Schwester von Kim Jong-un - Die unterschätzte Prinzessin Nordkoreas

In Nordkorea laufen die Vorbereitungen für den 75. Geburtstag der Arbeiterpartei. Die Schwester des Staatschefs trat lange als Dienerin ihres Bruders auf, doch jetzt zeigt sich Kim Yo-jong mit knallharten Statements von einer anderen Seite.

Kim Yo-jong (obere Reihe, zweite von links) bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Südkorea / picture alliance
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Felix Lill ist als Journalist und Autor spezialisiert auf Ostasien.

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Als die besten Athleten der Welt um Medaillen kämpften, war sie der eigentliche Star: die still, aber erhaben auftretende, elegant in Schwarz gekleidete junge Frau aus dem Norden. Es war Februar 2018, im südkoreanischen Pyeongchang liefen die Olympischen Winterspiele. Kim Yo-jong war von Pjöngjang ins südliche Feindesland gereist und hatte einen Brief im Gepäck: geschrieben von ihrem Bruder Kim Jong-un, Staatschef von Nordkorea, adressiert an Moon Jae-in, der für Verständigung mit dem Norden eintretende Menschenrechtler, der kaum ein Jahr zuvor zum Präsidenten Südkoreas gewählt worden war.

Der Besuch der damals erst 30-jährigen Kim Yo-jong galt für Südkoreas Moon schon als Erfolgsnachweis seiner Diplomatie; auf der seit 1950 geteilten koreanischen Halbinsel sprach man plötzlich wieder miteinander. Kim Yo-jong war seit dem Waffenstillstand von 1953 auch das erste Mitglied der Kim-Dynastie, das den Boden des Südens betrat. Und dort spekulierte man, ob die politisch noch unerfahrene Frau wohl für südkoreanische Zwecke nützlich werden könnte.

Man hat die „Prinzessin Nordkoreas“ unterschätzt

Zweieinhalb Jahre später fällt die Einschätzung nüchterner aus. Kim Yo-jong, die nicht nur eine hohe Stellung im Propa­gandaministerium in Pjöngjang bekleidet, sondern dieses Jahr auch als Mitglied des Politbüros berufen wurde, hat sich von der Rolle der Botin emanzipiert. Im März wurde erstmals unter ihrem Namen eine Stellungnahme veröffentlicht. Und als Mitte Juni ein von Südkorea finanzierter Bau auf dem Staatsgebiet Nordkoreas gesprengt wurde, hatte Kim Yo-jong dafür schon vorab die Verantwortung übernommen: „In Kürze wird eine tragische Szene des komplett eingestürzten, nutzlosen Nord-Süd-Verbindungsbüros zu sehen sein“, lautete ihre Ankündigung.

Diesen drastischen Schritt hatte Kim indirekt damit begründet, dass auf südlicher Seite der Grenze gelegentlich propagandistische Flugblätter gen Norden geworfen werden – was der Süden laut einer gemeinsamen Deklaration eigentlich unterbinden soll. Weil das Vertrauen nun zerstört sei, kündigte Pjöngjang außerdem an, die Grenze fortan wieder durch Soldaten bewachen zu lassen.

Kim Yo-jong, die auf beiden Seiten der Grenze auch „Prinzessin Nordkoreas“ genannt wird, hat man offenbar unterschätzt. Es liegt wohl daran, dass sie bis vor kurzem bloß als Dienerin ihres vier Jahre älteren Bruders auftrat. Auf Fotos und Videoaufnahmen war zu sehen, wie sie einem sich setzenden Kim Jong-un den Stuhl heranschob oder ihm den Aschenbecher hielt. Und während Kim Jong-un andere Familienmitglieder schon mal eliminieren ließ, ist Schwester Yo-jong bisher nichts zugestoßen.

Potenzielle Nachfolgerin Kim Jong-uns

Der gemeinsame Vater und vorige Staatschef Kim Jong-il sagte schon im Jahr 2002 über die damals pubertierende Yo-jong, sie sei „an Politik interessiert und will eine Karriere im politischen System der Demokratischen Volksrepublik Korea“. Vor ihrem Informatikstudium in Pjöngjang ging sie wie ihr Bruder in der Schweiz zur Schule. Ebenfalls übernahm Yo-jong schon in jungem Alter politische Aufgaben. Weil Kim Jong-un als gesundheitlich angeschlagen gilt, handeln südkoreanische Experten Yo-jong als potenzielle Nachfolgerin für das Amt an der Spitze der Regierung. 

Sicher ist: Den Nachbarn Südkorea, wo die wichtigste politische Trennlinie zwischen Konservativen und Liberalen die Haltung zum Umgang mit dem Norden ist, führt sie an der Nase herum. Im Süden wirken die Bilder von der jungen Prinzessin mit dem Brief im Gepäck immer noch fort; auch angesichts der Kraft solcher Eindrücke plädiert Südkoreas Präsident Moon Jae-in, den Austausch mit dem Norden jetzt erst recht zu suchen.

Ein nützliches Feindbild

Dabei findet Moons Wille zur Verständigung nicht nur Zuspruch. Nach der Sprengung des Verbindungsbüros reichte sein Wiedervereinigungsminister flugs den Rücktritt ein. Und aus der Zivilgesellschaft ist seit kurzem eine Strafanzeige gegen Kim Yo-jong anhängig, denn sie habe südkoreanisches Staatseigentum zerstört und dies auch noch stolz verkündet. Diese Entwicklung kommt ihr vermutlich sogar gelegen. Denn in der Heimat kann sie so ein klar konturiertes Feindbild vom Süden zeichnen, womit sich von den Defiziten des eigenen Regimes – insbesondere was die Versorgung der Bevölkerung angeht – ablenken lässt. Des Wohlwollens aus Südkorea ist man sich ohnehin sicher. So spricht sich der Bruderstaat ausdrücklich für die Aufhebung der seit einigen Jahren geltenden UN-Sanktionen gegen Nordkorea aus.

Solange in Südkorea Moon Jae-in regiert, der nicht zuletzt wegen seines Versprechens einer neuen Nord-Süd-Diplomatie gewählt wurde, wird dies wohl auch so bleiben. Und wenn zwischen Nord- und Südkorea das nächste Mal neue Gespräche aufgenommen werden, dürften die Bedingungen dafür daher aus Pjöngjang kommen.

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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