„Säbelrasseln“ gegen Russland - Sind in der Nato Schlafwandler am Werk?

Außenminister Steinmeier hatte mit seiner Kritik an einem vermeintlichen westlichen „Säbelrasseln“ die östlichen EU-Partner aufgebracht. Auf dem Nato-Gipfel in Warschau am Wochenende droht Streit. Dabei ist nicht Krieg mit Russland das zentrale Problem

Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnt vor einer „Abschreckungspolitik“ gegenüber Russland / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Herrscht in der Nato das Primat militärischen Denkens? Welchen Gegenwert sind die Nato- und EU-Staaten bereit, für Russlands Kooperation bei der Stabilisierung ihrer Peripherie zu akzeptieren?

Diese beiden Fragen hat Bundesaußenminister Steinmeier in drastischer Form gestellt. Sie sind es wert, aufgegriffen zu werden. Denn es geht um mehr als um die Beziehungen zu Russland und Militärmanöver, wenn man die Äußerungen ernst nimmt.

Nur selten benutzt Bundesaußenminister Steinmeier eine so drastische Sprache. „Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen“, sagte er mit Blick auf die Nato-Manöver in Osteuropa. Mehr noch warnte er: „Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern.“ Es wäre „fatal, jetzt den Blick auf das Militärische zu verengen und allein in einer Abschreckungspolitik das Heil zu suchen.“

Applaus vom Russlandbeauftragten

Die Reaktionen folgten prompt.

Gelobt wurde er, weil er parallel zur Verlängerung der EU-Sanktionen gegen Russland die Notwendigkeit der Zusammenarbeit betonte. Man dürfe die Russlandpolitik nicht den außenpolitischen Falken überlassen, die vor allem die militärische Reaktion auf Russlands Ukrainepolitik betonten. Abschreckung reiche zur Stabilisierung der Lage nicht aus. Die Aussagen von Gernot Erler, dem Russlandbeauftragten der Bundesregierung, schienen diese Interpretation zu bestätigen.

Er sagte: „Stationierungsentscheidungen und Militäroperationen schaukeln sich wechselseitig hoch. Das ist gefährlich. Es ist gut, dass Außenminister Steinmeier darauf hinweist. Der Aufschrei zeigt, dass er da einen Punkt getroffen hat. Genau aus solchen Entwicklungen heraus entstehen unkontrollierte Situationen bis hin zum Krieg.“

Analogie zum Ersten Weltkrieg

Erler meinte damit nicht militärisch unkontrollierbare Situationen, die aus dem parallelen, nicht aufeinander abgestimmten Handeln von Streitkräften resultieren, sondern politisch unkontrollierbare Situationen. Bricht sich da die Analogie der „Schlafwandler“ von Christopher Clark Bahn? Kommt daher die Sprache des 19. Jahrhunderts?

Oder gibt es konkrete Anzeichen für diese Kriegsgefahr? Das wäre dann nicht mit einer Bemerkung abgetan, sondern erforderte den gesamten diplomatischen und politischen Apparat. Das wird man in den nächsten Wochen beobachten können.

Jedenfalls fand im Lob eine Zuspitzung statt: Steinmeier habe die Gefahr des Primats militärischen Denkens angesprochen und diesem widersprochen.

Denkt die Nato vorrangig militärisch?

Herrscht in der Nato das Primat militärischen Denkens? Diese Frage reicht weiter, als es bisher öffentlich diskutiert wird.

Kritisiert wurde der Bundesaußenminister vor allem mit dem Argument, dass er Russlands Handeln ausblende, das erst zur notwendigen westlichen Reaktion geführt hat. Russland sei an der verfahrenen Lage schuld, in die es die Beziehungen zu den europäischen Staaten gebombt und geschossen habe.

Aber ging es dem Bundesaußenminister nur um Russland? Wenn man ihm weiter folgt, sieht man, dass er eine viel größere Diskussion angeregt hat. Steinmeier sagte, dass es darum gehe, „Russland in eine internationale Verantwortungspartnerschaft einzubinden. Die Verhinderung einer iranischen Atombombe, der Kampf gegen radikalen Islamismus im Nahen Osten oder die Stabilisierung libyscher Staatlichkeit sind dafür aktuelle Beispiele.“

Die deutsche Russlandpolitik ist nicht nur Russlandpolitik. Sie ist auch EU-Politik. Denn die EU-Mitgliedstaaten wollen die Beziehungen zu Russland sehr unterschiedlich gestalten. Wenn der Bundesaußenminister in Kauf nimmt, dass seine Aussagen das bei vielen osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten angeschlagene Image Deutschlands noch weiter verschlechtern, dann muss er gute Gründe haben. Denn es lässt sich leicht ermessen, wie diese Äußerungen in Warschau und den baltischen Hauptstädten wirken. Deren sicherheitspolitische Orientierung zu den USA wird dadurch bestätigt.

Russland zockt um die Macht

Steinmeier hat vor allem auf ein sehr ernstes Problem für die Europäische Union hingewiesen: Ohne eine tragfähige Kooperation mit Russland bleibt die Lage um die EU herum instabil. Die Zerbrechlichkeit staatlicher Strukturen in Nordafrika und dem Mittleren Osten ist eines der außen- und sicherheitspolitischen Hauptprobleme der EU. Hinzu kommt die prekäre Lage in der Ukraine und dem Kaukasus. Wenn sich die EU-Staaten insbesondere Nordafrika zuwenden möchten, in Libyen und Mali engagiert sind, und die prekäre Lage anderer Staaten beachten, dann müssen die anderen Regionen ihre Ordnung finden. Das geht nicht gegen Russland.

Aus dieser Sicht ist nicht Krieg mit Russland das zentrale Problem. Sondern die Frage, was die Nato-Staaten bereit sind zu bezahlen, um Russlands Kooperation beim Konfliktmanagement im Umfeld der EU zu bekommen. Da zeichnet sich ein Problem ab, denn beide rechnen in unterschiedlichen Währungen. Russland handelt in der machtpolitischen Währung des 19. Jahrhunderts: Territorium und Einfluss. Die Krim wird hierfür der Lackmustest.

Die Zusammenarbeit mit einem modernen Russland. Es ist die Quadratur des Zirkels, an der man verzweifeln kann. Denn Russlands Handeln trägt zur Destabilisierung in Osteuropa und dem Mittleren Osten bei. Welches Angebot die russische Führung auf einen anderen Weg bringt, ist die Antwort auf Steinmeiers Frage. Ob es sie gibt? Darüber sollte jetzt kräftig nachgedacht werden.

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