Internationale Presseschau - „Rechtskonservatives Programm mit einiger Symbolpolitik“

Die neue Regierung in Österreich steht. ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, mit dem sie vor allem in der Flüchtlingspolitik hart durchgreifen wollen. In den europäischen Medien kommt das nicht überall gut an

„Für unser Österreich“ heißt das Programm von Kurz (r.) und Strache / picture alliance
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Der Standard (Österreich)

Ja, hier kommt eine dezidiert rechte Regierung ans Ruder mit einem migrationsfeindlichen und unternehmensfreundlichen Programm. Aber das gibt es auch anderswo in Westeuropa, etwa in den Niederlanden, und es entspricht dem Willen der österreichischen Wähler, die ÖVP und FPÖ im Oktober eine deutliche Mehrheit gegeben haben – im Wissen, dass Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache wohl gemeinsam regieren werden. Das weiß auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen: Er signalisiert, dass er mit dieser Regierung arbeiten will und nicht gegen sie.

(...) Schon im Wahlkampf hat sich Strache bewusst seriös gegeben. Bei der Präsentation des gemeinsamen Regierungsprogramms am Wochenende, das einen proeuropäischen Kurs beschwört, wirkte er bereits wie ein etwas farbloser Konservativer ohne jede Lust zur Provokation. Strache hat das geschafft, was Haider auch aufgrund seiner Persönlichkeit stets verwehrt war: Die FPÖ ist im Mainstream der europäischen Politik angekommen. 

Neue Zürcher Zeitung (Schweiz)

„Zeit für Neues“ lautete der eingängige Slogan von Sebastian Kurz. Unablässig propagierte er im Wahlkampf echte Veränderung und eine ganz neue Art der Politik. Das jüngste, aber gleichzeitig amtsälteste Regierungsmitglied der großen Koalition in Österreich wurde so zur Projektionsfläche für unterschiedlichste Wünsche der Wähler nach einem Wandel – und damit zum Wahlsieger. Doch Veränderung ist eine leere Floskel, die mit Inhalten gefüllt werden muss. Das nun präsentierte Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ ist rechtskonservativ mit einiger Symbolpolitik, aber insgesamt solid und mit guten Ansätzen. Die große Vision für eine tiefgreifende Umgestaltung fehlt jedoch.

Die Tageszeitung (Deutschland)

Die betont herzliche Männerfreundschaft zwischen dem 31-jährigen Shootingstar Sebastian Kurz und dem bald 50-jährigen Politveteranen Heinz-Christian Strache ist symptomatisch dafür, wie sich die bürgerliche ÖVP und die rechtsnationalistische FPÖ einander in den letzten Jahren angenähert haben – bis hin zur Ununterscheidbarkeit in Fragen der Flüchtlingspolitik.

(...) Strache und seine von rechtsextremen Burschenschaftern durchsetzte Partei werden von Kurz nicht mehr als Gefahr für die Demokratie gesehen. Sonst hätte er sich nicht auf das beängstigende Experiment eingelassen, mit Bundesheer, Polizei und Geheimdiensten den gesamten Sicherheitsapparat dem Koalitionspartner anzuvertrauen. Diese Aufteilung folgt der Cluster-Logik der neuen Regierung: Die einen bekommen die Sicherheit, die anderen Wirtschaft und Soziales.

The Guardian (Großbritannien)

Als die FPÖ zuletzt im Jahr 2000 an die Regierung kam, verhängten andere EU-Staaten kurzfristige Sanktionen gegenüber Österreich, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Angesichts der seitdem veränderten politischen Landschaft in Europa wird die Reaktion diesmal wohl deutlich stummer ausfallen. 

(...) Kurz hat jedoch, um mögliche Kritiker gleich zu entwaffnen, bereits klargestellt, dass seine Regierung pro-europäisch sein wird. Er plant sogar, einige EU-Abteilungen vom Außenministerium in sein Büro zu verlegen, und hat gegenüber einer Quelle versichert, dass es unter ihm kein Austrittsreferendum wie in Großbritannien geben werde.

La Libération (Frankreich)

Wie durchgesickert ist, soll die FPÖ viele Schlüsselministerien bekommen, darunter das Innen- und Außenministerium, zwei Ressorts, die ihr in ihrer letzten Regierungsbeteiligung noch vorenthalten waren.

(...) Die Aussicht, eine ehemals von Nazis gegründete Partei wieder an der Regierung zu sehen, hat unter Bürgerrechtsorganisationen und der Israelischen Gemeinschaft Österreichs (IKG) Besorgnis hervorgerufen. Letztere hatte vor einem „nationalistischen Wolf“ an der Regierung gewarnt. Kurz hat unterdessen versichert, eine Null-Toleranz-Haltung gegenüber jeglichem Antisemitismus sei eine klare Vorbedingung, um in seine Regierung einsteigen zu dürfen.

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