Sylvie Goulard - Macrons Geheimwaffe

Sylvie Goulard ist Frankreichs neue Verteidigungsministerin. Sie nennt Deutschland einen „idealen Partner“ – und will ein neues Sicherheitsbündnis für Europa schaffen

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Sylvie Goulard verkörpert die französische Meritokratie: sozialer Aufstieg einzig und allein aufgrund von Leistung / picture alliance
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Martina Meister ist Korrespondentin in Frankreich für die Tageszeitung Die Welt.

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Die Szene ereignet sich Anfang Juni in Berlin: Frankreichs Verteidigungsministerin Sylvie Goulard schreitet gemeinsam mit ihrer Amtskollegin Ursula von der Leyen das Musikkorps der Bundeswehr ab. Das Bild ist ungewöhnlich: zwei Frauen als Chefinnen der Armee. Von der Leyen scheint die militärische Körperhaltung von Kind auf eingeübt und den soldatischen Schritt längst verinnerlicht zu haben. Goulard wirkt daneben in ihrem braven Blazer, gemusterten Rock und mit Perlenkette eher so, als würde sie zur nächsten Aufsichtsratssitzung, wenn nicht zur sonntäglichen Messe gehen.

Noch ungewöhnlicher ist allerdings, was die Bilder nicht verraten: Die eine kommt im Deutschen so gut zurecht wie die andere im Französischen. Beide Ministerinnen sprechen die Sprache der jeweils anderen wie die eigene Muttersprache. „Merci, Sylvie“, sagt von der Leyen zum Abschluss der gemeinsamen Pressekonferenz und gibt der französischen Amtskollegin rechts und links einen Wangenkuss à la française. 

Frankreichs Joker

Sylvie Goulard ist der Joker der Deutschen in der neuen Regierung Frankreichs. Denn germanophiler geht’s kaum. Schon als Schülerin war sie zum Austausch in Deutschland. Das Bundesverdienstkreuz, mit dem sie ausgezeichnet wurde, hätte sie allein für ihre exzellenten Sprachkenntnisse verdient. Sie ist es auch, die Emmanuel Macron dank ihrer engen Kontakte das Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel kurz vor der Wahl ermöglicht hat. Deutschland nennt sie, und das ist neu in Frankreich, einen „idealen Partner“.

Sylvie Goulard, 52, seit 2009 Europaabgeordnete erst der französischen Zentrumspartei Modem, dann der liberalen Fraktion, ist eine der ganz frühen Unterstützerinnen Macrons. In seinem „sowohl rechts als auch links“ hat sie sich als Liberale sofort wiedererkannt, aber mehr noch in dem überzeugten Europäer Macron. Denn anders als ihre französischen Kollegen, die Brüssel oft als Abstellgleis empfinden, ist Europa für Goulard eine Herzensangelegenheit. Zusammen mit Daniel Cohn-Bendit zählt sie zu den Gründern der Spinelli-Gruppe im Europaparlament, die sich für ein föderales und postnationales Europa einsetzen. 

Als Macron sie Mitte Mai zur Verteidigungsministerin ernannte, war Goulard der breiten Öffentlichkeit Frankreichs komplett unbekannt. „Sylvie wie?“, fragten spitzzüngig Kommentatoren, die über den Pariser Tellerrand nicht hinaussehen und denen entgangen war, dass Goulard in den acht Jahren in Brüssel zu einer hochrespektierten und einflussreichen Politikerin geworden war – bis zu dem Punkt, dass sie sich vergangenes Jahr um die Nachfolge von Parlamentspräsident Martin Schulz bewarb. In Deutschland ist sie bekannter als in ihrer Heimat, weil sie hier als beliebte Interviewpartnerin gern von Talkshow zu Talkshow gereicht wurde und ein wenig die Französin vom Dienst geben musste. 

Bilderbuchkarriere

Goulard, Mädchenname Grassi, 1964 als Tochter italienischer Einwanderer in Marseille geboren, ist dort in eher bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Sehr früh hat sie eine Bilderbuchkarriere hingelegt: Abitur mit 15. Dann Jurastudium in Aix-en-Provence, danach absolviert sie die berühmte Politikhochschule Sciences Po in Paris, schließlich die Verwaltungshochschule ENA in Straßburg, die Eliteschmiede des Landes. Mit 25 verhandelt Goulard über die deutsche Wiedervereinigung und nimmt an den Zwei-plus-Vier-Gesprächen teil. Später wird sie politische Beraterin von Romano Prodi, für den sie Italienisch lernt. Perfekt viersprachig verkörpert sie, was man die französische Meritokratie nennt: sozialer Aufstieg einzig und allein aufgrund von Leistung.

Goulard wurde als Europaministerin, ja sogar als Regierungschefin gehandelt. Die Entscheidung, sie zur Armeechefin zu machen, hat viele überrascht. „Eine Europäerin mit dem Fallschirm im Verteidigungsministerium gelandet“, titelte böse die linke Tageszeitung Libération. 

Kein einziges schlechtes Wort

Die neue Ministerin mag keine ausgewiesene Kennerin bewaffneter Konflikte und Kalibermaße sein, aber sie ist, was man in Frankreich eine „femme de tête“ nennt: klug, schnelles Auffassungsvermögen, immer perfekt vorbereitet. Niemand wäre geeigneter, das neue Sicherheits- und Verteidigungsbündnis, das Macron vorschwebt, auszuhandeln. Von ihren Kollegen in Brüssel hört man kein einziges schlechtes Wort über sie. Anonym gibt einer höchstens zu Protokoll: „Sie ist unheimlich effizient, aber nicht lustig. In den Urlaub fahren möchte ich mit ihr nicht.“ 

Für das Dolcefarniente aber hat Macron sie nicht geholt. Goulard ist im Augenblick Dritte innerhalb der ministerialen Hierarchie. Gut möglich, dass sie bei der nächsten Regierungsumbildung doch noch Premierministerin wird.

 

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