Shutdown in den USA - Mach's wie Trump, nur mit links

Der Shutdown lähmt die US-amerikanische Politik. Präsident Donald Trump und die Abgeordneten der Demokraten finden keinen Kompromiss. Die Demokraten machen Trumps Maximalforderungen dafür verantwortlich. Aber ihr neuer Star Alexandria Ocasio-Cortez steht ihm kaum nach

Hoffnung vieler Demokraten: Alexandria Ocasio-Cortez / picture alliance
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Andreas Backhaus studierte Volkswirtschaftslehre in Deutschland, Polen und Frankreich. 2018 wurde er an der LMU München promoviert. Er arbeitet in der europäischen Politikberatung

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Wieder einmal blockiert sich die politische Führung der USA in einem nicht enden wollenden Shut- bzw. Showdown. Auf der einen Seite steht der republikanische Präsident Donald Trump, auf der anderen stehen die demokratischen Senatsveteranen Nancy Pelosi und Chuck Schumer. Da machen sich neue, junge Gesichter gut, und viele Demokraten überschlagen sich geradezu in ihrer Begeisterung  für ein besonders junges Gesicht: Alexandria Ocasio-Cortez, kurz AOC, wie ihr Twitter-Kürzel lautet. In den Vorwahlen der Midterms 2018 setzte sie sich in einem New Yorker Wahlbezirk zuerst gegen einen Parteifreund und Amtsinhaber durch und gewann anschließend den dazugehörigen Sitz im Repräsentantenhaus. Gerade hat die 29-Jährige ihren Dienst als jüngste Kongressabgeordnete in der Geschichte der Vereinigten Staaten angetreten.

Ocasio-Cortez ist eine Replikation von Trump

Jung, weiblich, attraktiv, mit Migrationshintergrund – alles Attribute, die insbesondere für eine politische Karriere in der Demokratischen Partei hilfreich sind. Aber wie ist es um die politischen Themen und Inhalte von AOC bestellt? Die politische Linke feiert sie dafür, dass es kaum ein linkes Themenfeld gibt, auf dem sie nicht neue, radikale Forderungen stellt. Aus demselben Grund ist sie auf der politischen Rechten bereits zur Inkarnation des drohenden US-amerikanischen sozialistischen Terrors geworden.

Hat die Linke in AOC also endlich einen brauchbaren Gegenentwurf zum Präsidenten Trump gefunden, und zwar in jeder nur denkbaren Hinsicht? Das dürfte bezweifelt werden. Denn der erfolgreiche Politikstil von Ocasio-Cortez ist kein Gegenentwurf zu dem von Trump – er ist eine sehr gute Replikation.

Als Beispiel sei Ocasio-Cortez kürzlicher Vorschlag eines Spitzensteuersatzes von 70 Prozent genannt. Den brachte sie unter dem Verweis vor, nur Radikale hätten in den USA jemals politische Veränderungen bewirkt. Wer glaubt, AOC habe ihren Vorschlag auf Basis eines durchdachten ökonomischen Konzepts gemacht, verfehlt den Kern der Sache.

Der an Enteignung grenzende Vorschlag von AOC zum Thema Steuern weckt Erinnerungen an die Ankündigung eines ehemaligen Präsidentschaftskandidaten, im Falle seines Wahlsiegs Millionen illegaler Einwanderer zu deportieren. Auch diese Initiative lag völlig außerhalb des politisch denkbaren und praktikabel durchführbaren Raumes. Der Kandidat hieß Donald J. Trump und der hat bekanntlich trotz seiner schockierenden Aussagen – oder gerade wegen eben dieser – die Wahl gewonnen.

Die Strategie der Maximalforderung

Wohlgemerkt haben die angekündigten Massendeportationen bisher nicht stattgefunden. Die Mehrheit der politischen Beobachter, die Trumps Wahlsieg nicht haben kommen sehen, erklären dieses Ausbleiben gerne mit der chaotischen Inkompetenz, die sie dem Präsidenten unterstellen. Andere Beobachter, die von Trumps Aufstieg weniger überrascht waren, erkennen sowohl in Trumps Deportationsdrohung, als auch in Ocasio-Cortez astronomischer Steuersatzforderung, das gleiche effektive Prinzip, um eine Debatte zu dominieren.

Gehe mit einer unannehmbar hohen Forderung in das Gespräch hinein, ziehe dadurch alle Aufmerksamkeit auf dich und sobald du als Folge davon Klima und Richtung der Diskussion bestimmst, ist es Zeit, die Forderung langsam an das realistisch Machbare anzugleichen. Der Aufschrei über die Undurchführbarkeit der initialen Forderung und die deshalb offensichtliche Inkompetenz des Fordernden sind dabei kein unerwünschter Nebeneffekt, sondern eben genau das Mittel zum Zweck, um einem Thema den eigenen Namen aufzudrücken. Genau wie sich niemand mehr an andere Vorschläge als die von Trump  zur Einwanderungspolitik aus dem (Vor-)Wahlkampf 2016 erinnert, dürfte auch die Steuerrate von 70 Prozent  noch lange in den Köpfen der Kommentatoren und Wähler haften bleiben.

