Präsidentschaftswahlkampf in den USA - Die unsichtbaren Dritten

Bei der Fernsehdebatte in den USA fehlen die Kandidaten Jill Stein von den Grünen und der libertäre Gary Johnson. Dennoch könnten beide am Ende die Wahl entscheiden

Fehlt beim TV-Duell, könnte aber die entscheidenden Prozentpunkte holen: Gary Johnson / picture alliance
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Markus Ziener ist Professor für Journalismus in Berlin. Zuvor berichtete er als Korrespondent aus Washington, Moskau und dem Mittleren Osten.

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Zur ersten Fernsehdebatte zwischen Donald Trump und Hillary Clinton könnten heute Nacht bis zu 100 Millionen Zuschauer einschalten. Damit bewegt sich das Ereignis auf dem Niveau des Super Bowl, dem Finale im American Football. Und ziemlich sicher wird es die bislang populärste TV-Debatte aus dem Jahr 1980 ablösen, bei der sich Ronald Reagan und Jimmy Carter gegenüberstanden und die von 80 Millionen Menschen verfolgt wurde.

Doch während das mediale Spektakel der so ungleichen Kandidaten Trump und Clinton ein weiteres Mal die Quoten und Werbeeinnahmen für die Fernsehsender in neue Höhen schraubt, fehlen zwei weitere Präsidentschaftskandidaten: Gary Johnson und Jill Stein. Libertär der eine, grün die andere. Die beiden Quereinsteiger werden sich die Debatte an der Hofstra University auf Long Island nur am Bildschirm ansehen können, weil sie in den Umfragen nicht die Hürde von 15 Prozent Zustimmung genommen haben. Dennoch könnten sie beide es sein, die am Ende die Wahl am 8. November entscheiden.

Sie schaden Clinton mehr als Trump

Vor allem der 63-jährige Johnson liegt seit Wochen bei ziemlich soliden zehn Prozent der Stimmen. Er holt sie sich zwar aus beiden Lagern, doch nach Einschätzung amerikanischer Meinungsforscher beginnt Johnson, Hillary Clinton inzwischen mehr zu schaden als Donald Trump. Zählt man die Unterstützung für die Linke Jill Stein dazu, die zwischen zwei und vier Prozent der Stimmen einsammeln könnte, wären das am Ende womöglich jene Prozente, die Clinton für den Sieg fehlen. Das würde den Wahlen im Jahr 2000 ähneln, als ihr Vorgänger Ralph Nader dem demokratischen Kandidaten Al Gore Stimmen abnahm. Äußerst knapp gewann damals der Republikaner George W. Bush.

Dabei war es ausgerechnet Hillarys Mann Bill, der vor 24 Jahren von der Kandidatur eines dritten Bewerbers profitierte. Ross Perot, ein schwerreicher Geschäftsmann aus Texas, fuhr 1992 fast 19 Prozent der Stimmen ein – und zerstörte damit den Traum von George Bush Senior auf eine Wiederwahl. Nur so war es Bill Clinton möglich, mit lediglich 43 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt zu werden. Vier Jahre später erwies sich Perot erneut als Zünglein an der Waage, als er mit immerhin noch über acht Prozent diesmal dem –zugegebenermaßen schwachen – republikanischen Kandidaten Bob Dole das Rennen verdarb. Wieder wurde Clinton gewählt, und wieder war dieser unter der absoluten Mehrheit geblieben.

Beide gelten als unkonventionelle Pragmatiker

Was Johnson und Perot eint, ist dabei die Tatsache, dass beide die Karte des unkonventionellen, weitgehend unabhängigen und pragmatischen Politikers spielen. Die Verachtung für das Washingtoner Establishment führte und führt beiden Stimmen zu – republikanische wie demokratische. Was Johnson nun aber für Hillary so gefährlich macht, ist deren anhaltendes Negativimage. Denn wer Trump nicht wählen mag, der landet nicht automatisch bei Hillary. Mit einem Haken bei Johnson bewahrt er am 8. November zumindest die Illusion, seine Stimme nicht zu verschenken.

