Justizreformen in Polen - Viel mehr als Hoffnung bleibt nicht


Mit den jüngsten Justizreformen in Polen treibt die PiS den Staatsumbau zur illiberalen Demokratie voran. Die Opposition scheint machtlos. Immerhin äußert sich Mick Jagger

Geschäfte im polnischen Slubice, der Nachbarstadt von Frankfurt (Oder) bleiben am Sonntag geschlossen / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Jan Karon, 25, ist als Sohn polnischer Eltern in Südwestdeutschland aufgewachsen. Er studierte Politikwissenschaft in Heidelberg und Oregon (USA). Heute arbeitet als freier Journalist in Berlin und schreibt unter anderem für VICE.

So erreichen Sie Jan Karon:

Anzeige

Manchmal sagt das Timing des Gesagten mehr als der Inhalt aus: Am vergangenen Wochenende veröffentlichte die polnische regierungsnahe Wochenzeitschrift wSieci ihr neues Titelblatt: Darauf prangt das lächelnde Antlitz des Vorsitzenden der Recht- und Gerechtigkeitspartei (PiS), Jarosław Kaczyński. Daneben in großen Lettern seine Einschätzung aus dem mit ihm geführten Interview: „Die Opposition hat die letzten Monate verloren, weil wir eine wirklich gute Veränderung für Millionen von Polen sind.“

Kaczyński legt damit den Finger in die Wunde, und das nach jener Woche, in der die PiS einen weiteren Schritt beim Umbau der Justiz vollzogen hat. Die „wirklich gute Veränderung“, von der Kaczynski spricht, sah nämlich so aus: Am Mittwoch entließ Zbigniew Ziobro, der Justizminister und Generalstaatsanwalt in Personalunion ist, 27 von 72 Richter des Obersten Gerichts in den Ruhestand. Nach Plänen der PiS sollen weibliche Richter mit 60, männliche mit 65 in Pension gehen, unabhängig, ob ihre sechsjährige Amtszeit noch läuft. Zudem schuf die Regierung zwei neue Kammern am Obersten Gericht: eine, die alte Fälle neu aufrollen – und eine, die Richter sanktionieren kann.

Die PiS macht sich die Justiz gefügig

Die Reform reiht sich ein in die Regierungspolitik der PiS, die in den vergangenen 20 Monaten zahlreiche Schritte unternahm, um die Justiz gefügig zu machen: 2016 beschloss die Regierung, drei von der bürgerlichen Vorgängerregierung gewählten Richter für das Verfassungstribunal nicht anzuerkennen. Stattdessen bestimmte der Sejm (das polnische Parlament), in dem die PiS dank absoluter Mehrheit durchregieren kann, fünf andere Kandidaten, die Präsident Andrzej Duda schließlich vereidigte.

In einem weiteren Schritt wurde der Vorsitzende jenes Verfassungstribunals, Andrzej Rzepliński, entlassen und durch Julia Przyłębska ersetzt: eine lamoryante Juristin, die erst vor kurzem den Preis für die Person des Jahres von wSieci erhielt, ohne dass irgendein Pole zwischen Stettin und Rzeszów wirklich wusste, wofür eigentlich. Przyłębska ist eher durch schrille Tönne gegen die Opposition denn durch verfassungsrechtliche Meilensteine aufgefallen. Als „Person des Jahres“ reiht sie sich aber in eine illustre Runde ein: Die Vorgänger des Awards der Zeitschrift waren Präsident Andrzej Duda und Kaczyński selbst.

Jetzt, im dritten Schritt, folgt das Oberste Gericht. Regierungskritische Juristen berichten über Schikane und Einschüchterung. Bei Widerstand drohen Disziplinarverfahren und Schelte aus den öffentlichen, regierungsnahen Medien. Spektakulär gingen Bilder der Gerichtspräsidentin Małgorzata Gersdorf durch das polnische Politinternet: Sie war am Mittwoch nach ihrer Entlassung den Weg zur Arbeit angetreten und wehrte sich gegen ihre Zwangspensionierung. „Freie Gerichte“, rief die 65-Jährige beim Betreten ihrer Arbeitsstätte.

Plädoyer für einen autoritären Staat

Kaczyńsks Parteisoldaten argumentieren oft, die Reform sei seit Jahren überfällig und notwendig, auch, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerichtbarkeit wiederherzustellen. Es mag stimmen, dass das Antikorruptionsbüro CBA vergangenes Jahr erst zahlreiche Richter wegen des Verdachts auf Korruption festnahm. Doch wer das Interview von Kaczyńsk mit wSieci liest, wird schnell verstehen, dass es bei der Reform nicht darum geht, lediglich juristische Stellschrauben ein wenig nachzujustieren.

