Referendum zum Schwangerschaftsabbruch - Das katholische Irland am Scheideweg

Die Iren entscheiden darüber, ob Schwangerschaftsabbrüche zukünftig legal sind. Die Frage spaltet das erzkatholische Land. Pikant: Ausgerechnet ein konservativer Premierminister ermöglichte den Volksentscheid erst

Die Abtreibungsfrage ist in dem katholischen Irland eine der tiefsten und schwierigsten Probleme überhaupt / picture alliance
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Vor dem Leinster-Haus in Dublin, in dem das irische Parlament tagt, geht ein Mann auf und ab, der seine Wut ausbuchstabiert hat: „Ihr, die ihr mit Ja stimmt“, steht auf einem Schild, das er um den Hals trägt, „hättet abgetrieben werden sollen“.

Bei der „Nein“-Kampagne stieg in den letzten Tagen vor dem Abtreibungsreferendum am 25. Mai in Irland die Nervosität. Vor allen bei Abtreibungs-Gegnern lagen die Nerven blank. In einer Umfrage des Instituts Ipsos-Mori führte das „Ja“-Lager mit 44 Prozent zu 32 Prozent. Eine klare Mehrheit kündigt also an, den achten Zusatz der Verfassung streichen zu wollen, der seit 1983 festschreibt, dass Abtreibung verboten ist und der das ungeborene Leben jenem der Mutter gleichsetzt. Bisher haben die Iren damit eines der striktesten Abtreibungsgesetze der Welt. Am Freitag sind sie dazu aufgerufen, diese Frage grundsätzlich zu klären.

Zwei prominente Fälle für das „Ja“-Lager

Sollten die Iren die Abtreibung aus der Verfassung streichen, dann will die Regierung von Premierminister Leo Varadkar anschließend im Parlament ein neues Gesetz vorlegen, das Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen erlaubt. Die Chancen dafür stehen gut, es gibt im Dáil, dem Unterhaus des Parlaments, und dem Seanad, dem Senat, eine Mehrheit, Abtreibung in den ersten drei Monaten zu legalisieren. 

Diese jüngste Phase der irische Abtreibungsdebatte wurde von zwei Fällen besonders tragischen Fällen angestoßen. Die 31-jährige Savita Praveen Halappanavar starb 2012 an einer Fehlgeburt, weil sich das Universitätspital in Galway geweigert hatte, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Halappanavars Tod wurde zum Symbol für eine unhaltbare Politik, in der das Leben der Mutter nicht über jenes des ungeborenen Kindes gestellt worden war. 

Der zweite Fall war jener von Amanda Mellet. Bei einem Routinecheck in der 21. Woche ihrer Schwangerschaft wurde 2011 festgestellt, dass der Fötus in ihrem Bauch das Edwards-Syndrom, eine genetische Störung, hatte. Abtreibung kam auch in diesem Fall in Irland nicht in Frage. Mellet und ihr Mann mussten nach Liverpool fliegen, um die Schwangerschaft abzubrechen. 

„Nein“-Kampagne erhält internationale Unterstützung 

Das „Center for Reproductive Rights“ nahm sich ihrer Sache an, klagte vor dem UN-Menschenrechts-Kommission und bekam 2016 recht: Das bisherige Abtreibungsrecht in Irland breche den Internationalen UN-Pakt über die Menschenrechte, hieß es in der Schlussfolgerung. Der irische Staat musste Amanda Mellet 30.000 Euro Kompensation zahlen. Viel wichtiger aber war für die Befürworter von legalen Schwangerschaftsabbrüchen, dass die Vereinten Nationen empfahlen, die Abtreibungsgesetze in Irland zu liberalisieren. 

