Presseschau zu Nordkorea - „Die Denuklearisierung kann nicht das einzige Ziel sein“

Nordkorea hat eigenen Angaben zufolge am Wochenende eine Wasserstoffbombe getestet. Südkorea reagierte auf diesen sechsten Atomtest mit einer Militärübung. Die internationale Presse beobachtet die Eskalation mit Besorgnis, aber auch einer Portion Fatalismus

Undatiertes Bild einer nordkoreanischen Langstreckenrakete / picture alliance
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Neue Zürcher Zeitung:

Die Inszenierung ist perfekt auf die angestrebte Botschaft an die Welt abgestimmt: Seht her, wir können jederzeit eine Atombombe von gewaltiger Zerstörungskraft auf euer Territorium entsenden. Südkorea, Japan, China und neuerdings möglicherweise auch die USA könnten nach den jüngsten Fortschritten bereits in Reichweite sein. Gerade die Perfektion der nordkoreanischen Propaganda demonstriert, worum es Kim Jong-un wirklich geht. Nicht die Auslösung eines Nuklearkriegs ist sein Ziel, sondern die Abschreckung der Großmächte vor jedem Versuch, sein ärgerliches Schreckensregime mit Gewalt zu beseitigen.

Der Standard (Österreich):

Ob die gewaltige unterirdische Explosion in Nordkorea tatsächlich eine Wasserstoffbombe war oder nicht, eines ist seit Sonntag klar: Donald Trumps Politik der verbalen Abschreckung gegenüber Kim Jong-un ist wirkungslos. Der junge Diktator lässt sich durch Drohungen mit „Feuer und Zorn“ und militärischen Optionen nicht einschüchtern, sondern steigt bei seinem Rüstungsprogramm noch aufs Gas. Das liegt auch daran, dass die USA über keine glaubwürdigen militärischen Druckmittel verfügen. Dazu ist die südkoreanische Millionenmetropole Seoul der nahen nordkoreanischen Artillerie viel zu sehr ausgeliefert. 

The Guardian (Großbritannien):

Das schlimmste Ergebnis der Krise auf der koreanischen Halbinsel wäre ein Atomkrieg. Das zweitschlimmste wäre ein konventioneller Krieg. Aus diesen einfachen Plattitüden folgt alles andere. Das nordkoreanische Regime ist zweifellos abscheulich. Seine Bomben sind unnötig und erkauft auf Kosten großen menschlichen Leidens. Das langfristige Ziel jeder Außenpolitik muss sein, das Ende der Diktatur abzuwarten und so weit wie möglich zu beschleunigen. Aber die militärische Intervention ist keine glaubwürdige Option mehr.

Korean Times:

Wenn dieses Deja vu so endet, wie wir es kennen, werden die Verbündeten USA und Südkorea wieder einen Mangel an lebensfähigen Optionen beklagen. Die Vereinten Nationen werden von China und Russland unter Druck gesetzt und ihre Sanktionen wohl erneut abschwächen. Die USA werden Flugzeugträger in die Nähe der koreanischen Halbinsel bringen, strategische Bomber auf den Weg zu einem Überflug schicken und ein U-Boot mit nuklearen ballistischen Raketen bereithalten. Dann wird die gesamte internationale Gemeinschaft wie gewohnt zu ihren normalen Geschäften zurückkehren und Nordkorea vergessen, bis es einen weiteren Atom- oder Raketentest durchführt. Um diesen Teufelskreis zu beenden, sollten wir uns der Situation stellen, wie sie ist. Der Norden ist dazu bestimmt, ein Atomwaffenstaat zu werden, wenn er nicht schon einer geworden ist. Dies bedeutet, dass die Denuklearisierung nicht das einzig tragfähige Ziel sein kann. Es muss einen Plan B geben. Dieser Notfallplan muss drei Zwecken dienen: 1) ein Gegengewicht schaffen, um das Gleichgewicht der Macht zu Ungunsten des nuklear-bewaffneten Norden zu verändern, 2) die Zeit der Anspannung zu reduzieren und 3) den Weg für einen dauerhaften Frieden zu ebnen.

Le Monde (Frankreich):

Südkorea, wo 28.500 amerikanischen Soldaten stationiert sind, ist es verboten, ein Atomprogramm zu entwickeln. Das besagt ein 1974 mit den USA geschlossener Vertrag, die sich im Gegenzug verpflichteten, Südkorea zu beschützen. Doch die immer größer werdende Bedrohung aus dem Norden treibt einige Südkoreaner zu Emanzipationsbekundungen: „In dem Moment, wo Atomwaffen über unseren Köpfen fliegen, können wir nicht länger nur vom Atomschirm und amerikanischen Abmahnungen abhängig sein.“

El País (Spanien):

Die Dynamik des nordkoreanischen Konflikts im vergangenen Jahrzehnt ist zu einer Liturgie geworden: Die Sanktionen gegen Nordkorea sind nicht hart genug, um das Wirtschaftssystem zu destabilisieren. Unter den gegenwärtigen Umständen wird es aber keinen neuen Konsens im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen geben. Russland und vor allem China sind dazu immer noch nicht bereit. Auch die Vereinigten Staaten haben öffentlich behauptet, dass es zu riskant sei, das Regime zu stürzen und dass sie einen Politikwechsel in dem asiatischen Land anders erzwingen wollen. 

La Repubblica (Italien):

Der Tag nach der Bombe Kim Jong-uns gleicht dem davor auf tragische Weise. Nordkorea bereitet einen neuen, unglaublichen Abschuss vor. Noch eine Interkontinental-Rakete, welche die USA erreichen könnte, die Welt erzittern ließ und Pjöngjang als „vollständigen Erfolg“ betrachtet. Und warum dann nicht mit den Experimenten weitermachen? Die einzige Frage lautet: Wann wird Kim sich entscheiden zu treffen.

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