Syrien - „Die Empörung über die Giftgas-Attacke ist ein Medienhype“

Der frühere General und Berater im Kanzleramt, Erich Vad, über den strategischen Sinneswandel bei Donald Trump in Syrien und über Sinn und Unsinn von Regeln im Krieg

Luftangriff in Syrien: „Es hilft nichts, auf überkommenen völkerrechtlichen Positionen zu verharren" / picture alliance
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Herr Vad, Donald Trump galt bisher als Gegner von militärischen Interventionen. Nun hat er nicht nur auf den mutmaßlich vom Assad-Regime in Syrien begangenen Giftgasanschlag mit einem Luftschlag reagiert, sondern auch Flugzeugträger nach Korea beordert. Woher rührt der Sinneswandel?
Das ist das klassisch amerikanische Show-of-Force-Denken, das anscheinend auch bei Trump eingesetzt hat. Es war wohl kein Zufall, dass er sich gerade dann zu dem Militärschlag in Syrien entschlossen hat, als der chinesische Staatschef Xi Jinping zu Besuch war. Im selben Zusammenhang muss man auch die Entsendung der Schiffe nach Korea sehen. Es war vor allem ein Signal an China, an Nordkorea und auch an Russland, dass man zu solchen Schritten bereit ist. Militärisch hat gerade der Raketeneinsatz in Syrien kaum etwas zu bedeuten.

Erleben wir also eine Wiederholung der bekannten Vorgehensweise von Bill Clinton? Nach dem Motto: Wir werfen Raketen auf das Problem und dann ist erst einmal gut?
Im Prinzip ja. Aber das ist natürlich kein nachhaltiges Konzept. Letztlich hat ein Großteil der US-Interventionen im Nahen Osten das Chaos verstärkt anstatt zu einer Befriedung zu führen. Das gilt insbesondere für Libyen. Dort gib es jetzt seit sechs Jahren einen Bürgerkrieg und stärkere Präsenz des sogenannten Islamischen Staates als je zuvor. Von einer Demokratisierung ganz zu schweigen. Von dieser Illusion mussten wir uns spätestens seit dem Irak-Krieg 2003 verabschieden.

Was ist denn die Alternative in Syrien? Nichts tun?
Nein, das geht nicht. Aber der richtige Zeitpunkt wurde spätestens verpasst, als Baschar al-Assad zum ersten Mal die rote Linie überschritt und Chemiewaffen einsetzte. Barack Obama griff nicht ein und seitdem sind die Russen mit im Spiel in Syrien. So schwer das auch fällt: Ohne Russland eine Lösung finden zu wollen, ist illusorisch. 

Erich Vad. © Dirk Bruniecki

Warum gilt eigentlich der Einsatz von Giftgas als rote Linie? Was macht es für einen Unterschied, ob Menschen sterben, weil sie an Giftgas ersticken, von Granaten in Stücke gerissen oder von Gewehrkugeln getroffen werden oder ob man sie absichtlich verhungern lässt?
Das hat sicherlich immer noch mit den schockierenden Eindrücken vom Ersten Weltkrieg zu tun, als Giftgas zum ersten Mal eingesetzt wurde. Letztlich starben zwar nur drei Prozent der Toten an Gasvergiftungen. Aber es ist die Ohnmacht, die Unmöglichkeit des Zurückschlagens im Fall von Giftgasangriffen, die sie besonders grausam erscheinen lassen. Für die Opfer macht es letztlich keinen Unterschied, wie sie sterben. Die Empörung über die Giftgasattacke ist auch ein Medienhype. Das sieht man daran, dass die Reaktion nach der Attacke Ghouta 2013 in Syrien mit wohl mehr als 1000 Toten vergleichsweise verhalten war.

Um solche Greueltaten zu vermeiden, gab es immer wieder Versuche, Regeln für die Kriegsführung aufzustellen. Giftgasanschläge zum Beispiel sind seit den Genfer Konventionen von 1949 verboten. Ist es nicht absurd, für Kriege Regeln aufzustellen? Hemingway sagte, im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.
Und so hat er sich auch verhalten. Dass es Regeln für den Krieg gibt, ist schon richtig. Schon Marcus Tullius Cicero hat davon gesprochen, und eine Hegung des Krieges hinsichtlich Dauer, Raum und Art der Austragung war dann immer das deklarierte Ziel bei kriegsvölkerrechtlichen Überlegungen. Natürlich sieht das in der Theorie anders aus als in der Praxis. Wenn es um Sieg oder Niederlage, um Leben oder Tod geht, spielen die Rules of Engagement nur eine untergeordnete Rolle, keine Frage.

