Terrorismus - Unsere Toten

Nach den islamistischen Anschlägen auf Kirchen und Hotels mieden manche Politiker das Wort „Christen“ wie der Teufel das Weihwasser. Christen sind als Opfer nicht vorgesehen. Eine solche Rhetorik verkennt die Fakten und wird vor künftigem Terror nicht schützen

Die meisten Opfer in Sri Lanka mussten sterben, weil sie Christen waren / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die Zeit, in der wir leben, könnte später einmal die Zeit der Opfergruppen genannt werden. Es wird die Zeit gewesen sein, da individuelles Leid weniger wog als die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die als Gruppe litt oder Leid behauptete. Die gegenwärtige Zeit verbrieft jedem das Recht, sich einer Opfergruppe anzuschließen und im Kollektiv auf Linderung zu drängen. Der Liberalismus der Selbstzuschreibung triumphiert.

Die schlimmen Oster-Attentate von Sri Lanka mit über 350 Toten und über 500 Verletzten stellen nun eine Frage, die eigentlich nicht vorgesehen ist im Kleinklein der Teilmengen: Wer sind wir? Und was ist, wenn wir am Ende doch Christen sind und gerade als Christen Opfer?

Im Fadenkreuz des islamistischen Terrors

Sri Lanka kommt nicht zur Ruhe. Am heutigen Donnerstag gab es eine Explosion vor einem Gerichtsgebäude. Der katholische Erzbischof von Colombo, Malcolm Ranjith, sagte aus Sorge um die Sicherheit seiner Glaubensgeschwister alle Gottesdienste bis zum Ende dieser Woche ab. Die Christen sehen sich unvermindert im Fadenkreuz islamistischen Terrors. Unsere westliche Sprechweise ist auf solche realen Zumutungen kaum eingestellt. Die Begriffe implodieren. Das Klügeln und Vernünfteln, das sich sonst über jede Störung des Betriebsfriedens legt, alle Einrede abdichtet, hat Pause.

Bei Barack Obama etwa, wenn der ehemalige US-Präsident im Einklang mit vielen demokratischen Parteikollegen die in drei Kirchen am höchsten Feiertag der Christenheit hingeschlachteten Menschen als „Eastern worshippers“ irrealisierte, um nicht das unanständige Wort von den Christen in den Mund nehmen zu müssen. Schlimmer noch bei der einstigen US-Außenministerin Hillary Clinton, die neue Religionen erfand, damit sie sagen konnte, das Osterwochenende sei „vielen verschiedenen Glaubensrichtungen“ heilig – als wären Ostern und Pessach dasselbe und als gäbe es weitere Kulte nach dem ersten Vollmond im Frühling.

Keine Christen, sondern „Betende“

Hierzulande tänzelten manche getaufte Politiker wie Ralf Stegner oder Heiko Maas (beide SPD) um den Kern der Wahrheit und erinnerten angesichts der Massaker instinktlos an „Hunger oder Umweltzerstörung, (…) globale Gerechtigkeitsfragen“ (Stegner) oder enttauften die Katholiken und erklärten sie zu unbestimmt „Betenden“ (Maas). Das Faktum aber war schon damals so klar wie brutal, wie es sich erst heute auch in der Redeweise Bahn bricht: Die meisten Opfer mussten am 21. April sterben, weil sie Christen waren. Das genügte, und das genügt leider in vielen Ländern, in denen, anders als in Sri Lanka, Christen die Minderheit und Muslime die Mehrheit stellen.

Der Moslem, der Christen tötet, weil es Christen sind, gehört einer größeren Gruppe an als der Christ, der Muslime umbringt, weil es Muslime sind. Insofern ist es ein produktiver Erkenntnisschock, wenn die politische Sprache sich langsam durchringt zu einer neuen Ehrlichkeit; wenn nun etwa Michael Theurer von der FDP an „mehr als 100 Millionen Christen“ erinnert, denen keine Religionsfreiheit zukommt, oder wenn Sven Giegold von den Grünen die bedrohte Lage vieler Christen weltweit klar ausspricht.

Im angstgetriebenen Allverbrüderungswahn

Christen sind zunehmend Opfer. Diese hierzulande wieder zu erarbeitende Erkenntnis deckt sich mit weiten Teilen der Weltgeschichte, kam uns jedoch im heutigen Westen lange als Anomalie vor. Die Anschläge von Sri Lanka markieren die Rückkehr des Christentums in seinen martyrologischen Normalzustand. Der Zeuge, kulminierend im Blutzeugen, ist theologisch identisch mit dem Christen. Im selben Maß, in dem haupt- und ehrenamtlichen Christen das christliche Bekenntnis abtrainiert wird, von Bischöfen und anderen, steigt das Risiko, für das verleugnete Bekenntnis mit dem Leben zu bezahlen. Noch der laueste Kulturchrist ist in den Augen seiner Feinde ein hassenswerter Bekenner.

Und wie ergeht es uns Westlern, die wir dem Christentum nur historischen Rang zuerkennen? Wir sitzen mit den Zeugen auf derselben Anklagebank. Der Westen entkommt seiner christlichen Genese nicht – jenseits aller praktisch ausgeübten Religion. Wer im angstgetriebenen Allverbrüderungswahn, in jener politischen Mischung aus Ignoranz, Desinteresse und Feigheit, „Szenen aus der Hölle“ umkostümiert zu Territorialkämpfen mit zufälligem Personal, der bereitet sich ein Grab, das er nicht sehen will. Die Zeit, da wir vor lauter Identitätskämpfen unsere Identität meinten verleugnen zu können, ist vorüber. Es sind unsere Toten.

 

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