Sputnik V - Verlierer im „Space-Race“ um den besten Impfstoff

Am Wochenende haben in Moskau die ersten Massenimpfungen mit Sputnik V begonnen. In der Berichterstattung dominieren aber westliche Covid-19-Impfstoffe. Aber warum kommt Sputnik V darin kaum noch vor?

Geisel der Politik im Wettbewerb um den erfolgreichsten Impfstoff: Sputnik V / dpa
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Simone Brunner lebt und arbeitet als freie Journalistin in Wien. Sie hat in Sankt Petersburg und in Wien Slawistik und Germanistik studiert und arbeitet seit 2009 als Journalistin mit Fokus auf Osteuropa-Themen.

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Er hat eine eigene Homepage in acht Sprachen, einen eigenen Instagram-Account und mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einen mächtigen Fürsprecher: der Impfstoff Sputnik V. Gerade dieser Tage machte der russische Impfstoff wieder Schlagzeilen, wenngleich vor allem im eigenen Land.

Am Wochenende haben in Moskau an 70 Impfzentren die ersten Massenimpfungen mit dem Covid-19-Impfstoff begonnen, einige Tage vor dem Start der Covid-19-Impfungen in Großbritannien. Vorrangig werden in Russland Risikogruppen geimpft, wie Ärzte, Lehrer und Beschäftigte im öffentlichen Verkehr. Doch anders als im Sommer, als unter großem Medieninteresse über den weltweit ersten zugelassenen Impfstoff „Sputnik V“ berichtet wurde, hielt sich das Interesse der Medien diesmal in Grenzen.  

Impfstoffe aus dem Westen stehen im Fokus 

Dabei sollte der Name Programm sein: Wie beim Start von Sputnik am 4. Oktober 1957, der als erster Satellit die Erde umkreiste, sollte der Impfstoff weltweit für die Pionierarbeit der heimischen Wissenschaft stehen und Russlands Bedeutung in der geopolitischen Arena unterstreichen.

Doch anno 2020 ist der so genannte „Sputnik-Schock“, wie die Reaktionen auf das Sowjet-Experiment damals im Westen, mitten im Kalten Krieg, bezeichnet wurden, ausgeblieben. Längst beherrschen die westlichen Impfstoffe von Pfizer-BioNTech, Moderna oder AstraZeneca die internationalen Schlagzeilen. Als der US-Unternehmer Bill Gates von den fünf aussichtsreichsten Covid-19-Impfstoffkandidaten sprach, nannte er Sputnik V nicht. Warum? 

Die Sputnik-Entwickler in der Kritik 

Das staatliche Gamaleja-Institut in Moskau, das Sputnik V entwickelt hat, gilt eigentlich als angesehenes Forschungszentrum für Epidemiologie. Doch seinem Anspruch, der globale Impfstoffpionier zu sein, konnte Sputnik V bisher nicht gerecht werden. Seit seiner Zulassung im August häuft sich die Kritik am russischen Entwicklungs- und Testverfahren, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes: Zu wenige Testpersonen, zu kurze Intervalle, zu dürftige Datenlage, so Swetlana Sawidowa von der russischen Assoziation der Organisationen für klinische Studien (AOKI). Zugleich liegen die Daten über die dritte und entscheidende klinische Testphase noch nicht vor, so der Infektiologe Leif Erik Sander an der Berliner Charité gegenüber ZDF

Derweil sickern hinter der staatlichen russischen PR-Fassade immer wieder Hiobsbotschaften durch. Reuters berichtete zuletzt, dass ärztliches Personal gezwungen worden sein soll, „freiwillig“ an den russischen Impfstofftests teilzunehmen. Technische Probleme soll es zudem vor allem bei der Aufgabe geben, den Impfstoff in der angemessenen Menge herzustellen. Während Putin zuletzt zwei Millionen Impfdosen bis Jahresende in Aussicht gestellt hatte, stehen laut Recherchen des Online-Portals Meduza aktuell nicht mehr als 500.000 Dosen bereit – bei einer Bevölkerung von insgesamt 140 Millionen Russen. 