Kaczyński sagt nämlich offen, dass die Reform eine „Entweder-Oder-Entscheidung“ sei. „Wenn die Justiz nicht reformiert wird, haben andere Reformen keinen Sinn, weil sie von Gerichten früher oder später negiert, zurückgenommen werden.“ Damit wird klar: Nicht etwa unparteiisch und unabhängig sollen sollen sie sein, die Gerichte, sondern hörig. Wenn die Regierung Positionen in der Judikative politisch vereinnahmt und auf Linie bringt, verschwinden auch die Störgeräusche, die eigentlich den demokratischen Diskurs ausmachen. Deutlicher kann ein Plädoyer für einen autoritären Staat und die Aufhebung einer Gewaltenverschränkung nicht ausfallen.

Was dann passieren würde? Kaczyński umreißt seine politische Vision als „Repolonisierung“. Dazu gehört Geschichts-, Kultur- und Bildungspolitik: Die PiS kommemoriert gerne gefallenen Soldaten und betont Patriotentum als Tugend, will Kinder katholisch erziehen und ein Europa ohne Flüchtlinge. Dafür braucht sie auch die entsprechende Rechtsprechung. Die Judikative wird also im Sinne der rechtsnationalen PiS politisiert.

Ohnmächtige Opposition mit Hoffnungsträger

In dieser Gemengelage ist besonders tragisch, dass Kaczynski mit der Behauptung, die Opposition hätte in den die letzten Monate „verloren“, schlichtweg Recht hat. Die PiS steht aktuell bei 40 Prozent und ist damit die mit Abstand beliebteste politische Partei. Durchgesetzte PiS-Reformen, wie die Einführung eines staatlichen Kindergeldes oder Subventionen für Rentnermedizin, sind in der Bevölkerung beliebt. Keine der Oppositionsparteien kann ihr in Umfragen auch nur annähernd gefährlich werden.
Progressive und linke Kräfte sind im polnischen Parlament derzeit nicht vertreten. Der größte Hoffnungsträger des liberalen Lagers heißt Robert Biedroń, ist schwul, 42 Jahre alt und Bürgermeister der nordpolnischen Staat Słupsk. Immerhin könnte er in den Augen mancher Journalistin so etwas wie ein neuer „polnischer Macron“ sein.

Ob ein Land, in dem 90 Prozent der Bevölkerung katholisch sind, einem homosexuellen Mann zu politischer Macht verhelfen wird, scheint aber zumindest fraglich. Biedroń nimmt gerne an sexuellen Aufklärungskampagnen wie #sexed.pl des Topmodels Anja Rubik teil, bespielt seinen Instagram-Account mit Foodselfies und macht fesche Fotoshootings mit seinem schwulen Lebensgefährten. Er mag das Aushängeschild progressiver, pro-westlicher Polen sein, aber muss erstmal beweisen, dass er auch klerikales und provinzielles Elektorat ansprechen kann. Dieses findet beispielsweise die letzte große Reform der PiS, ein Verkaufsverbot an Sonntagen durchzusetzen, ziemlich gut. Denn Sonntag ist Kirchentag, und der ist Polen abseits von Warschau, Breslau und Danzig wichtiger als Vogue Shootings und Auslandsreisen.

Mick Jaggers Verzweiflungsruf

Die Opposition befindet sich insgesamt in kollektiver Ohnmacht. Die größte Oppositionspartei, die Bürgerplattform (Platforma Obywatelska), hatte in Vergangenheit regelmäßig mit Vetternwirtschafts-, Korruptions- und Überwachungsskandalen zu kämpfen. Die Personen an ihrer Spitze, etwa der als neuer Bürgermeister Warschaus gehandelte Rafał Trzaskowski oder der Jurist Borys Budka, gelten nicht als die erhoffte Verjüngungskur der Post-Donald-Tusk-Ära. Die andere bürgerliche Oppositionspartei, die liberale Nowoczesna, hat erst im November ihren Gründer und politischen Kopf, Ryszard Petru, beim Parteitag vom Hof gejagt. Die Proteste, einst von der Bürgerrechtsbewegung Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) angeführt, sind zweifellos kleiner geworden.

Was bleibt, ist Hoffnung. Die kam am vergangenen Wochenende ausgerechnet von einem 74-jährigen aus dem englischen Dartford: Bei einem Konzert der Rolling Stones in Warschau sagte Mick Jagger mit einem Augenzwinkern: „Ich bin zwar zu alt, um Richter zu sein, aber jung genug, um zu singen.“ Zuvor hatte ihn der polnische Friedensnobelpreisträger Lech Wałesa in einem Brief aufgefordert, sich zu dem Staatsumbau der PiS zu äußern und sich mit den Protesten zu solidarisieren. „Viele Polen verteidigen die Freiheit, aber wir brauchen Unterstützung“, schrieb der polnische Unabhängigkeitsheld an Jagger. Es klang wie ein Verzweiflungsruf. Immerhin wurder der noch erhört.

Anzeige