so richtig an die deutsche Kultur gewöhnt.  

Dabei waren Flüchtlinge 2015 noch willkommen. Haben Sie davon gar nichts bemerkt?
Doch, natürlich. Wir haben auch viele nette Menschen kennengelernt. Die Frau zum Beispiel, die die Vormundschaft für uns übernommen hatte. Sie hat dafür gesorgt, dass meine Schwester und ich aus dem Flüchtlingsheim ausziehen konnten und eine eigene Wohnung bekamen. Die war sehr hilfsbereit und nett. 

Seit dem Terroranschlag auf dem Breitscheidtplatz in Berlin oder Morden wie denen in Kandel sind Stimmen lauter geworden, die fordern, Deutschland dürfe nicht mehr jeden Asylbewerber ins Land lassen. Hat sich dieser Stimmungswechsel auch bis nach Syrien herumgesprochen?
Natürlich, ich verfolge die Nachrichten aus Deutschland im Internet. Aber ist das wirklich ein Stimmungswechsel? Ich fand, dass es schon 2015 viele Vorbehalte gegen Ausländer gab. 

In Europa erreichen uns fast nur Schreckensmeldungen aus Syrien. Man sieht Bilder von verhungernden Kindern in Ost-Ghuta oder Bilder der Opfer von Giftgas-Anschlägen in Duma. Längst sind auch die USA, Russland und die Türkei in den Krieg involviert. Frustriert es Sie nicht, zu sehen, dass ein Ende des Krieges in immer weitere Ferne zu rücken scheint?
Doch, natürlich. Keiner weiß, wie lange das noch dauert. Es gibt Leute, die sagen, noch zehn Jahre. Andere glauben, er wird ewig dauern. 

Was glauben Sie?
Ich weiß nicht. Vielleicht noch fünfzehn Jahre? Ich versuche, lieber nicht so viel darüber nachzudenken. 

Was machen Sie, um solche Bilder aus dem Kopf zu bekommen? 
Ich höre arabische Popmusik. Ganz laut. 

Könnten Sie sich vorstellen, noch einmal nach Deutschland zurückzukehren?
Ja, aber nur als Urlauberin. 

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