„Space Race“ mit dem Westen 

Für Irritationen sorgten zudem immer wieder die Jubelmeldungen zur Wirksamkeit der russischen Vakzine – oder besser gesagt, der Zeitpunkt dieser Meldungen: Während Pfizer-BioNTech zuletzt eine Wirksamkeit von 90 Prozent aufweisen soll, lancierten die russischen Entwickler just am nächsten Tag die Meldung, dass die Wirksamkeit von Sputnik mit 92 Prozent um zwei Prozentpunkte höher liege, als bei der westlichen Konkurrenz.

Als der US-Entwickler Moderna später von einer 94-prozentigen Wirksamkeit bei der Covid-19-Impfung sprach, schraubte Russland die Wirksamkeit wenige Tage später auf 95 Prozent hoch. Obendrein kündigte Putin vorige Woche den Start der russischen Massenimpfungen in Moskau über das russische Staatsfernsehen an – just wenige Stunden, nachdem die Briten angekündigt hatten, bereits diese Woche mit den Massenimpfungen für die Risikogruppen zu beginnen.  

Wissenschaftler wollen nicht zur Geisel der Politik werden

Alles nur Zufall? Oder bleibt die Qualität des russischen Impfstoffs in diesem neuen Covid-19-„Space Race“ auf der Strecke? Genau davor warnen russische Wissenschaftler in einem offenen Brief, der diese Woche, am Donnerstag, veröffentlicht wurde. „Diese völlig inakzeptable politische Aktion, einen Wettbewerb zwischen den unterschiedlichen Impfstoffen herzustellen, ist eine Verletzung wichtiger wissenschaftlichen Standards“, schreiben die Unterzeichner, angeführt vom Epidemiologen und Ex-Berater des russischen Gesundheitsministeriums, Wassilij Wlasow. Eine eigentümliche „Race-Atmosphäre“ habe die Impfstoff-Entwickler zu „Geiseln“ politischer Ziele gemacht. „Das gefährdet die Impfstoff-Testungen und stellt somit eine Gefahr für die Gesundheit der Russen dar“, heißt es im Dokument weiter.  

Es ist gerade dieser Sputnik-Spin, der dem russischen Impfstoff letztlich auch international mehr geschadet, als geholfen habe, glaubt indes die Politologin Judy Twigg, die an der Virginia Commonwealth University zu den Gesundheitssystemen in Eurasien forscht. Wenngleich sie davon ausgeht, dass der Impfstoff Sputnik V an sich wohl sicher und effektiv gegen Covid-19 wirken könnte – immerhin gilt die Impfstoffentwicklung in Russland als etabliert – „aber die Art und Weise, wie Russland Sputnik V von Anfang an präsentiert hat“ – etwa durch die frühe Zulassung vor der Testphase oder den vollmundigen Ansagen ohne Datenlage – habe „den Impfstoff in den Augen der internationalen Wissenschaftscommunity diskreditiert“, so Twigg zu Cicero.   

Ein Impfstoff für die Schwellenländer? 

Dennoch heißt das nicht, dass Sputnik global unbedeutend sein könnte. Während sich die reichen Industriestaaten bereits ihre Impfstoffdosen bei den westlichen Entwicklern gesichert haben, haben die Russen bereits viele Lizenz- und Produktionsvereinbarungen mit Ländern im post-sowjetischen Raum, in Lateinamerika oder im Nahen Osten unterschrieben. Neben Indien soll Sputnik V noch in Brasilien, China und Südkorea produziert werden, so der Russian Direct Investment Fond in einem Statement. Sputnik V könnte so der Impfstoff für die Schwellenländer und ärmeren Länder werden, glaubt Twigg – allen Vorbehalten zur bisherigen Datenlage zum Trotz.  

Derweil sind in Russland die Infektionszahlen, wie in vielen anderen Ländern, explodiert.  Laut einer Umfrage des Moskauer Lewada-Instituts wollen sich dennoch nur 36 Prozent der Russen mit Sputnik V impfen lassen. Am Wochenende ist der große Ansturm auf die Impfzentren ausgeblieben, wie der unabhängige TV-Sender „Doschd“ zuletzt in einer Vor-Ort-Reportage berichtete. Besonders groß ist die Impfskepsis unter Ärzten und medizinischem Personal – die eigentlich die Fürsprecher einer frühen Impfung gegen Covid-19 sein sollten. Und Putin? Der wolle sich vorerst nicht impfen lassen, so sein Sprecher zuletzt. „Jetzt werden erst einmal alle Prozeduren abgeschlossen, und wenn er es für notwendig hält, wird er danach darüber Auskunft geben.“ 

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