Es besteht wohlgemerkt ein großer und wichtiger Unterschied dazwischen, mit einem populistischen Politikstil an die Macht zu gelangen und anschließend mit diesem Stil tatsächliche Politik zu machen. Trumps Maximalforderung mit Blick auf den Bau der Mauer, der  „big beautiful wall“, für die Mexiko auch noch bezahlen würde, hat die Demokraten veranlasst, die maximale Gegenposition zu beziehen: offene Grenzen. Daraus ergibt sich nun die Schwierigkeit, eine Kompromisslösung zu finden, die jede Seite dennoch als ihren Sieg verkaufen kann. Das vorläufige Ergebnis ist der gegenwärtige totale Stillstand. Dennoch scheint sich auch in der demokratischen Partei die Ansicht durchzusetzen, nur mit einem polarisierenden und populistischen Stil habe man aktuell die Chance, überhaupt wieder in Machtpositionen zu gelangen.

Die Faktenprobleme von Ocasio-Cortez

Dabei mag auch ein Blick auf den Umgang von AOC mit den neuerdings modernen Faktencheckern für Stirnrunzeln sorgen, macht AOC doch Politik für die Partei, die sich gemeinsam mit den Medien dafür auserkoren hält, den Präsidenten tagtäglich der Lüge zu überführen. Die Website PolitiFact beispielsweise hat während der jungen Karriere von AOC bereits fünf von sechs ihrer Aussagen als falsch bewertet, eine davon sogar mit dem noch weniger schmeichelhaften Label „Pants on fire!“. Darauf angesprochen, feuerte AOC eine Breitseite gegen die Faktenchecker ab, die man in dieser Form sonst nur von Trump kannte: Die Faktenchecker seien in der Auswahl der Politiker, deren Aussagen sie überprüfen, tendenziös und unfair. Sie hätten Ocasio-Cortez Aussagen bereits genauso oft einem Faktencheck unterzogen, wie die von Trumps Sprecherin Sarah Huckabee Sanders, obwohl letztere bereits viel länger im Amt sei.

Wäre Trump der Verfasser der entsprechenden Tweets gewesen, so wäre er von politischen Kommentatoren gewiss als dümmlich und kindisch gescholten worden. Doch genau wie Trumps Tweets sind auch die Kurzmitteilungen von AOC simpel, aber gleich aus mehrfacher Hinsicht effektiv konstruiert:

Einerseits lenkt AOC die negative Aufmerksamkeit über ihre wackligen Fakten weg von sich selbst und hin zu Trumps Sprecherin Huckabee Sanders. Ihren faktengläubigen Kritikern auf der Linken suggeriert AOC damit: Wollt ihr euch nicht lieber mit der wahren Gegnerin befassen, anstatt mir nachzustellen? Dem Köder in Gestalt der verhassten Trump-Gehilfen werden viele nicht widerstehen können. So ist es schließlich auch bequemer für sie.

Andererseits lässt sich der Vorwurf des tendenziösen und unfairen Factcheckings am besten als „directionally accurate“, also „in der Richtung zutreffend“, beschreiben. Damit ist gemeint, dass eine solche Behauptung sich nicht exakt mit der Realität decken muss, um eine Wirkung zu erzielen – es reicht vollkommen aus, wenn die Richtung stimmt. Ist der Gedanke denn so  abwegig, dass AOC als junge Wilde von den etablierten Faktencheckern härter angefasst wird, als Politiker des demokratischen Establishments wie Hillary Clinton oder Joe Biden? Genauso wird kaum noch jemand die Frage verneinen, ob der Präsident Trump von den Medien härter und mitunter auch unfairer angegangen wird, als der Präsident Obama.

Der Vorteil einer fehlenden politischen Vergangenheit

In einem Interview in der Fernsehsendung „60 Minutes“ ging AOC sogar noch einen Schritt weiter und behauptete, die Faktenchecker würden in ihrem Tun den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen: Sie seien mehr um Präzision, Faktentreue und Semantik besorgt als darum, was moralisch richtig sei. Der Trump-Kritiker Ian Bremmer stellte daraufhin die offensichtlichen Parallelen zur Argumentationsweise des US-Präsidenten, als auch der Pro-Brexit-Bewegung heraus.

Gegenüber dem Establishment ihrer Partei hat AOC außerdem auf Grund ihres Alters denselben Vorteil, den Trump auf Grund seines Lebens als Geschäftsmann gegenüber dem republikanischen Establishment hat: Ihnen beiden fehlt eine politische Vergangenheit, und gerade deshalb können sie sehr flexibel agieren, wenn die praktische Politik es verlangt. Die Senatorin Elizabeth Warren dagegen, die bereits ihre Bewerbung um den Posten der demokratischen Präsidentschaftskandidatin angekündigt hat, kann das nicht tun. Sie muss sich zumindest vorhalten lassen, dass sie in der Vergangenheit Positionen vertreten hatte, die heute auf Grund des „progressiven“ Trends der Partei praktisch ein No-Go geworden sind. Zudem haftet Warren der lange Streit um ihre von ihr selbst behauptete, aber letztendlich nicht nachweisbare Abstammung von den amerikanischen Ureinwohnern an. Ein vollkommen irrelevantes Thema, so möchte man vermuten, jedoch eine ideale Gelegenheit für Trump, ihr den Spitznamen „Pocahontas“ anzuheften. So konnte er Warrens Kampagne gleich zu Anfang lächerlich zu machen.

Gegen Trump selbst wird AOC wegen des Mindestalters für das Präsidentenamt von 35 Jahren übrigens nicht antreten. Sollte Alexandra Ocasio-Cortez jedoch ihre Karriere mit Hilfe trumpscher Methoden erfolgreich fortsetzen und eines Tages ins Weiße Haus einziehen, so wird ihre Amtseinführung gewiss die größte jemals gesehene Schar an Zuschauern nach Washington D.C. ziehen. Zumindest würde sie das, wie Trump, behaupten.

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