Die Zukunft der Verteidigungspolitik in Deutschland und Europa - „How dare you“

Die Nato-Verteidigungsminister haben neue Ziele vereinbart, um sich künftig besser gegen Angriffe zu schützen. Auch unsere Gastautoren meinen, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik müssten hierzulande endlich einen höheren Stellenwert erhalten, insbesondere unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit.

Die Staats- und Regierungschefs der Nato versammeln sich zu einer Sitzung im Nato-Hauptquartier in Brüssel im Jahr 2018 / dpa
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Joseph Verbovszky ist Schatzmeister des Vereins Atlantic Community und Doktorand an der Universität der Bundeswehr in München.

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Philipp Mühl ist Vorstandsvorsitzender des Vereins Atlantic Community und Master-Student der International Affairs an der Hertie School in Berlin.

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Bei der Bundestagswahl, in den Sondierungen und in den aktuellen Koalitionsverhandlungen ging und geht es vor allem um ein Thema: die Zukunft. Zukunft, das bedeutet Generationengerechtigkeit, das heißt vor allem Klimaschutz, Digitalisierung und Schuldenbremse. Doch so wichtig der Umbau Deutschlands zu einer klimaneutralen, digitalisierten Gesellschaft mit nachhaltigen Staatsfinanzen und Sozialsystemen ist, so klammern wir ein anderes Zukunftsthema beständig aus: die Verteidigung – und somit die internationale Sicherheit. Und diese ist nur zu erhalten durch ein strategisch denkendes, in der Nato verankertes Deutschland.

Die Ausklammerung dieses Themas im politischen Diskurs ist eigenartig, auch gerade deshalb, weil ein Großteil der Bevölkerung die Allianz unterstützt. Vor einem Jahr äußerten bei der jährlichen Bevölkerungsbefragung des Zentrums für Militär und Sozialwissenschaften der Bundeswehr 71 Prozent der Befragten, Deutschland müsse der Nato angehören, um seine Sicherheit zu gewährleisten. Das Sicherheitsgefühl der Deutschen ist dabei geprägt von Themen, die klassischerweise selten mit der Nato in Verbindung gebracht werden: So tritt der Klimawandel als Bedrohung in den Vordergrund, noch vor Terrorismus, Cyberangriffen und der Entwicklung Russlands oder Chinas. Dabei hat die Bevölkerung mit dieser Gefahrenanalyse eigentlich völlig recht. Was aber fehlt, ist der politische Wille, diese Themen gesamtheitlich und sicherheitspolitisch und damit „strategisch“ zu denken.

Das machen die anderen, im Zweifel die USA

Deutschland profitiert seit der Wiedervereinigung bis heute von einer ganz individuell interpretierten Friedensdividende: Unter dem Schutzschirm der Nato mussten wir uns gar nicht mit dem schwierigen, teils als schmutzig empfundenen und von Abwägungen und Konflikten geprägten Thema der internationalen Sicherheitspolitik beschäftigen. Das machen die anderen, im Zweifel die USA. Doch mit der Wiedervereinigung zeigte sich auch die Schattenseite der Friedensdividende: Europa hat nicht mehr strategische Priorität für die USA. Mit Chinas Aufstieg wanderte der Fokus stattdessen nach Asien. Wie sich dieses geopolitische Umdenken am Ende wirklich ausprägt, das wissen wir noch nicht.

Was wir aber schon heute wissen, ist, dass Deutschland und Europa – auch aufgrund einer zu wenig modernen und noch lange nicht voll ausgestatteten Bundeswehr – absehbar nicht in der Lage sein werden, dieses abnehmende US-Engagement in Europa zu ersetzen. Bei Stimmen, die eine Auflösung der transatlantischen Partnerschaft gutheißen, sollte man grundlegend überdenken, was für ein Weltbild und welche globale Rolle Deutschlands darin diesen Forderungen unterliegt.

Der Westen hat an Macht eingebüßt

Unsere junge Generation, die „Generation Zukunft“, um die in diesem Wahlkampf so gefeilscht wurde, steht einer Welt gegenüber, in der die Herausforderungen zunehmen: Neue und alte nicht-demokratische Mächte unterlegen ihre Gestaltungsansprüche mit militärischen Drohungen. Neue Technologien, teils verbunden mit nuklearen Fähigkeiten, und die neuen Domänen Cyber und Weltraum verändern die Kriegsführung von morgen und erfordern schnelle Anpassungen des Westens, der relativ an Macht eingebüßt hat. Aber auch Bedrohungen nicht-staatlicher Akteure wie etwa Terroristen fordern sicherheitspolitische Vorsorge. Zusätzlich kann der Klimawandel Krisen und Konflikte verstärken, gerade auch in der europäischen Nachbarschaft. Wer vor diesen Bedrohungen und ihren komplexen Zusammenhängen die Augen verschließt und Deutschlands geopolitischen „Sonderweg“, der kein strategisches Denken und keine sicherheitspolitischen Fähigkeiten verlangen würde, fortsetzt, begeht am Ende ebenso einen Verrat an der jungen Generation, wie es jüngst eine uns allseits bekannte Heldin der Schülergeneration anmahnte: „How dare you.“

Mancher wird begegnen, Deutschland sei doch Treiber wichtiger sicherheitspolitischer Initiativen: Die Nato-Präsenz an der Ostflanke und neue Instrumente wie die Nato-Speerspitze oder die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (SSZ) in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU hatten starke deutsche Unterstützung. In Afghanistan waren wir und in Mali sind wir unter den größten Truppenstellern. Aber diese Entscheidungen waren eher taktisches Stückwerk und Symbolpolitik und sind selten einer vorwärtsgewandten, klaren strategischen Vision gefolgt. Darüber hinaus werden Verteidigungspolitiker in Parteien noch immer stiefmütterlich behandelt. Eine gesellschaftliche Debatte findet nicht statt. Damit befindet sich das verhältnismäßig reiche Deutschland auf einem Sonderweg, der sowohl Europas als auch der transatlantischen Sicherheit schaden wird.

Europa ist ohne Deutschland nicht handlungsfähig

Das kann uns als junger Generation, die die Früchte der europäischen Einigung trägt, nicht egal sein. Denn wer Europa stärken will, der muss auch Verteidigung anpacken. Deutschland ist so groß, dass die Europäer in Nato und EU ohne ein starkes Deutschland nicht handlungsfähig sein werden. Schon heute machen die Verteidigungshaushalte von Frankreich und Deutschland 50 Prozent der EU-Ausgaben aus, aber Frankreich investiert deutlich mehr – nicht nur finanziell, sondern auch durch politischen Willen. Gerade die kleineren Nationen brauchen uns als starken Partner. Ehrliche Generationengerechtigkeit bedeutet, diese Zusammenhänge mitzudenken.

Deshalb ist es höchste Zeit zu erinnern: Nicht nur die Schuldenbremse steht im Grundgesetz, und nicht nur die Digitalisierung und der Klimawandel verpflichten die Politik zum Handeln. Auch die Sicherheit der Bürger ist ein Staatsziel, das es stets für die Zukunft zu verwirklichen gilt. Uns, die junge Generation, interessiert es daher, welche Rolle Deutschland und auch die Bundeswehr künftig in einer gefährlich werdenden Welt spielen wird. Genau diese Fragen werden schon heute beantwortet werden müssen. Das Sondierungspapier einer möglichen Ampel-Koalition hat für diese Themen auf den letzten anderthalb Seiten gerade noch so Platz gefunden, aber, um es mit Greta Thunberg zu halten: „The world is waking up. And change is coming whether you like it or not.“

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