Dabei spielt es bei vielen Unterstützern der Demokraten offenbar keine Rolle, dass Johnsons politische Positionen näher bei jenen der erzkonservativen „Teaparty“ liegen, als bei jenen der Demokraten. Als Gouverneur von New Mexiko hat Johnson in achtjähriger Amtszeit nie Steuern erhöht, dafür in 14 Fällen aber gesenkt. Er tritt ein für einen Nachtwächterstaat, der sich weitgehend aus dem Leben der Menschen heraushält und will die Sozialausgaben, vor allem die staatlichen Krankenversicherungen Medicare und Medicaid, drastisch reduzieren.

Wem das nicht gefällt, der kann sich immerhin bei anderen Ideen von Gary Johnson wohler fühlen: keine US-Beteiligung an Kriegen, eine kritische Haltung gegenüber Israel, Stärkung der Bürgerrechte und Legalisierung des Konsums von Marihuana. Diese isolationistische Haltung mag dann auch den groben Schnitzer erklären, den sich Johnson kürzlich geleistet hat. Als der Libertäre in einem Interview nach seiner Haltung im Kriegsdrama um die syrische Stadt Aleppo gefragt wurde, schüttelte er nur verständnis- und ahnungslos den Kopf: „Was ist Aleppo?” Immerhin: Zustimmung in den Umfragen hat das Johnson nicht gekostet. Das ist insofern erstaunlich, weil laut den Meinungsforschers des Pew Research Centers Terrorismus und Außenpolitik gleich nach der Lage der Wirtschaft die beherrschenden Themen für die Wähler sind.

Sanders-Wähler fürchten um ihre Interessen

Ähnlich wie Johnson kann auch die 66-jährige Jill Stein von der Unzufriedenheit der Wähler mit beiden Kandidaten profitieren. Sie darf sich Hoffnungen machen, verstörte Bernie Sanders-Unterstützer an Bord zu holen, die es einfach nicht übers Herz bringen, Hillary Clinton zu wählen. Ein Großteil der Sanders-Gefolgschaft fürchtet nach wie vor, dass Hillary Clinton, einmal gewählt, deren Interessen vergessen wird. Bestätigung dürfte diese Wählerschaft auch im Leitartikel der New York Times vom vergangenen Wochenende finden. Dort wird zwar ausführlich erläutert, warum sich die Zeitung für die Wahl von Clinton ausspricht. Doch über die Themen der linken Demokraten – Begrenzung des Einflusses der Wall Street, mehr tun für Bildung, Bekämpfung sozialer Ungleichheit – findet sich kein Wort.

Im Wahlkampfstab von Hillary Clinton ist man sich dieser Problematik  inzwischen sehr wohl bewusst. Die jungen Wähler bis 30 Jahre sind aktuell nur zu einem Drittel auf Clintons Seite – verglichen mit 60 Prozent, die 2012 noch Barack Obama unterstützten. Gedrängt vom Clinton-Team hat sich Sanders deshalb inzwischen mehrfach an seine zumeist jugendlichen Anhänger gewandt, doch bitte Hillary ihre Stimme zu geben. Allerdings ist Sanders anzumerken, mit welch gebremstem Enthusiasmus er diese Wahlempfehlung ausspricht. Viel lieber warnt er vor Trump statt Hillary zu loben.

Ob die Fernsehdebatte für Hillary Clinton eine Wende bringen kann, ist fraglich. „Von Hillary wird automatisch erwartet, dass sie gegen Trump eine exzellente Performance hinlegt”, sagt ein Demokrat aus Washington DC, der namentlich nicht genannt werden möchte. „Trump dagegen wird schon als präsidial bejubelt, wenn er einfach nur größere Aussetzer vermeidet.”

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