„Das Urteil allein war ungemein wichtig für andere Frauen, die sich danach trauten, an die Öffentlichkeit zu gehen“, sagt Leah Hoctor vom Center for Reproductive Rights. Das Zentrum steht Frauen weltweit mit juristischer Beratung zu Fortpflanzungsrechten zur Seite: „Noch wichtiger war aber das Signal, dass sich die Stimmung in Irland grundsätzlich verändert hatte. Es war klar, dass es jetzt eine Chance gab, eine Volksabstimmung zum Thema abzuhalten, die zur Streichung des achten Amendments führen würde.“ 

Unter Konservativen herrscht die Angst vor einem Liberalisierungsschub, der von Irland auf andere Länder überspringen könnte. Deswegen haben sich nicht nur lokale Befürworter und Gegner der Abtreibung mit voller Kraft in der Referendumskampagne engagiert. Besonders aus den USA oder Polen sind sogenannte Pro-Lifer (Abtreibungsgegner) nach Irland gekommen, die die „Nein“-Kampagne unterstützten. Das tun sie mit Spenden für Werbung in den sozialen Medien, die die Iren überzeugen sollten, mit „Nein“ zu stimmen. 

Die „No“-Kampagne  konzentriert sich auf die zentrale Forderung, den Abtreibungs-Bann in der Verfassung zu belassen. In einigen Jahren könnte man eventuell einen Zusatz beschliessen, der Schwangerschaftsabbrüche in gravierenden Fällen gestattet. „Wir können doch nicht einfach so einen Persilschein für Abtreibungen ausstellen“, sorgt sich Mattie McGrath, einer der prominentesten Gegner der Liberalisierung. McGrath ist ein unabhängiger Abgeordneter im Parlament. 

Premierminister ohne Scheu

Dass er für und seine Mitstreiter überhaupt für das „Nein“ kämpfen müssen, sagt einiges über die Veränderungen im Land. Im erzkatholischen Irland ist in den vergangenen Jahren viel passiert. Die katholische Kirche hat viel moralische Autorität eingebüsst, seit eine Reihe von Missbrauchsfällen bekannt geworden ist. 2015 stimmten die Iren per Referendum dann für die Homoehe, was für viele Aktivisten, die seit Jahren für gleiche Rechte gekämpft hatten, einem Wunder gleichkam. 

Mit Leo Varadkar wurde 2017 ein junger Konservativer Premierminister, der in vieler Hinsicht ein Symbol der Veränderung und Liberalisierung der Gesellschaft ist: Er stammt aus einer indischen Einwandererfamilie. Und er ist schwul. Sein Vater Ashok hat in einem Interview gesagt, für ihn sei es kein Problem gewesen, dass sein Sohn 2015 öffentlich bekannte, homosexuell zu sein. Schlimmer war es für ihn, meinte er, als Leo ihm eröffnete, dass er für die konservative Fine Gail kandidieren wollte. 

Als Regierungschef hat der zentristische Premier bisher keine Scheu gezeigt, heikle Themen anzugehen. Varadkar hat gezeigt, dass er in den Verhandlungen über die Zukunft der nordirischen Grenze zwischen Großbritannien und der EU als Regierungschef eines kleinen EU-Landes die gesamte Europäische Union hinter sich vereinen kann. Mit großer Klarheit und Härte hat er bisher die Versuche der Briten abgewehrt, durch einen Austritt aus der Zollnion die grüne Grenze in Nordirland zu gefährden. 

Das gleiche Land mit mehr Mitgefühl

Dass die Abtreibungsfrage in seinem katholischen Land eine der tiefsten und schwierigsten Probleme überhaupt ist, das ist Leo Varadkar sehr wohl bewusst. Er bekannte vor ein paar Tagen, dass er früher Pro-Life war. Dann aber hätte er nach Gesprächen mit den Frauen in seinem Leben seine Meinung geändert. Tausende Frauen sind bisher jährlich ins Vereinigte Königreich gereist, um einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Die Umstände dieser Abtreibungen haben das Leben von Frauen und Kindern in Irland nicht sicherer gemacht. Die Abtreibung zu legalisieren, meinte Varadkar, sei die richtige Position für ihn und sein Land. 

Dennoch versuchte er in einem Appell, auch die Abtreibungsgegner zu besänftigen. Am Ende der letzten Parlamentsdebatte vor dem Referendum sagte der irische Premierminister: „Für alle, die sich vor dem Ergebnis fürchten, möchte ich sagen: Irland wird am Samstag immer noch das gleiche Land sein. Nur mit etwas mehr Mitgefühl ausgestattet.“

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