Steinmeier nun doch nach Kiew eingeladen - Die Klitschko-Brüder als Top-Diplomaten

In Kiew wird der Besuch von Friedrich Merz sehr positiv aufgenommen. Auf Twitter nun der große Coup: Merz zufolge sei es allein auf seine Initiative zurückzuführen, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Kiew eingeladen wird. Aber das ist auch dem Einfluss von Vitali Klitschko zu verdanken, der dafür schon seit Wochen plädiert hat.

Ausgelassene Stimmung: Friedrich Merz trifft sich mit den Klitschko-Brüdern in Kiew / dpa, 03.05.2022
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Nathan Giwerzew ist Journalist in Berlin.

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Hierzulande kann schnell der Eindruck entstehen, die Twitter-Invektiven des streitbaren ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk entsprächen einer ukrainischen Einheitstaktik. Und die Gemüter kochten abermals hoch, als Melnyk Scholz als „beleidigte Leberwurst“ angriff, weil dieser nicht bereit war, nach der Ausladung Steinmeiers nach Kiew zu fahren. Es musste deswegen sogar der „Faktencheck“ durch Wolfgang Kubicki (FDP) her, der da lautete: „Olaf Scholz ist keine Wurst“

Zwar war Andrij Melnyk vorn dabei, als es darum ging, die Ausladung Frank-Walter Steinmeiers mit deutlichen Worten zu kommentieren. Aber dass der Bundespräsident nun doch noch nach Kiew eingeladen worden ist, hat mit einem anderen Akteur der ukrainischen Politik zu tun: mit dem Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko, der lange in Deutschland gelebt hat, Vorsitzender der Partei UDAR (Schlag) ist und der das Amt des Kiewer Bürgermeisters innehat.

Die Ukraine ist kein monolithischer Block

Selbstverständlich sind sich die Klitschko-Brüder und Andrij Melnyk in einem Ziel einig – damit sich die Ukraine effektiv gegen den russischen Angriff verteidigen kann, muss sie um so viel internationale Unterstützung werben wie möglich. Aber sie wählen dafür eine andere Taktik als der Botschafter: Während er auf Kontroverse und Provokation setzt, setzen sie auf Diplomatie. 

Die beiden Brüder, die als junge Männer nach Deutschland kamen und hier ihre Boxerkarriere begonnen haben, nutzen gekonnt die Rhetorik der deutschen Politik. Was etwa die Formulierung belegt, die Äußerungen des Botschafters würden nur weiter „Öl ins Feuer gießen“, anstatt Europa gegen die russische Aggression zusammenzuschweißen. 

Diese Formulierung findet sich im Facebook-Post des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko vom 3. Mai, der den Besuch des CDU-Generalsekretärs zum Anlass hat. 

Zunächst bedankt sich Klitschko für den Besuch des Oppositionsführers:

„Friedrich Merz, der Vorsitzende der größten Oppositionspartei (CDU), war heute in Kiew. Er traf sich mit der obersten Führung der Ukraine und auch mit dem Bürgermeister von Kiew. Er brachte seine Unterstützung zum Ausdruck und sicherte unserem Land weitere Hilfe zu, wofür wir sehr dankbar sind. Ich bin überzeugt, dass die Ukraine heute dringend verlässliche und starke Partner braucht, mit denen man reden und die Zusammenarbeit ausbauen muss.“

Schließlich erläutert er, warum er es für geboten hält, Steinmeier und Scholz eine zweite Chance zu geben:

„Deutschland ist auf der internationalen Bühne blamiert worden. Und es debattiert immer noch darüber, dass die Ukraine sich geweigert hat, den deutschen Bundespräsidenten zu empfangen, der kürzlich mit vier Kollegen aus anderen Ländern Kiew besuchen wollte. Auch die undiplomatischen Äußerungen des ukrainischen Botschafters gegenüber dem deutschen Bundeskanzler gießen Öl ins Feuer. Jetzt ist nicht die Zeit für Emotionen und unnötige Beredsamkeit. Ich bin davon überzeugt, dass Präsident Selenskyj einen politisch ausgewogenen Schritt tun und den deutschen Bundespräsidenten, einen strategischen Partner der Ukraine, nach Kiew einladen sollte. Wir müssen heute die Position der Europäer vereinen – so werden wir einen größeren Erfolg für unser Land und einen Sieg im Kampf gegen den russischen Aggressor erreichen.“

