Proteste in Hongkong - Die Grenzen von Chinas Macht

Der Zahl der Demonstranten in Hongkong wuchs am Wochenende bis auf eine Million. Jeder siebte Bewohner der halbautonomen Stadt stellt sich damit offen gegen das geplante Auslieferungsgesetz, die lokale Regierung und gegen das System von Xi Jinping

Historische Proteste in Hongkong gegen das geplante Auslieferungsgesetz / picture alliance
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Autoreninfo

Klaus Mühlhahn ist Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und Inhaber des dortigen Lehrstuhls Moderne Chinastudien.

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Ungefähr eine Million Menschen protestierten am Sonntag in Hongkong gegen ein Gesetz, das Auslieferungen von Bürgern Hongkongs an das chinesische Festland erlauben würde. Diese Massendemonstration war eine der größten in der Geschichte Hongkongs und ein weiteres Zeichen wachsender Sorge über die Erosion der bürgerlichen Freiheiten. Sie sind es, welche die halbautonome Stadt seit langem vom chinesischen Festland bislang noch unterscheiden.

Das Verhältnis zwischen Hongkong und der Zentralregierung in Peking ist kompliziert. Hongkong ist eine ehemalige britische Kolonie, die 1997 an China zurückgegeben wurde. Im Rahmen der Formel „ein Land, zwei Systeme“ wurde Hongkong als Sonderverwaltungszone ein hohes Maß an Autonomie garantiert. Dieser seltsame Status machte es möglich, den unabhängigen öffentlichen Dienst, unabhängige Gerichte, eine freie Presse und ein unzensiertes Internet in Hongkong beizubehalten.

Geschlossenheit und demokratische Reife

Die Ereignisse am Sonntag in Hongkong sind aus verschieden Gründen historisch. Zum einen ist der Zahl der Demonstranten beeindruckend. Hongkong hat 7 Millionen Einwohner. Jeder siebte Einwohner waren somit bei den Protesten dabei. Laut einer Umfrage haben sich beinahe ein Drittel der Demonstranten zum ersten Mal an einem öffentlichen Protest beteiligt. Viele von denen, die nicht demonstriert haben, sind eher aus Furcht vor Nachteilen zu Hause geblieben, denn aus mangelnder Zustimmung. Ein vergleichbar hoher Mobilisierungsgrad ist selten. Zum Vergleich: Bei den Demonstrationen gegen den Brexit wurden auch eine Million Demonstranten gezählt, aber Großbritannien hat 66 Millionen Einwohner. Es handelt sich somit um eine beindruckende öffentliche Willensbekundung der Hongkonger Gesellschaft, die ein hohes Maß an Geschlossenheit und demokratische Reife zeigte.

Es dürfte sich außerdem um die erste Demonstration der Geschichte handeln, die sich gegen ein Auslieferungsgesetz richtet. Solche eher technischen Gesetze rufen fast nie so großen öffentlichen Widerhall hervor. Was die Menschen daher wirklich auf die Straße treibt, ist eher Angst und Wut. Die Angst besteht darin, dass dieses Gesetz tatsächlich das Ende des besonderen halbautonomen Status Hongkongs bedeuten könnte. Es geht um die Verteidigung einer Stadt, in der die bürgerlichen Freiheiten geschützt werden, in der Menschen-, Rede-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit respektiert werden, wo es ein funktionierendes und unabhängiges Rechtssystem gibt und die Rechtsstaatlichkeit als hohes Gut verteidigt wird.

Vielen der Protestierer befürchten, dass das Auslieferungsgesetz Entführungen und Zugriffe durch den chinesischen Staat grundsätzlich legalisiert. Diese Ängste sind nicht grundlos. Vor zwei Jahren wurden mehrere Buchhändler aus Hongkong entführt und tauchten auf mysteriöse Weise in chinesischen Gefängnissen wieder auf. Die Demonstranten befürchten, dass solche Zugriffe durch die Sicherheitsorgane der Volksrepublik jetzt legalisiert werden. Mit Nachdruck und Geschlossenheit zeigt die Hongkonger Gesellschaft, dass sie diese demokratischen Freiheiten nicht ohne Widerstand aufgeben will. Angesichts der Tatsache dass sich im Westen bisweilen Demokratiemüdigkeit ausbreitet, setzt Hongkong ein starkes Zeichen für Freiheit und Demokratie.

Gegen die Hongkonger Regierung und gegen Xi Jinping

Darüber hinaus gibt es Wut und Enttäuschung darüber, dass die Regierung von Hongkong versucht, diese Gesetze ohne ein ordnungsgemäßes Verfahren durchzusetzen. Viele Demonstranten beklagen, dass es zu diesem Thema keine wirkliche öffentliche Konsultation gab. Erst in der vergangenen Woche sind Tausende von Anwälten für einen Schweigemarsch in Schwarz auf die Straße gegangen. Die Öffentlichkeit ist der Auffassung, dass die Regierung die Sorgen der Menschen aus vorauseilendem Gehorsam gegenüber Peking nicht wirklich ernst nimmt. Und deshalb protestieren sie.

Drittens aber, und das ist vielleicht der wichtigste Punkt, lehnt sich die Hongkonger Gesellschaft gezielt gegen Xi Jinpings harte Linie auf. Seit seinem Amtsantritt hat der chinesische Staatspräsident gegenüber Hongkong eine ausgesprochen aggressive Politik verfolgt. Im Juli 2017, während seines historischen Besuches in Hongkong, gab er sich kompromisslos. Es sprach in Bezug auf jedwede Änderung des Status von Hongkong von einer roten Linie, die nicht überschritten werden dürfe, und mahnte an, dass auch für Hongkong die nationalen Interessen der Volksrepublik Vorrang haben. Das Aufbegehren Hongkongs soll Peking nun auch die Grenzen seiner Macht aufzeigen.

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