Die Roma und das Coronavirus - Mit doppelter Wucht von der Krise getroffen

Roma trifft die Coronakrise besonders hart. Viele verlieren ihre Jobs im Westen und bringen das Virus in ihre Heimat mit. In Südosteuropa riegeln Sicherheitskräfte ganze Siedlungen ab. Dabei ist der Lockdown für viele eine noch größere Gefahr als das Virus.

Mit doppelter Wucht von der Krise getroffen: Roma / picture alliance
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Autoreninfo

Boris Kálnoky ist freier Journalist und lebt in Budapest. Er entstammt einer ungarisch-siebenbürgischen Familie

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Als eine Gruppe siebenbürgischer Roma vor der italienischen Coronavirus-Epidemie in ihr Heimatdorf Valea Crisului floh, brachten sie einen Toten mit. Die Männer hatten in Italien gelebt und gearbeitet – wie rund 1,2 Millionen andere rumänische Staatsbürger. Aber als in Italien die Wirtschaft heruntergefahren wurde, hatten sie keine Arbeit mehr. Und sie hatten Angst vor dem Virus. Der Tote? Einer von ihnen. Ob er am Coronavirus starb oder an etwas anderem, wissen sie nicht. Sie setzten ihn kurzentschlossen ins Auto und sagten den Polizisten an jeder Grenze, dass er schliefe. Den Pass zeigten sie natürlich. So konnten sie ihn in der Heimat beerdigen.

50.000 rumänische Staatsbürger kehrten in den ersten Wochen der Krise ins Land zurück, meist weil sie ihre Jobs verloren hatten. Speziell Italienrückkehrer mussten dabei erkennen, dass die rumänische Polizei sie sofort unter behördliche Quarantäne stellte. Mitte und Ende März kam es deswegen zu gewalttätigen Ausschreitungen an drei verschiedenen Grenzübergängen. Viele umgingen die Quarantäne, indem sie vorgaben, nicht aus Italien, sondern aus Österreich oder Deutschland zu kommen. 

Wut auf die Heimkehrer 

Das sorgt für Wut bei vielen Rumänen. Mediales Aufsehen erregte ein Facebook-Post von Vlad Rosca, nach eigenen Angaben ein Arzt, der die Heimkehrer an der Grenze auf Covid-19-Symptome untersuchen muss. Er äußert sich entsetzt über das respektlose Verhalten vieler Heimkehrer und schreibt, damit meine er nicht jene, die im Ausland einer geregelten Arbeit nachgingen, sondern jene, die „nun zurückkehren, weil sie draußen nicht mehr betteln, stehlen oder Prostitution betreiben können”. 

Wie der Arzt die beiden Gruppen unterscheiden will, ist sein Geheimnis. Letztlich kann er nicht wissen, womit die Betroffenen im Ausland ihr Geld verdienten. Rumänien zählt bislang rund 7.000 nachgewiesene Covid-19-Fälle. Weniger als in vielen westlichen Ländern, aber das Gesundheitssystem ist schlecht, zahlreiche Mediziner und Pfleger haben die Krankenhäuser aus Angst vor der Epidemie verlassen. Sie klagen über einen Mangel an Schutzausrüstung und niedrige Gehälter.

Mit Waffengewalt gegen Quarantäne 

Rumänien hat einen besonders drastischen „Lockdown“ verhängt, hat dabei aber ein Problem: Es ist so gut wie unmöglich, die Roma dazu zu bewegen, in ihren Häusern zu bleiben. Im Bezirk Arges wurden laut einem Bericht der Zeitung Adevarul Polizisten angegriffen, als sie prüfen wollten, ob zur Quarantäne verpflichtete Italien-Heimkehrer auch wirklich in ihren Wohnungen blieben. Offenbar kein Einzelfall, die rumänischen Medien berichteten von mehreren solcher Vorfällen. In der siebenbürgischen Kleinstadt Sfantu Gheorge gingen – nach Angaben eines Anwohners diesem Reporter gegenüber – örtliche Roma Polizisten mit Kettensägen an und beschädigten einen Streifenwagen – auch hier deswegen, weil das dortige Roma-Ghetto abgeriegelt wurde. 

Die Armut der Roma ist dabei ein Faktor. Ersparnisse hat kaum jemand, Geld verdienen kann man nur außerhalb des Dorfes, und viele Häuser in den Dörfern haben weder Heizung noch fließend Wasser. Die Menschen müssen raus, um Holz zu sammeln und am Dorfbrunnen Wasser zu holen. Masken oder Gummihandschuhe hat kaum jemand. „Social distancing“, die beste Methode, um die Epidemie in Grenzen zu verlangsamen, ist für diese Menschen eine größere Gefahr als das Virus selbst.

