Spanien - Der lange Schatten von Bürgerkrieg und Diktatur

Vor 80 Jahren putschte General Francisco Franco gegen die spanische Republik. Ein dreijähriger, blutiger Bürgerkrieg begann. Der Konflikt prägt Spaniens Politik und Gesellschaft noch heute

General Franco winkt vom Balkon des Schlosses in Madrid der Menschenmenge zu / picture alliance
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Julia Macher lebt als Journalistin in Barcelona und berichtet seit vielen Jahren von der iberischen Halbinsel.

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Keine königliche Ansprache, keine Verurteilung des Militärputsches und der darauf folgenden, fast vierzigjährigen Diktatur, keine Trauerfeier für die 500.000 Toten, die halbe Million Flüchtlinge: Am 18. Juli jährt sich der Beginn des Bürgerkrieges zum 80. Mal. Doch das offizielle Spanien schweigt.

Das liegt nicht daran, dass das Land nach den zweiten Wahlen in sechs Monaten immer noch damit beschäftigt ist, eine neue Regierung zu finden – am Dienstag tritt erstmals das Parlament zusammen: Spanien tut sich mit seiner Vergangenheit schwer, belässt Bürgerkrieg und Diktatur lieber im Ungewissen, statt sich einem zu allen Seiten gleichermaßen kritischen Dialog zu stellen. Immer noch liegen über hunderttausend überwiegend republikanische Bürgerkriegsopfer anonym verscharrt unter der Erde, die Menschenrechtsverletzungen der Diktatur sind auf Grund des generösen Amnestiegesetzes weiter ungesühnt.

Befremdliche Franco-Begeisterung

Solches Nicht-Handeln schafft ein Klima, in dem sich alte Vorurteile konservieren – mit erheblichen Folgen auf die politische Kultur. Selbst im Wahlkampf flammten jüngst die alten Bürgerkriegs-Topoi auf: Da sahen rechtskonservative Medien „Spanien vor den Türen eines revolutionären Kommunismus“ und perplex registrierte die spanische Öffentlichkeit, wie die Kleinstadt Guadamur bei Toledo Diktator Franco als Staatsmann feierte, der Spanien vor dem Zweiten Weltkrieg bewahrt habe. Im Dorf reagierte man auf die mediale Entrüstung mit Unverständnis („Ohne Franco hätten hier viele keinen Job“) und irgendwann wurde die Affäre dann mit resigniertem Schulerzucken ad acta gelegt.

Die Unkenntnis über Franco ist groß, das fördert die Mythenbildung, so gehen Affekt und Geschichtsvergessenheit Hand in Hand. Seine Schüler sähen sich immer noch als Urenkel der Bürgerkriegssieger, die das Land vor der Gefahr des Kommunismus gerettet hätten, oder als Nachkommen der gedemütigten Kriegsverlierer, konstatierte jüngst ein Lehrer in der NZZ. Gleichzeitig wussten in einer Befragung von 2014 wussten dreißig Prozent der Lehramtsstudenten nicht, wie lange Franco regierte – knapp vier Jahrzehnte; 80 Prozent nicht, wann die letzten Todesurteile vollstreckt wurden – im Herbst 1975, nur Wochen vor dem Tod des Diktators.

Francos Einfluss hielt auch nach seinem Tod an

Diese Unkenntnis ist umso erstaunlicher, als dass die Diktatur die Demokratie ganz wesentlich mitgeprägt hat und sie in Teilen noch bis heute bestimmt. Es war Franco, der Juan Carlos I. zum Staatsoberhaupt bestimmte. Es waren die franquistischen Cortes, die das Parteiengesetz reformierten und gemeinsam mit der Franco-Opposition die Weichen für Wahlen und Verfassung stellten. Politisch war die transición, der friedliche Übergang von der Diktatur zu Demokratie, eine Meisterleistung. Aber die Bruchlosigkeit macht den Übergang zugleich zum Geburtsmakel der spanischen Demokratie.

