Steinmeier im Kaukasus - Deutschlands schwierige Vermittlerrolle

Kolumne: Leicht gesagt. Bei seinem Besuch in der Kaukasus-Region hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier dicke Bretter zu bohren. Nicht nur zwischen Armenien und der Türkei ist die Situation verfahren. Auch zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie zwischen Georgien und Russland schwelen ungelöste Konflikte

Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein armenischer Amtskollege Edward Nalbandian am Genozid-Mahnmal Tsitsernakaberd. Bild: picture alliance
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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Das Wort „Völkermord“ sagt sich offenbar noch immer nicht leicht für die Verbrechen an den Armeniern vor 101 Jahren. Jedenfalls meidet das Auswärtige Amt den Begriff, auf den sich der Bundestag in einer Resolution mit großer Mehrheit festgelegt hat. Eigentlich sollen die Abgeordneten der Souverän sein, die Vorgesetzten der Regierung – hier allerdings werden die Vorgaben bewusst nicht befolgt.

Denn Steinmeier sieht sich als Vermittler im Kaukasus, wo drei Dauerkonflikte die ganze Region lähmen: Neben dem hundertjährigen Kampf zwischen Armenien und der Türkei um den Völkermord, attackieren sich Armenien und Aserbaidschan nach wie vor wegen des Gebiets Bergkarabach. Und Georgien hat noch immer keine geklärte Grenze nach Russland. Als OSZE-Vorsitzender versucht Steinmeier, die „frozen conflicts“ zu enteisen.

Wie schwer aber auch nur Antauen ist, erfuhr Steinmeier soeben, als er die drei Staaten besucht hat. Diplomatische deutsche Interessen gegenüber der Türkei spielten ganz offensichtlich eine Rolle:

So bedankte sich Steinmeiers armenischer Kollege Nalbandian dafür, dass Deutschland nun endlich die Verbrechen an seinem Volk auch offiziell als „Völkermord“ benenne. Aber außer Genugtuung bringt dies den Armeniern wenig, so jedenfalls die Sicht der deutschen Beobachter. Armenien jedenfalls scheint seine angespannten Beziehungen zur Türkei nicht entspannen zu wollen.

Keine Mitleidsbekundungen von Armenien gegenüber Terroropfern

Genau das jedoch versucht Steinmeier zu erreichen. Neben Nalbandian stehend kondolierte er den Menschen in der Türkei nach den jüngsten Anschlägen auf dem Istanbuler Flughafen. Denn sie sind nun Opfer von Terror und mörderischer Gewalt. Von Anschlägen, hinter denen keine Nation und kein Volk stehen. Von Tätern, die sich stolz bekennen zu ihrem Morden.

„Bei allem, was gelegentlich zwischen uns stehen mag, sollten wir im Angesicht der Bedrohung und des Schreckens durch den Terrorismus zusammenstehen.“ Das klang wie eine Aufforderung an Armeniens Außenminister, sich eine Mitleidsbekundung abzuringen. Doch Nalbandian schaute ungerührt und sagte dazu – nichts.

Das zeigt, wie unüberwindbar die Mauer der Feindschaft zwischen Armenien und der Türkei ist. 1,5 Millionen Armenier wurden vor 101 Jahren im damaligen Osmanischen Reich getötet, das entspräche der Hälfte der heutigen Bevölkerung Armeniens. Die Bundesrepublik Deutschland hat diese Verbrechen nie ignoriert.

Das heikle V-Wort

Steinmeier ist zum vierten Mal in Eriwan. Wieder legte er einen Kranz nieder an der traurig-grauen Gedenkstätte Tsitsemakaberd. Schwalbenfestung heißt das übersetzt, denn die 50 Jahre alte Anlage aus der Sowjetzeit klebt wie ein Nest über der Stadt. Von hier ist das eigentliche Nationalsymbol Armeniens zu sehen: der Berg Ararat. Seine schneebedeckte Kuppe glänzt ganz nah – doch er liegt unerreichbar für Armenier jenseits der Grenze zur Türkei.

