Schockbilder auf Alkohol - Neue Schnapsidee aus Brüssel

Die EU-Kommission plant Warnhinweise und Schockbilder auf allen Schnaps-, Wein- und Bierflaschen. Was nehmen die in Brüssel eigentlich so alles zu sich, fragt sich unser Kolumnist Rainer Balcerowiak, der einige Bücher über Wein geschrieben hat und sich mit dem Thema Genuss bestens auskennt.

Die EU-Kommission will Schockbilder auf alkoholischen Getränken anbringen / dpa
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Macht es eigentlich Sinn, sich über immer neue Kapriolen der EU-Kommission noch zu wundern? Angesichts einer neuen Schnapsidee aus dem Zentralkomitee der Europäischen Bürokratie in Brüssel kann man diese Frage getrost verneinen.

Das mit dem Schnaps ist dabei wörtlich zu nehmen. Denn die Kommission plant allen Ernstes, für alle Flaschen mit alkoholischen Getränken Warnhinweise auf die schädliche Wirkung von Alkohol zu geben und möglicherweise auch die bereits bei Tabakerzeugnissen verbindlichen „Schockbilder“ vorzuschreiben. Begründet wird dies mit einem beliebten Allrounder unter den Totschlagsargumenten: Kampf gegen Krebs und andere verbreitete Krankheiten. Zwar sollen die Details und eine entsprechende Verordnung erst 2023 auf den Weg gebracht werden, aber der Aufschlag ist gemacht.

Rocky Horror Picture Show im Supermarkt

Allmählich könnte der alltägliche Einkauf auf diese Weise zu einer permanenten Rocky Horror Picture Show werden und einen Beschäftigungsboom bei Werbegrafikern auslösen. Kaum hat man die Bilder zahnloser oder intubierter Tabakopfer hinter sich gelassen, folgen derangierte Clochards mit halbleerer Flasche unter der Brücke oder enthemmte Fußball-Hooligans mit Bierdosen. Für die Champagner-Klientel wird man sich was Feineres überlegen. Etwa einen alkoholbedingten Autounfall mit einem BMW der 7er-Reihe.

Doch auf der nach oben offenen von der Leyen-Skala des Irrsinns geht bestimmt noch mehr: Kein Schokoriegel ohne monströs übergewichtige Kinder, kein Stück Fleisch ohne röchelnde Herzinfarktpatienten. Und der Salz-Phobiker Karl Lauterbach sitzt bestimmt auch schon in den Startlöchern für angemessene Bebilderungen

Hinter der Initiative der Kommission steckt zum einen ein – gelinde gesagt – merkwürdiges Menschenbild. Unmündige Untertanen sollen mit Serienbildchen auf den rechten Weg geführt werden. Das erinnert durchaus an den religiösen Furor vergangener Zeiten, mit eindrucksvollen Bildern des Fegefeuers und der Hölle, die allen Unbotmäßigen und Ungläubigen droht. Auch die protestantische Ethik des Verzichts hat offenbar tiefe Spuren hinterlassen.

Alkohol ist ein Kulturgut

Mindestens ähnlich gravierend ist die faktische Leugnung der europäischen Kulturgeschichte, die ohne vergorene Getränke berauschender Wirkung überhaupt nicht denkbar ist. Es gibt keine Epoche ohne berühmte Maler, Schriftsteller und Komponisten, die dem Wein oder anderen Alkoholika sehr zugetan waren.

Ob Schockbilder überhaupt eine den Konsum reduzierende Wirkung entfalten können, ist ohnehin umstritten. Auch ist es zweifellos sinnvoll, mit umfassender Aufklärung ein Bewusstsein für die schädlichen Folgen übermäßigen Alkoholkonsums hinzuweisen. Aber doch nicht so!

Es gibt allerdings Hoffnung. Frankreich mit seiner identitätsstiftenden Weinkultur wird sich wohl kaum auf so einen Unfug einlassen. Dort hat man auch den Versuch der EU, Gänsestopfleber zu verbieten, mit einer Aufnahme dieser Delikatesse in das „nationale Kulturerbe“ elegant ausgehebelt. Auch die Vorstellung, Schockbilder auf Weinflaschen in Spanien, Italien oder Portugal sehen zu müssen, hat etwas Surreales. Und falls es doch kommen sollte, gibt es einen kleinen Trost: Manche Weinetiketten sind schon jetzt so hässlich, dass die Schockbilder gar nicht auffallen würden.

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