Francos Minister blieben Strippenzieher, nicht im Parlament, aber in den Verwaltungsräten der großen spanischen Unternehmen, bei Endesa, La Caixa, Telefónica, Iberdrola. Francos Richter wechselten vom Gericht der Öffentlichen Ordnung zum Obersten Gerichtshof. Eine Hypothek, die Spanien trotz Reformen, trotz Generationenwechsel noch heute nicht gänzlich überwunden hat: „Francos Politiker hatten keine Schuldgefühle, es gab nichts, wofür sie sich schämen mussten – diese Haltung hat sich auf die Nachfolgegeneration vererbt“, diagnostiziert der katalanische Historiker Joan B. Culla: Wer in Milieus großgeworden ist, in denen nie ein schlechtes Wort über Franco fiel, zeige autoritären Praktiken gegenüber eine größere Toleranz.

Die Resistenz der katholischen Kirche Spaniens

Im unabhängigkeitsbewegten Katalonien erklärt man mit diesem Deutungsmuster alle möglichen Absonderlichkeiten Spaniens: von der grassierenden Korruption bis zur Abhöraffäre um den Innenminister Jorge Fernández Díaz, der sich der staatlichen Antikorruptionsbehörde bediente, um politische Gegner zu diskreditieren. So schmissige Pauschalurteile halten keiner historischen Analyse stand und sind zuvorderst politischem Opportunismus geschuldet.

Am sichtbarsten fällt der lange Schatten von Bürgerkrieg und Diktatur immer noch auf die katholische Kirche Spaniens. Störrischer als anderswo stellt sie sich dem Modernisierungsschub durch Papst Franziskus entgegen und gehörte in den letzten Jahren zu den entschiedensten Gegnern jeder Gesellschaftsreform, jeder vergangenheitspolitischen Maßnahme. Sie organisierte Massendemonstrationen „für den Erhalt der Familie“, las vor Francos gigantischem Totenmal im Valle de los Caídos Feldmessen gegen die „Verfolgung der Gläubigen“.

Auch die Konservativen kokettieren mit autoritärer Führungsrethorik

Auch die konservative Volkspartei Partido Popular ist nicht frei von Marotten dieser Art. Tatsächlich rang sich die Nachfolgerin der von Manuel Fraga, Francos Informationsminister und kurzzeitigem Regierungspräsidenten, gegründeten Alianza Popular, erst sehr spät, erst 2002, zu einer Verurteilung des Putsches durch. Und noch immer finden sich am rechten Rand der ideologisch breit aufgestellten Formation viele, die mehr oder weniger offen mit Francos autoritären Führungsstil kokettieren.

Es ist kein Zufall, dass die einzige vergangenheitspolitische Maßnahme der PP war, das im Erinnerungsgesetz vorgesehene Budget für Exhumierungen auf Null Euro herunter zu fahren. Am schwersten wirken allerdings die ideologischen Altlasten. Als Mariano Rajoy am 26. Juni überraschend deutlich die Wahlen gewann, feierten das seine Anhänger mit Spanienfahnen und „Yo-soy-español , español, español-“Chören und aus Rajoys wirrer Dankesrede stach eine einzige Idee heraus: „Die Fahne der Partido Popular ist die Fahne Spaniens; der Partido Popular ist Spanien.“

Die Identifikation einer einzigen Partei mit einer Nation - das müffelt nicht nur nach Diktatur, sondern zeugt auch von einer Haltung, die bereits in der letzten Legislatur zu einer Zuspitzung des territorialen Konflikts und des Dauerzanks mit der katalanischen Regionalregierung beitrug: Was Spanien ist, bestimmen wir. Wer etwas anderes will, mit dem reden wir gar nicht. Aller Voraussicht nach wird dieser lange Schatten aus der Vergangenheit auch in der kommenden Legislatur zur Hypothek werden. Es ist das letzte, was das Land gebrauchen kann.

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