In Syrien scheinen die überhaupt keine Rolle zu spielen, egal ob bei den Truppen von Assad oder von den Rebellen.
Das liegt daran, dass wir es dort mit einem asymmetrischen Krieg zu tun haben, wie es heute eigentlich der Regelfall ist. Abgesehen von der Tatsache, dass asymmetrische Herausforderer glauben, die eigenen Operationen seien legitim, agieren sie oft mit voller Absicht außerhalb jeglicher Legalität. Sie missachten bewusst und vorsätzlich das Völkerrecht. Sie führen einen dirty war, einen dreckigen Krieg, einschließlich Kidnapping, Erpressung, Folter, Tod und Einsatz von Sprengfallen. 

Und sind so gegenüber Soldaten aus dem Westen im Vorteil?
In vielerlei Hinsicht schon. Ein deutscher Soldat muss ja zuhause mit einer Anklage rechnen, falls er sich nicht den Regeln entsprechend verhält. Partisanen und irreguläre Kämpfer kennen diesen Kodex genau. Sie selbst hingegen sind kompromiss- und grenzenlos im Kampf, was sie oft verhaltenssicherer und damit durchsetzungsfähiger macht. Weil sie sich selbst aber an keine Regeln halten, provozieren sie wiederum den Kontrahenten, dasselbe zu tun.

Heißt also, Feuer frei auch für deutsche Soldaten? Ohne Rücksicht auf Verluste?
Nein, das kann es nicht sein und das würde in unserer Gesellschaft auch nicht akzeptiert. In Deutschland gehen wir Konflikte immer sehr normativ an, immer vom Recht ausgehend. Das ist an sich natürlich nicht falsch und auch unserer Geschichte geschuldet. Aber realpolitisch kommt man mit diesem Ansatz nicht weit. Wir müssen stattdessen darüber nachdenken, wie wir Völkerrecht, Strategie und militärische Mittel den neuen Herausforderungen der Sicherheitspolitik optimal anpassen. Daneben hilft es nicht, auf überkommenen völker- und verfassungsrechtlichen Positionen zu verharren, wenn die Sicherheits- und Bedrohungslage diesen nicht mehr entspricht.

Auch der Militärschlag der USA in Syrien war...
... völkerrechtlich höchst zweifelhaft, keine Frage. Aber es ist auch wohlfeil, sich in Deutschland aus bequemen Sesseln über die militärischen Aktionen der Weltmacht USA zu ereifern. Die USA machen ja aus gutem Grund nicht mit beim Internationalen Strafgerichtshof, genauso wie Russland. Weltmächte lassen sich nicht in das Korsett des Völkerrechts einbinden. Sie beanspruchen Definitionsmacht über das, was Recht und Unrecht ist. In der internationalen Sicherheitspolitik gibt es keinen herrschaftsfreien Diskurs, wie Idealisten glauben. Im Irak-Krieg 2003 sind mehr als 100.000 Zivilisten umgekommen. Dass es dabei keinerlei Kriegsverbrechen gab, ist unwahrscheinlich.

Also bricht die USA auch in Syrien bewusst das Völkerrecht?
Militärische Stärke zu zeigen, erscheint den USA derzeit jedenfalls wichtiger. Das allein reicht aber nicht. Ohne Konzept und Strategie kann man den Bürgerkrieg in Syrien nicht beenden.

Sondern?
Man muss realpolitisch und strategisch vorgehen in Syrien. Dazu gehört, mit denen zu reden, die aufgrund der westlichen Abstinenz jetzt vor Ort das Heft des Handelns in der Hand halten. Dazu gehört zweifelsohne Russland, ob man das mag oder nicht.

Erich Vad ist promovierter Historiker und Brigadegeneral a.D. des Heeres der Bundeswehr. Von 2007 bis 2013 war er in der außen- und sicherheitspolitischen Abteilung im Bundeskanzleramt tätig.

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