Pressestimmen zur Wahl - „Die Niederlande sind tief gespalten“

Morgen wird in den Niederlanden gewählt. Die Parteien liefern sich laut Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Geert Wilders Partei PVV hat gute Chancen, als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorzugehen. An die Regierung wird er wohl trotzdem nicht kommen

Fast alle Parteien haben im Vorfeld mitgeteilt, dass sie nicht mit Wilders koalieren würden / picture alliance
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Süddeutsche Zeitung 

„Die überwiegende Mehrheit der Wähler wird den einfachen Lösungen, die Wilders für die Probleme im Land anbietet, nicht trauen. Darüber hinaus wird der Parteichef der PVV, der zugleich das einzige Parteimitglied ist, keine Gelegenheit bekommen, eine Regierung mitzugestalten – geschweige denn zu führen. Zumindest wenn die anderen relevanten Parteien ihr Versprechen halten, auf keinen Fall eine Koalition mit Wilders einzugehen.“

Die Welt

„Wollte sich der lange im Wahlkampf als blass, gar als 'unsichtbar' wahrgenommene Ministerpräsidentm [Mark Rutte] auf einen Schlag als tatkräftiger Patriot gegen illegale Zuwanderer, Muslime und einen kleinasiatischen Potentaten profilieren – und damit der Islam- und Migrantenkritik seines schärfsten Rivalen Geert Wilders den Wind aus den Segeln nehmen? Sonst nämlich gibt sich Rutte als klassischer Liberaler, der außer für Unternehmergeist und Bürokratieabbau für totale Meinungsfreiheit eintritt: Sogar die Leugnung des Holocaust solle in Holland straffrei bleiben, denn Dummheit und Irrsinn könne man nicht mit Verboten abhelfen. Wie verträgt sich diese liberale Linie mit dem Verbot türkischer Regierungsmitglieder als Wahlkämpfer an diesem Wochenende?

Offenbar hat der massive Aufschwung des Rechtsnationalisten Wilders Rutte ziemlich verängstigt. Auf keinen Fall möchte Rutte, dass seine ohnehin schwächelnde VVD so viele Stimmen verliert, dass Wilders sich als Triumphator aufspielen kann.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Und selbst wenn seine [Wilders] PVV als stärkste Kraft ins Ziel gehen sollte, bedeutet das noch nicht, dass sie tatsächlich Teil der nächsten Regierung sein wird. Die stärkste Partei kann in den Niederlanden nur selten mehr als ein Viertel der Stimmen auf sich vereinen. Bis auf eine Partei für ältere Wähler will allerdings keiner mit Wilders zusammenarbeiten.“

Der Tagesspiegel

„Dass eine Partei die absolute Mehrheit erreichen wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Alle Parteien aber – bis auf 50Plus – haben im Wahlkampf gesagt, dass sie keinesfalls mit Wilders koalieren würden. Über Mark Ruttes Entscheidung sagt man in Den Haag zwar, dass er die Tür zugeworfen, aber noch nicht abgeschlossen habe. Zudem wäre es in der niederländischen Demokratietradition ein Problem, die vielleicht stärkste Partei von der Regierungsbildung auszuschließen. Das wäre für das gesamte politische System eine knifflige Situation.“

Der Freitag

„Vielleicht wiederholt sich nun ein bekanntes Phänomen, dass zwar viele Wähler zur PVV neigen, aber in der Wahlkabine davor zurückschrecken, der Partei ihre Stimme zu geben und womöglich einen Regierungschef Wilders verantworten zu müssen. Unstrittig ist, dass Rechtsliberale und Rechtspopulisten eine ähnliche Klientel ansprechen. Abhängig vom Thema gibt es Berührungspunkte, sonst ist die Distanz mehr als deutlich. Die Freiheitspartei ist rabiat antieuropäisch und plädiert seit Jahren für einen 'Nexit'. Die VVD liebt den EU-kritischen Sound, ist gegen zu viel Integrationsdynamik, sie stellt aber die Union nicht generell in Frage.“

Focus Online

„Die sprichwörtliche Liberalität der weltoffenen Handelsnation ist zunehmend unter Druck geraten, die Niederlande sind heute tief gespalten. Der Soziologe Koen Damhuis, der sich in einem Buch mit dem Phänomen Wilders auseinandergesetzt hat, diagnostiziert eine 'politische Vertrauenskrise' in seiner Heimat. Da wird Fremdes schnell zur Bedrohung. Psychologen haben mehrfach die Frage aufgeworfen, ob Wilders womöglich deshalb so heftig gegen alles Fremde polemisiert, weil er selbst ausländische Wurzeln hat. Seine Mutter kam aus Indonesien; die blonde Haarfarbe wäre so betrachtet ein Versuch, alles Exotische zu übertünchen. So radikal wie möglich.

Wilders’ Erfolg ist erstaunlich. Obwohl sich das Königreich – nach Jahren wirtschaftlicher Probleme – bestens erholt hat, ist nicht Freude, sondern Wut ein dominierendes Gefühl vieler Niederländer. Und: Nur etwa fünf Prozent der Menschen im Land zwischen Rhein, Maas und Schelde haben einen muslimischen Hintergrund.“

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