Rückkehrer bringen das Virus mit 

Die Behörden sind mittlerweile dazu übergegangen, nicht einzelne Familien, sondern systematisch ganze Roma-Siedlungen abzuriegeln. In Valea Crisului bedeutet das, dass die Menschen sich aus den zwei Läden, die es dort gibt, versorgen müssen, solange sie noch etwas Geld haben, um das Nötigste einzukaufen. Mittlerweile hilft aber auch der Malteser Hilfsdienst. In anderen Orten, wo nicht geholfen wird, ist es bereits zu Unruhen gekommen. Denn wo es Quarantäne gibt, aber kein Geld und keinen Laden, dort gibt es Hunger.

Auch in der Slowakei kommt es zu ähnlichen Entwicklungen. Dort umstellten am 8. April Armee und Polizei fünf Roma-Siedlungen in der Nähe des Ortes Zehra. Dort waren mehrere Dutzend Roma infiziert, und wie in Rumänien waren auch hier Rückkehrer aus dem Westen die ursprünglichen Träger das Virus – in diesem Fall waren zahlreiche Roma aus England zurückgekehrt. Péter Pollák, der erste Roma-stämmige Europaparlaments-Abgeordnete der Slowakei, wurde vom Nachrichtenportal kórkép.sk mit den Worten zitiert, das Virus verbreite sich unter den Roma „13 Mal schneller“ als in der Durchschnittsbevölkerung.

Noch keine Infizierten in Ungarn

Aufgrund ihrer benachteiligten materiellen Lage sind die Roma insofern besonders gefährdet vom Virus. Sie leben in ihren Siedlungen auf engem Raum zusammen und haben nicht alle Zugang zu Trinkwasser oder zur Kanalisation. Hinzu kommt, dass sie vom Rest der Bevölkerung als besonderer Risikofaktor betrachtet werden. Dunja Mijatovic, die Menschenrechtsbeauftragte des Europarates, wies darauf hin, dass etwa in Bulgarien Medien und Politiker die Roma als Gesundheitsrisiko darstellten. Auch dort wurden ganze Siedlungen unter Quarantäne gestellt, teilweise wurden sogar Zäune errichtet, um die Einwohner am Verlassen zu hindern.

In Ungarn, wo mehrere Hunderttausend Roma leben, gibt es bislang weder abgeriegelte Roma-Siedlungen noch besonders viele Infizierte  – was auch daran liegen mag, dass in jenen Regionen kaum getestet wird. Ein Grund ist aber sicher, dass Ungarns Roma etwas besser integriert sind als in Rumänien oder Bulgarien, weil sie dort leichter Arbeit finden und Geld verdienen können. Insofern gingen auch weniger von ihnen ins Ausland und kehrten weniger von dort zurück. Bis jetzt ist kein Fall eines Roma bekannt, der infiziert aus dem Ausland zurückkam.

Hilfslieferungen für verarmte Dörfer im Osten Ungarns 

Hingegen hat die Krise die ungarischen Roma sofort mit aller Wucht als Wirtschaftskrise getroffen. Normalerweise funktioniert das Leben dort so, dass viele Menschen in Budapest oder der nächstliegenden Großstadt arbeiten gehen, die Familien bleiben im Dorf. Aber als Folge der Pandemie gehören die Roma zu den ersten, die in der dadurch entstandenen Wirtschaftskrise ihre Arbeitsplätze verlieren. „In einem Dorf verloren an einem einzigen Tag 60 Männer ihre Arbeitsplätze in Budapest“, wird Ákos Tóth vom Nachrichtenportal index.hu zitiert. Er leitet die Stiftung „Age of Hope“ und organisiert Hilfslieferungen in die verarmten Dörfer Ostungarns.

Das gilt anderswo genauso. „In Rumänien haben jetzt schon Hunderttausende ihre Jobs verloren”, sagt der Bukarester Radio-Journalist Catalin Gombos. Wer angestellt war, bekommt Geld von der Regierung. Da aber viele Roma auf dem Schwarzmarkt ihr Geld verdienen, verlieren sie ihr Einkommen ersatzlos. Es erinnert an die Katastrophe der Wendezeit für die Roma: Auch damals waren sie als erste von den Massenentlassungen betroffen, die der Übergang vom Kommunismus zur Marktwirtschaft mit sich brachte.Weil Sinti und Roma von der Krise besonders hart getroffen werden und weil die Pandemie Vorurteile gegen sie geschürt hat, hat die EU-Kommission am Weltromatag (7. April) eine neue, „verstärkte Strategie für die Gleichheit und Integration der Roma in der europäischen Gesellschaft“ angekündigt. Eine europäische Roma-Strategie gibt es seit 2011 – damals wurde sie unter Federführung der ungarischen Ratspräsidentschaft ausgearbeitet. Angeregt hatte das, nach Angaben des damals damit befassten Humanministers Zoltán Balog, Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán.

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