Für Deutschland ist dieser Konflikt heikel. Denn die Türkei gilt als wichtiger Partner, vor allem in der Flüchtlingspolitik. Aber auch innerhalb der Nato und als Brückenland nach Asien. Steinmeier hielt schon 2015 das Ansinnen des Bundestags für falsch, in der Begriffsdebatte deutlich Stellung beziehen zu wollen. Als der Bundestag es dann 2016 tat, stimmte der abwesende Außenminister nicht mit, konterte aber auch nicht mehr verbal.

In Eriwan wird er gefragt, warum er das Wort „Völkermord“ meide. „Ich habe diese Resolution unterstützt und deshalb den Begriff des Völkermords nicht gemieden“, sagt er – und verwendet ihn damit tatsächlich erstmals öffentlich. Seine bisherige diplomatische Vorsicht rechtfertigt er trotzdem: „Ich habe nur darauf hingewiesen, dass Konflikte sich am Ende nicht auf einen einzigen Begriff zurückführen lassen.“

Und bei dieser Linie bleibt sein Ministerium mit geradezu sturem Stolz. Denn nach der Kranzniederlegung twittert das Amt, der Minister „gedenkt der Opfer der Gräueltaten an den Armeniern 1915/16“. Das V-Wort taucht auch später nirgends auf. Umgangen wird dieses Thema auch protokollarisch wieder, wie bei jedem Gedenkstättenbesuch. Wo andere, etwa Frankreichs Präsident Hollande und zuletzt Papst Franziskus, einen Nadelbaum als Zeichen der Anerkennung des Völkermords gepflanzt haben, gibt es von der deutschen Politik kein solches Zeichen.

Zweiter Brennpunkt: Bergkarabach

Steinmeier macht also nur das diplomatisch Nötigste in diesem Konflikt. Ihm missfällt, was in der Tat auffällig ist und die innerkaukasische Bewegung lähmt: In Armenien scheint die Anerkennung der Vergangenheit weit mehr zu zählen als die Gestaltung der Zukunft.

Das gilt ebenso für den anderen Dauer-Konflikt, den Steinmeier auf seiner Kaukasus-Reise einer Lösung näher bringen will: Bergkarabach. Auch der spielt in die Beziehungen zur Türkei hinein. Denn Ankara macht jedwede Annäherung zu Eriwan davon abhängig, dass es in diesem völlig festgefahrenen Streit zwischen Armenien und Aserbaidschan Lockerung gibt.

Im April war für einige Tage der Krieg wieder ausgebrochen, der von 1992 bis 1994 tobte und 30.000 Menschen das Leben nahm. Das schon zu Sowjetzeiten „autonome“ Gebiet gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan. Doch weil die gut 100.000 Bewohner überwiegend Armenier sind, hält Armenien es besetzt.

Beziehungen zu Russland nicht belasten

Steinmeier sieht darin „jederzeit neues Eskalationspotenzial“; 30 Soldaten starben im April, fünf weitere noch im Mai. Er drängt Armenien und Aserbaidschan zum „baldigen Einstieg in Verhandlungen“. Doch damit stößt er in Eriwan wie in Baku auf Beton. Auf keiner Seite ist seit dem Waffenstillstand auch nur ein Millimeter Flexibilität zu erkennen, wie der Außenminister in Aserbaidschan erkennen musste. Es sind ganze sechs OSZE-Beobachter, die zwei Mal im Monat die umstrittene Grenze abfahren dürfen. Es würde schon als großer Vermittlungserfolg gelten, wenn diese ohnehin symbolische Zahl verdoppelt würde, wenn also irgendwann zwölf Unabhängige das Treiben kontrollieren dürften.

So wie Georgiens Grenzregion zu Russland jahrelang nur durch OSZE-Beobachtung halbwegs friedlich gehalten werden konnte. Auch hier sind es „autonome Provinzen“, Südossetien und Abchasien, die sich abgespalten, aber von Georgien weiter beansprucht werden. Auch hier hielt ein Waffenstilltand von 1994 nicht – 2008 kam es zu einem fünf Tage währenden georgisch-russischen Krieg.

Die Folge sind mehr als 100.000 vertriebene Georgier, die bis heute nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Um hier Lösungen zu finden, darf aus deutscher Sicht wiederum der Draht zu Russland nicht unnötig belastet werden. Das erklärt auch Steinmeiers Haltung gegen „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ der Nato. Seine Erfolge in der Kaukasus-Diplomatie hängen von größeren Mächten ab als von Armenien, Aserbaidschan und Georgien.

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