Offenbar ist Klitschko in Kiew ausgerechnet dann erhört worden, als Oppositionsführer Friedrich Merz auch sein Wort für Steinmeier eingelegt hat. Das zeigt, dass er der Initiative von Friedrich Merz entscheidend vorgearbeitet hat.

Klitschkos Position zur Steinmeier-Ausladung Mitte April

Als Frank-Walter Steinmeier sich kurzfristig entschlossen hatte, zusammen mit anderen Regierungschefs nach Kiew zu reisen, stieß er in Kiew auf Granit. Und das aus gutem Grund: Kaum ein deutscher Politiker war derart eng mit Russland verstrickt wie Frank-Walter Steinmeier. Das beweisen nicht zuletzt die Recherchen von Thomas Urban, der für Cicero die wichtigsten Materialien zu Steinmeiers desaströser Russland-Politik zusammengetragen hat – insbesondere über seine Rolle beim Bau der Nord-Stream-2-Pipeline. 

Der Schritt, Steinmeier auszuladen, sorgte aber in der Ukraine dennoch für Kritik. Klitschko hielt diesen Schritt von Anfang an für taktisch unklug, ohne dass er ihn (wie Merz) einen „Affront“ nannte. Stattdessen plädierte er dafür, „Brücken nach Deutschland zu bauen.“ Am 13. April schrieb er auf seiner Facebook-Seite folgenden Post, den er sowohl auf Englisch als auch in deutscher Sprache veröffentlicht hatte:

„Es ist richtig, dass der Bundespräsident in der Vergangenheit viele Fehler in der Russland-Politik gemacht hat, die der Ukraine massiv geschadet haben. Dafür hat sich der Bundespräsident entschuldigt und seine Fehler eingestanden.

Ich halte es für dringend erforderlich, dass wir als Ukraine weiterhin Brücken nach Deutschland bauen. Bei meinem Besuch in Berlin, bei dem ich mit allen wichtigen deutschen Politikern sprechen konnte, hat sich gezeigt, dass persönliche Treffen immer einen Nutzen haben.

Deutschland ist Partner Nummer eins bei der finanziellen Hilfe für die Ukraine, leistet humanitäre Unterstützung, hilft massiv Flüchtlingen und schickt immer mehr Waffen, auch wenn wir davon mehr brauchen.

Gerade jetzt ist es enorm wichtig, dass die Ukraine gemeinsam mit Deutschland und der gesamten Europäischen Union eine klare gemeinsame Front gegen die russische Invasion zeigt. Ich hoffe, dass der Besuch des Bundespräsidenten in Kiew nur aufgeschoben ist und dieser in den kommenden Wochen nachgeholt werden kann.“

Eine kluge PR-Politik

Ob Melnyk und Klitschko sich in ihrer PR-Taktik absprechen, ist nicht bekannt. Dass der ukrainische Botschafter auf dem Bundespresseball am 30. April gemeinsam mit Vitali Klitschkos Ehefrau Natalia für ein Foto posierte, spricht zumindest für eine persönliche Nähe zwischen Andrij Melnyk und Vitali Klitschko. Steinmeier hatte übrigens seine Teilnahme an der Veranstaltung vorab abgesagt.

