Zdenek Hrib - Der Pírator von Prag

Seit kurzem regiert in Tschechiens Hauptstadt ein Bürgermeister von der Piratenpartei – Zdenek Hrib ist das Gegenmodell zum umstrittenen Ministerpräsidenten Andrej Babiš

Erschienen in Ausgabe
Zdenek Hrib will ein Prag, „nicht nur für Touristen und Spekulanten, sondern auch für normale Menschen“/Foto: Roman Vondrous
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Autoreninfo

Simone Brunner lebt und arbeitet als freie Journalistin in Wien. Sie hat in Sankt Petersburg und in Wien Slawistik und Germanistik studiert und arbeitet seit 2009 als Journalistin mit Fokus auf Osteuropa-Themen.

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Zdenek Hrib ist ein Mann für Überraschungen: Der Mediziner, der nie in einer Klinik oder in einer Praxis gearbeitet hat. Der Bürgermeister, der am Wochenende mit seinen Parteikollegen durch die Prager Innenstadt zieht, um für die Legalisierung von Marihuana zu demonstrieren. Der Chef im Rathaus, den vor wenigen Monaten wohl nur die wenigsten Prager kannten. Doch seit November 2018 ist Hrib der neue Bürgermeister der tschechischen Hauptstadt Prag. Damit ist er der erste Pirat an der Spitze einer europäischen Metropole. Der „pírator“, ein Wortspiel aus „Pirat“ und dem Wort für Bürgermeister, „prímator“, wie es auf der Titelseite einer tschechischen Tageszeitung steht, die gerahmt in Hribs Büro hängt.

Der 38-Jährige steht für den Aufstieg einer Partei, die vielerorts wieder in Vergessenheit geraten ist: die Piraten. Nach anfänglichen Erfolgen etwa in Deutschland oder in der Schweiz ist die Euphorie in vielen Ländern längst verflogen. Nicht so in Tschechien: Bei den Parlamentswahlen 2017 wurden die Piráti mit knapp 11 Prozent drittstärkste Kraft, auch bei den Europawahlen kamen sie mit knapp 14 Prozent auf Platz drei. Bei den Prager Kommunalwahlen im Herbst landeten sie nur hauchdünn hinter der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) auf Platz zwei. Doch weil es den Piraten am Ende gelang, eine Dreierkoalition zu schmieden, wurde Hrib im November 2018 zum Bürgermeister ernannt.

Ruf des trockenen Sachpolitikers

Nirgends treffen das Alte und das Neue so drastisch aufeinander wie im Prager Rathaus, einem schmucken Jugendstilbau in der Altstadt. Besucher schreiten über rote Teppiche, die die Schritte verschlucken, während Touristen den Paternoster im Stiegenhaus – einen der letzten Aufzüge dieser Art in Prag – fotografieren. Die Gänge sind von den Ölgemälden der Bürgermeister aus dem 18. und 19. Jahrhundert gesäumt, während sich der Hausherr in seinem Büro moderner eingerichtet hat: abstrakte Kunst an den Wänden, neben seinem Medizindiplom und einem aktuellen Stadtplan. Hrib, groß und schlank, Dreitagebart und grau melierter Kurzhaarschnitt, Anzug ohne Krawatte. Er spricht langsam und überlegt, fast druckreif, um im nächsten Moment doch schallend aufzulachen.

Zdenek Hrib hat einen Ruf als trockener Sachpolitiker, nach seinem Studium forschte er über Patientensicherheit und IT im tschechischen Gesundheitswesen und bereitete die Einführung der elektronischen Rezepte vor. Mit dem spröden Charme eines Technokraten, der ein so ganz anderer Typ ist als der superreiche Premierminister Andrej Babiš, gegen den derzeit Tausende Tschechen auf die Straße gehen, oder der polternde Präsident Miloš Zeman, konnte er wohl vor allem bei der urbanen Mittelschicht punkten.

Eine „digitale Metropole“ solle Prag werden, wie Barcelona oder Taipeh, die zwar die Daten der Bürger schützen, aber zugleich Unternehmen in die Pflicht nehmen, ihre Daten für das Allgemeinwohl zur Verfügung zu stellen. „Ich möchte, dass meine Kinder in einer smarten Stadt leben, die ihren Bürgern dient – und nicht der Mafia“, sagte der dreifache Vater Hrib in einem Werbevideo. Ein Prag, „nicht nur für Touristen und Spekulanten, sondern auch für normale Menschen“.

Zukunft: Stadt

Hrib selbst hat zuletzt aber vor allem mit seiner Chinapolitik von sich reden gemacht – mit einem feinen Sinn für Provokation. Bisher sah ein Abkommen zur Städtepartnerschaft zwischen Prag und Peking vor, dass die Prager Stadtregierung die sogenannte Ein-China-Politik anerkennt – jene Prämisse, nach der zur Volksrepublik China auch der demokratische Inselstaat Taiwan gehört (auf den China allerdings großen Einfluss nimmt). Doch Hrib will diesen Passus streichen. Auch in der Tibetfrage zeigte der Pirat zuletzt Flagge. Am „Raise a Flag for Tibet“-Tag wurde über dem Rathaus wieder die tibetanische Fahne gehisst, eine Praxis, die unter seiner Vorgängerin abgeschafft worden war. Ist seine Politik ein Gegengewicht zum Präsidenten Zeman, der als großer China­freund gilt? Er winkt ab. „Wir sind einfach der Meinung, dass so etwas nichts in einer Städtepartnerschaft zu suchen hat.“

Hrib gehört zu den liberalen, progressiven Bürgermeistern in den Visegrád-Staaten, die auf nationaler Ebene von konservativen, populistisch ausgerichteten Parteien regiert werden. Darauf angesprochen, lacht er laut auf. „Natürlich könnte ich jetzt so etwas sagen wie: Bürgermeister an die Macht! Aber im Ernst: Viele Menschen ziehen in die Städte, bis 2050 sollen zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben.“ So wie Hrib selbst, der auch nicht aus Prag, sondern aus einem 6500-Einwohner-Nest an der tschechisch-slowakischen Grenze kommt. „Unsere Zukunft sind nun mal die Städte“, sagt der „pírator“ dann doch selbstbewusst.

Dieser Text erschien in der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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