Saudi-Arabien - Wo der Terror Sympathisanten findet

Auch Saudi-Arabien scheint vor dem IS-Terror nicht mehr sicher. Über die Folgen der brutalen Anschlagsserie zeigt sich selbst Erzrivale Iran solidarisch. Ein großes Problem sind die IS-Sympathisanten in der Bevölkerung und der Predigerkaste

Eines der Selbstmordattentate ereignete sich am 04. Juli 2016 nahe der Prophetenmoschee in Medina / picture alliance
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Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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Saudi-Arabien steht unter Schock. Noch nie erlebte das Königreich quer durch das Land eine solche Serie zeitlich getakteter Terrortaten, die einem „eine Gänsehaut über den Rücken jagen“, wie der Vorsitzende des Shoura-Parlaments formulierte. Bei den Älteren werden Erinnerungen wach an den Terrorüberfall auf die Kabaa in der heiligen Stadt Mekka vor 37 Jahren.

Anschlagsserie in Saudi-Arabien

Das Abendgebet zum Ramadan-Fastenbrechen in Medina hatte gerade begonnen, als sich der Selbstmordattentäter nahe der Großen Moschee in die Luft sprengte und vier Polizisten mit in den Tod riss. Meterhoch waren die Flammen zu sehen, schwarzer Rauch stand über dem Gotteshaus, in dem der Prophet Mohammed begraben liegt. Der Terrorist hatte offenbar geplant, sich unter die dicht gedrängte Menge der Beter zu mischen, war den Sicherheitskräften auf dem relativ leeren Vorplatz jedoch aufgefallen. Als sie ihn stellen wollen, zündete der Mann seine tödliche Ladung.

Kurz zuvor hatten sich Gesinnungsgenossen in der Hafenstadt Jeddah nahe dem US-Konsulat sowie in der östlichen Stadt Qatif neben der schiitischen Al-Omran Moschee in die Luft gesprengt. In allen drei Fällen gelang es den Attentätern nicht, bis an ihr eigentliches Ziel heranzukommen.

IS-Terroristen auch in Saudi-Arabien

Auch wenn sich niemand bisher zu den spektakulären Taten bekannte, sie tragen die Handschrift des „Islamischen Staates“. Offenbar konnte die Terrormiliz in den letzten beiden Jahren auch auf der Arabischen Halbinsel ein Netz von Schläferzellen etablieren. Erst kürzlich gab das saudische Innenministerium bekannt, man habe in Mekka ein fünfköpfiges IS-Kommando ausgehoben. Zwei Terroristen wurden dabei erschossen, zwei sprengten sich in die Luft, einer wurde festgenommen.

Nach Angaben Riads sitzen momentan mehr als 5000 Terrorverdächtige hinter Gittern, darunter 800 IS-Dschihadisten. 3000 Saudis haben sich in Syrien und dem Irak dem „Islamischen Kalifat“ angeschlossen, von denen einige hundert inzwischen nach Hause zurückkehrt sind.

Entsetzen in der islamischen Welt

Das islamische Establishment des Nahen Ostens reagierte einhellig und empört. Die Kairoer Al-Azhar, die sich als wichtigste sunnitische Lehranstalt rühmt, verurteilte die Angriffe und unterstrich „die Heiligkeit der Gotteshäuser, besonders der Moschee des Propheten“. Saudi-Arabiens Oberster Klerikerrat erklärte, „die Angriffe beweisen, dass die Abtrünnigen alles mit Füßen treten, was heilig ist.“

Selbst Teheran, Riyadh Erzrivale auf der anderen Seite des Golfs, äußerte sich solidarisch. „Es gibt keine weiteren roten Linien mehr, die Terroristen noch überschreiten könnten“, twitterte Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif. „Sunniten und Schiiten werden beide Opfer bleiben, wenn wir nicht zusammenstehen.“

IS-Ideologie in Saudi-Arabien salonfähig?

Der Aufschrei in Saudi-Arabien jedoch kann nicht verdecken, dass das Königreich, vor allem seine Predigerkaste, gegenüber dem „Islamischen Staat“ nach wie vor eine ambivalente Haltung einnimmt. Während die Sicherheitskräfte entschieden gegen IS-Verdächtige vorgehen, genießen deren religiös-ideologische Überzeugungen Sympathie unter wahabitischen Gelehrten, deren puritanische Islam-Version Staatsreligion ist.

Und so behauptete Khalil Abdullah al-Khalil, ehemaliges Mitglied des Shoura-Rates, gegenüber dem Sender Al Arabiya, 60 Prozent der jungen Saudis seien bereit, sich dem IS anzuschließen – eine Aussage, die unter seinen Landsleuten einen Aufruhr auslöste.

Wahabistische Lehren als „kultivierter" IS

Andere Studien schätzen, dass fünf Prozent der erwachsenen Saudis mit der Terrormiliz sympathisieren – das sind rund 500.000 Bürger. Sie folgen Predigern wie Scheich Adel al-Kalbani, dem langjährigen Imam der Großen Moschee von Mekka, der regelmäßig Schiiten als Gotteslästerer verunglimpft und dem Großbritannien deswegen die Einreise verweigert.

„Wir folgen denselben Gedanken wie der IS, nur praktizieren wir sie in kultivierterer Weise“, brüstete er sich Anfang des Jahres in einem Interview mit dem Sender MBC in Dubai. Der IS gewinne seine Überzeugungen aus dem, „was in unseren Büchern geschrieben steht und was unsere Prinzipien sind.“ Beim Umgang mit Häretikern zum Beispiel seien saudische Kleriker mit dem IS einer Meinung. „Wer den Islam verlässt, der muss hingerichtet werden.“ 

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