Vor der Wahl in Russland - Wahlkampf nach Drehbuch

In Russland wird am Sonntag gewählt. Der Sieger steht schon jetzt fest: Wladimir Putin wird als russischer Präsident in seine vierte Amtszeit gehen. Spannend ist nur die Frage, wie hoch er gewinnen wird. Doch eine Möglichkeit des Protestes bleibt seinen Gegnern. Eine Reportage aus Moskau

Auch die Kommunisten treten in Russland nur zum Schein gegen Wladimir Putin an / picture alliance
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Simone Brunner lebt und arbeitet als freie Journalistin in Wien. Sie hat in Sankt Petersburg und in Wien Slawistik und Germanistik studiert und arbeitet seit 2009 als Journalistin mit Fokus auf Osteuropa-Themen.

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Der russische Wahlkampf passt heute auf einen Parkplatz. Eine Fläche in der Größe eines Eishockey-Feldes ist von Metallzäunen umschlossen und von Polizisten bewacht. Die Kommunisten, unter ihnen viele Pensionisten, haben sich ihre Schiebermützen tief ins Gesicht gezogen, ihre roten Schals um den Hals gebunden und die Lenin-Fahnen ausgerollt, um an diesem Samstagmorgen hierher, auf den Revolutionsplatz im Moskauer Stadtzentrum, zu kommen. Es sind minus sieben Grad, die Schneeflocken brennen wie Nadelstiche auf der Haut. Hinter der Bühne blitzen die goldenen Kreml-Türme in den grauen Winterhimmel. 

Der kommunistische Präsidentschaftskandidat Pawel Grudinin hat heute zum Wahlkampffinale aufgerufen. „Für freie und faire Wahlen“, steht auf der Bühne, über dem Konterfei von ihm selbst, Grudinin, dem schnauzbärtigen, 57-jährigen Leiter einer Sowchose im Süden Moskaus. Nach einer Vorrede des Kommunistenführers Gennadij Sjuganow tritt Grudinin selbst an das Mikrofon. Seine Rede ist farblos und schon nach wenigen Minuten wieder vorbei. Als er endet, geht weniger ein revolutionäres, als vielmehr ein müdes „Hurra“ durch die Reihen. Die Aktion war für 5000 Teilnehmer angemeldet, aber nur wenige Hundert haben sich versammelt. Wie viele Prozentpunkte Grudinin am Sonntag wohl holen kann? „Das hängt nicht von uns, sondern von dem da oben ab“, deutet eine Pensionärin, die mit einer Freundin ein Kommunistenbanner spannt, nach oben. Ob sie damit Gott oder den Kreml meint, bleibt dahingestellt. 

Der Sieger steht schon fest 

Am Sonntag wählen die Russen einen neuen Präsidenten. Wer das Rennen machen wird, steht aber schon im Vorhinein fest: Wladimir Putin wird auch nach dem 18. März im Amt bleiben und seine vierte Amtszeit antreten. In Umfragen kommt Putin auf 70 Prozent. Auch wenn die Wahlkommission wenige Tage vor den Wahlen noch im ganzen Land mit großen Plakaten und Werbespots die Wähler ermahnen will, am Sonntag zur Wahl zu gehen, so ist der russische Präsidentschaftswahlkampf ein Wahlkampf, der keiner ist: Die sieben Gegenkandidaten sind handverlesen, der Wahlkampf folgt einem Drehbuch.

Daran kann auch die liberale Kandidatin und Fernsehstar Ksenia Sobtschak nichts ändern, die mit ihrem Wahlslogan „gegen alle“ antritt und zumindest versucht, den Wahlkampf mit ihren beherzten Auftritten aufzumischen. Die meisten Kandidaten machen sich dagegen erst gar nicht die Mühe, Kampfgeist vorzutäuschen. Grudinin, der Stalin zuletzt in einem Interview als „besten Herrscher der letzten hundert Jahre“ bezeichnet hatte, kommt in Umfragen zumindest auf Platz Zwei. Zuletzt haben Grudinin allerdings Dokumente über angebliche Schweizer Bankkonten unter Druck gebracht.  

„Es gibt kein Russland ohne Putin“

Putin scheint indes so fest im Sattel zu sitzen, wie noch nie. Spannend ist nur die Frage, wie hoch er gewinnen wird. Das liegt freilich auch daran, dass der ehemalige Geheimdienstler in seiner 18-jährigen Ära wirkliche politische Alternativen erst gar nicht hat aufkommen lassen. Die Vertikale der Macht wird durch alle Institutionen durchdekliniert, von den Amtsstuben über die Gerichte bis hin zu den Medien. Putin-Kritiker wurden weggesperrt (Michail Chodorkowski), ermordet (Boris Nemzow) oder leben heute im Exil (Garri Kasparow). Der wichtigste Oppositionelle des Landes, Alexej Nawalny, ist erst gar nicht zu den Wahlen zugelassen. Die System-Opposition im Parlament, die etwa aus den Kommunisten oder der rechtspopulistischen Liberaldemokratischen Partei von Wladimir Schirinowski besteht, ist eigentlich nur da, um Kreml-Initiativen abzunicken und unzufriedene Stimmen innerhalb des Putin-Systems zu kanalisieren. 