Dabei ist die Arbeitsteilung klar: Melnyk ist der Mann fürs Grobe, während Klitschko in Richtung Berlin stets die Hand zum Dialog ausstreckt. Und er ist auch mit dem Vokabular vertraut, das in Berlin mit diplomatischen Gepflogenheiten assoziiert wird: Wer davon spricht, dass man „kein Öl ins Feuer gießen“ dürfe, dass man „Brücken bauen“ und die „Position der Europäer vereinen“ müsse, der kennt sich gut aus mit dem politischen Jargon der Berliner Republik. Und sein Bruder Wladimir Klitschko reiste Anfang April nach Berlin, um mit verschiedenen Politikern und Journalisten zu sprechen.

Der Telegram-Kanal der Klitschkos

Vitali Klitschko erwähnt auf seinem ukrainischen Telegram-Kanal die diplomatischen Spannungen zwischen Deutschland und der Ukraine deshalb nicht, weil sie für die Ukrainer nur von sekundärer Bedeutung sind. Viel wichtiger war ihm das Signal, das der Merz-Besuch ausgestrahlt hat: Der wichtigste deutsche Oppositionspolitiker steht an der Seite der Ukraine. Dementsprechend schrieb Klitschko auf Telegram

„Freunde! Heute traf ich mich mit Friedrich Merz, dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei Deutschlands (CDU). Er kam in die Ukraine, um das ukrainische Volk in seinem Kampf um Souveränität und Unabhängigkeit zu unterstützen.

Merz erklärte, dass Deutschlands Position klar ist. Dafür steht insbesondere der kürzlich vom Bundestag verabschiedete Beschluss zu Waffenlieferungen an die Ukraine.

Denn heute, betonte der CDU-Vorsitzende, verteidige die Ukraine nicht nur ihr Land, sondern die Demokratie und Freiheit ganz Europas.

Friedrich Merz war schon immer pro-ukrainisch eingestellt, sowohl was Nord Stream 2 betrifft, als auch die Waffenlieferungen an die Ukraine seit der russischen Invasion. Ich bin dankbar für seine Prinzipientreue und dafür, dass er die pro-europäischen Bestrebungen der Ukrainer unterstützt.“

Warum sich die Klitschkos für deutsche Parteienpolitik interessieren

Dass die Klitschkos sich für die ukrainisch-deutsche Partnerschaft stark machen, erklärt sich daraus, dass sie hier lange gelebt und ihre Boxerkarrieren aufgebaut haben. Sicherlich haben sie schon als Sportler die eine oder andere Bekanntschaft in der Politik machen können. Und seit Vitali Klitschko im Jahr 2010 seine eigene Partei anführt, die auch auf den Maidan-Protesten eine wichtige Rolle gespielt hat, ist er automatisch zu einem Ansprechpartner für deutsche und europäische Politiker geworden. Es ist also kein Zufall, dass er auch in Friedrich Merz’ Terminkalender fest eingeplant war.

Auch sein Bruder Wladimir war nach dem russischen Überfall auf die Ukraine vorn dabei, als es darum ging, in verschiedenen Sprachen für die Unterstützung der Ukraine zu werben. Er forderte die Bürger Russlands und Belarus’ auf russisch auf, gegen den russischen Angriff zu demonstrieren. Und in deutscher Sprache appellierte er am 28. Februar an die Deutschen, Österreicher und Schweizer, Hilfsgelder an die ukrainische Nationalbank zu spenden. Sein Schlusswort: „Lang lebe die Ukraine. Lang lebe Europa!“ 

Merz wirft sich in Schale

Deshalb wird in Kiew sehr genau beobachtet, in welche Richtung sich die deutsche Parteienpolitik entwickelt. Und ob in Deutschland eher Zaudern oder Handeln angesagt ist. Friedrich Merz wiederum bot sein Besuch die Chance, sich gegenüber der Ukraine als Oppositionsführer zu profilieren – was nun auch Bundeskanzler Olaf Scholz unter Zugzwang setzt. Zumal er sich nun als Vermittler in Schale werfen kann, der den Steinmeier-Besuch in die Wege geleitet hat.

Gut möglich, dass Vitali Klitschko ihm allein die Bühne überlässt, damit Merz nach seiner Kiew-Visite Druck auf die Bundesregierung ausüben kann.

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