Seenotrettung im Mittelmeer - Im Boot wartet nicht das Paradies

Italienische Behörden haben ein Schiff der deutschen Hilfsorganisation „Jugend rettet“ beschlagnahmt. Diese hatte sich geweigert, einen Verhaltenskodex für die Rettung von Flüchtlingen zu unterzeichnen. Der ist aber dringend nötig

Private Hilfsorganisationen gefährden womöglich mehr Menschen, als sie retten können / picture alliance
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Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor. Er unterrichtet politischen Journalismus.

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Jeder Seemann, jedes Schiff, jeder Freizeitkapitän ist verpflichtet, Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Das gebieten das internationale Seerecht, die Ehre der Matrosen und pure Mitmenschlichkeit. Dass private, selbsterklärte Helfer im Mittelmeer Migranten und Flüchtlinge aus Seenot retten, weil sie das Gefühl haben, dass nicht genug dafür getan wird, ist also zunächst jeder Ehre wert.

Anerkennung gebührt ihnen dennoch nicht: Es kann gut sein, dass sie durch ihren selbstlosen Einsatz mehr Menschenleben gefährden, als sie selbst mit ihren begrenzten Möglichkeiten retten können. Die Regierungen in Rom und in Berlin befürchten das jedenfalls. Denn wenn Verzweifelte nur deshalb an der Küste Libyens in die seeuntauglichen Schlauchboote der Schlepper und der modernen Sklavenhändler steigen, weil am Horizont schon die erhoffte Rettung wartet, dann ist das verantwortungslos.

Beihilfe zur illegalen Einwanderung

Einiges spricht dafür, dass es derzeit genauso ist. Denn die Schleuser und ihre Millionen Dollar verdienenden Hintermänner haben ihr Geschäftsmodell clever umgestellt. Sie bringen die Migranten nicht mehr selbst mit gestohlenen Wracks nach Italien, Malta oder Griechenland, sondern überlassen das kostengünstig und risikovermeidend den staatlichen und privaten Rettern aus der EU. Jene nehmen ihnen dann den großen Rest des Transportweges ab.

Eigentlich logisch, dass die Schlepper deshalb nur noch Billigst-One-way-Boote in China ordern und die Migranten und Flüchtlinge, teilweise sogar mit vorgehaltener Waffe, in die löchrigen Gefährte ohne ausreichendes Benzin und mit defekten Motoren zwingen, nachdem sie ihnen ihr Geld abgeknöpft haben. Besser und einfacher können sie ihren Profit nicht vermehren – mit einkalkulierter Beihilfe der willigen Helfer.

Die Regierungen Italiens, der übrigen Mittelmeeranrainerstaaten und auch die Bundesregierung verlangen deshalb zurecht, dass die privaten Organisationen sich mit ihnen auf Regeln verständigen. Schließlich sollen sie die Migranten ja später übernehmen – auf ihren Schiffen oder an Land. Um sie dann entweder zurück zu schicken oder teilweise über Jahre zu versorgen, bis über ihre Asylverfahren entschieden ist.

Prävention gerät aus dem Blick

Die staatlichen Retter sehen sich selbst in einem Dilemma. Entweder sie kreuzen mit ihren Schiffen vor den libyschen Hoheitsgewässern, oder sie ziehen sich vor die europäischen Küsten zurück. Tuen sie letzteres, können sie dann oft nicht schnell genug da sein, um die Menschen aus den leckgeschlagenen Schlauchbooten oder von überfüllten privaten Rettungsschiffen zu holen. Eines von ihnen geriet deshalb kürzlich selbst in Seenot.

Wenn die privaten Helfer also weiter auf die von ihnen einkalkulierte Hilfe der Staaten setzen wollen, dann müssen sie sich auf den von ihren Vertretern ja schon weitgehend ausgehandelten Verhaltenskodex einlassen – und sich nicht weiter als alleinstehende Helden feiern lassen.

Besser wäre es, die Helfer würden sich mit dafür einsetzen, dass sich die Migranten gar nicht erst auf die gefährliche Reise übers Meer nach Europa machen. Der Vorschlag des niedersächsischen SPD-Innenministers Boris Pistorius, in Libyen Sammellager für diese Menschen unter EU-Kontrolle zu errichten, wie es andere schon länger fordern, sollte deshalb ernsthaft diskutiert werden. Ebenso wie ein Einsatz der EU-Kriegsschiffe auch innerhalb der libyschen Hoheitsgewässer, nach einem entsprechenden Beschluss des UN-Sicherheitsrates.

Es hat schon einmal funktioniert

Noch besser wäre es, die EU-Staaten und die Hilfsorganisationen würden endlich daran mitwirken, dass die Menschen erst gar nicht ihre Heimatländer verlassen beziehungsweise verlassen müssen. Durch massiven, auch wirtschaftlichen Druck auf die jeweiligen Regierungen, Oppositionelle nicht länger zu verfolgen und umzubringen und die Menschenrechte zu beachten. Durch wirksame Entwicklungs- und humanitäre Hilfe wie im Fall von Somalia und der angrenzenden Länder, wo zur Zeit wieder schreckliche Dürre und Hungersnot herrschen. Und durch noch massiveren, notfalls gewaltsamen Einsatz gegen die Schlepperorganisationen, Milizen und Regierungen, die das Geschäft auf die eine oder andere Weise dulden oder fördern.

Im Fall Somalia hat die EU mit ihrem Anti-Pirateneinsatz im Kleinen vorgemacht, dass so etwas gehen kann: durch Neutralisieren der Piratenboote, Verurteilen der Täter bei gleichzeitiger Hilfe für die arbeitslosen Fischer, denen EU-Fangdampfer zuvor den Lebensunterhalt geraubt hatten. Damit sie nicht mehr aus Not zu Piraten-Helfern werden.

Humanitäre Visa sind nötig

Für die wirklich Verfolgten sollte die EU endlich in ihren jeweiligen Botschaften humanitäre Visa ausstellen. Damit sie, nach einer Vorprüfung und Bearbeitung ihrer Asylanträge, legal und gefahrlos in die EU einreisen können. So wie es das europäische Asylrecht, die UN- und die Europäische Flüchtlingskonvention verlangen.

Das alles wird, selbst wenn es bald umgesetzt werden würde, nicht alle Menschenleben retten. Niemand kann Verzweifelte davon abhalten, sich selbst und andere in Gefahr zu bringen. Aber man sollte es zumindest versuchen.

Denn jeder Seemann weiß auch: Besser als jemanden aus Seenot zu retten, ist dafür zu sorgen, dass er erst gar nicht in Seenot gerät. Wer das Sterben im Mittelmeer beenden oder zumindest verringern will, muss Migranten beibringen, dass auf sie im Boot nicht das Paradies wartet. Im besten Fall jahrelanges Warten auf die Aufnahme in der EU oder ein Leben in Illegalität. Ist es das, was die Helfer wollen?

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