Politologen streiten sich deshalb darüber, wie man das russische System nun korrekt benennen soll, die Bandbreite reicht von „gelenkter Demokratie“ über „Putinismus“ bis hin zum „competitive authoritarianism.“ „Putin hat aufgehört, eine Persönlichkeit zu sein und ist inzwischen zu einem Synonym, zu einem sakralen Körper für den russischen Staat geworden“, sagt der Politologe Alexander Baunow vom Carnegie Center in Moskau. Der ehemalige Putin-Berater Wjatscheslaw Wolodin verstieg sich sogar zur Aussage, dass die Begriffe Putin und Russland synonym zu setzen seien. „Es gibt kein Russland, wenn es keinen Putin gibt.“ 

Wie ein Trainer vor seinen Fans

Da ist es nur konsequent, dass Putin in den seltenen Momenten, in denen er doch noch in den Wahlkampfring steigt, nicht für sich, sondern dafür wirbt, dass er Russland wieder groß gemacht hat. Wie heute, an diesem sonnigen, aber bitterkalten Wintertag in Moskau. Auf einer Bühne im Fußballstadion Luschniki drücken sich Popsänger, Filmstars und Sportler das Mikrofon in die Hand, um zu versichern, dass sie – begleitet von „Russland! Russland!“-Sprechchören – für Putin stimmen werden. Bevor Putin selbst auftritt, schwärmt der Platzsprecher davon, dass die Krim-Brücke – jene Brücke, die das russische Festland mit der 2014 von Russland annektieren ukrainischen Halbinsel verbinden soll – „sogar vom Weltall aus“ zu sehen sein werde. Unter Jubel tritt Putin auf die Bühne, um mit den Olympioniken, die gerade aus Pyeongchang zurückgekehrt sind, die russische Nationalhymne zu singen. „Danke für die Unterstützung!“ sagt er am Ende, wie ein Trainer, der sich bei seinen Fans bedankt. „Wir sind ein Team, stimmt’s?“

Putin ist mittlerweile schon so lange Amt, dass jene Russen, die zu seinem Amtsantritt im Jahr 2000 geboren wurden, bei diesen Wahlen schon selbst wählen können. Sie haben keine andere politische Führung erlebt, als seine, und viele können sich auch gar keinen anderen Staatschef mehr vorstellen, als ihn. Wie Anastasia Strekatschowa, eine 18-jährige Musik-Studentin aus Moskau. „Ich glaube, dass es keinen besseren Anwärter auf das Amt geben kann“, sagt sie. „Ich finde, dass es Putin ganz gut geschafft hat, das Land zu regieren. Warum sollte er also nicht so weitermachen, wie bisher?“ 

Putins Gegnern bleibt nur die Nicht-Teilnahme

Aber längst nicht alle junge Russen sehen das so. Alexander und Fjodor stehen vor der Metrostation „Strogino“ im Norden Moskaus. Ein Schlafbezirk, an der breiten, vielspurigen Straße reihen sich Plattenbauten aneinander. Die beiden sind 18 Jahre alt, haben vor wenigen Monaten ihre Matura abgelegt und gerade ihre Ausbildung zum Koch und zum Agronomen begonnen. „Wahlen, das ist Betrug!“ sagen sie jedes Mal, wenn sie einem Passanten ihre Broschüren in die Hand drücken, auf denen steht. „Streik der Wähler!“, „Lass dich nicht betrügen, und geh nicht zu den Wahlen!“ 

Sie unterstützen den Oppositionellen Alexej Nawalny. Nachdem der 41-jährige Anwalt aber nach einer umstrittenen Verurteilung nicht zu den Wahlen zugelassen wurde, hat er zum Wahlboykott am Sonntag aufgerufen. Damit sollen die „Nawalnyki“ zumindest mithelfen, die Wahlbeteiligung, die ohnehin nicht hoch erwartet wird, weiter zu drücken und so die Legitimität der Wiederwahl Putins in Frage zu stellen. Inwiefern das gelingt, ist offen, die Taktik unter den Oppositionellen umstritten. Fakt ist, dass der Druck auf das Nawalny-Team zuletzt erhöht wurde und viele wichtige Mitarbeiter aus der ersten Reihe für mehrere Tage inhaftiert worden sind. 

Wie viele andere Nawalny-Anhänger, haben auch Alexander und Fjodor vor einem Jahr das Video gesehen, das das Nawalny-Team auf ihrem Youtube-Kanal hochgeladen haben, in dem die Reichtümer des Premiers Dmitrij Medwedew enthüllt werden. „On Wam ne Dimon!“, „Ihr habt kein Recht, ihn Dimon zu nennen!“ Das Video wurde bisher 26 Millionen Mal geklickt und hat so eingeschlagen, dass es Nawalny gelungen ist, in mehr als 80 russischen Städte zu Anti-Korruptions-Protesten aufzurufen. „Die Politiker sagen zwar, dass sie gegen die Korruption kämpfen, aber dann sitzen sie erst recht wieder mit ihren fetten goldenen Armbanduhren, die ein paar Millionen Rubel kosten, in der Duma!“ sagt Fjodor wütend. Nachsatz: „Und meine Großmutter, die in einem Dorf in Südrussland lebt, hat nicht einmal einen Gasanschluss.“ 

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