Polen - Dudas Veto ist Europas Sieg

Kolumne: Leicht gesagt. Polens Präsident Andrzej Duda hat seiner Regierung eine brachiale Justizreform verweigert. Das macht Hoffnung für Demokratie und Rechtstaatlichkeit in dem Land, aber auch für die Stärke der EU

Weiter offen: Welche Rolle spielt Duda – die des Kurskorrektors oder die des heimlichen Komplizen Kaczynskis? / picture alliance
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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich derzeit leicht: Etliche Regierungen teilen ihr Volk. Die türkische lässt munter verhaften und die Welt an einer Prozess-Farce teilhaben. Die israelische will den Muslimen im Lande unmissverständlich klarmachen, dass sie kontrolliert, wer zum Beten auf den Tempelberg darf. Die polnische Regierung wiederum versucht daheim das Ende der Gewaltenteilung durchzupeitschen. 

Doch siehe da: Es gibt Grenzen und Einhalt. Recep Tayyip Erdogan hat eine Spionage-Liste, auf der deutsche Firmen standen, als „Versehen“ wieder einkassiert – wohl aus Angst vor Sanktionen. Benjamin Netanjahu hat überraschend von den Metalldetektoren abgelassen, die die Palästinenser als Überwachung ihrer Glaubensfreiheit ablehnten – wohl aus Sorge vor Gewalt. Und Polens Präsident Andrzej Duda verweigert seiner Regierung eine brachiale Justizreform. Er zwingt zum Einlenken – möglicherweise aus Furcht vor Konsequenzen der EU, zumindest aber der EU-Befürworter Polens.

Duda und Kaczynski

Es gibt also Hoffnung in der Welt – und der polnische Präsident Duda ist eine davon. Wobei noch nicht klar ist, welche Rolle er wirklich spielt. Die des Kurskorrektors oder die des heimlichen Komplizen seines politischen Ziehvaters? Das ist zweifellos Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der Regierungspartei PiS, die „Recht und Gerechtigkeit“ zum Namen hat. Er galt als der stärkste Mann Polens und verhalf seinem jungen Parteifreund Duda erst zum Aufstieg. Erst als Duda Präsident wurde, verließ er die Partei Kaczynskis – aus protokollarischen Gründen. Nun scheint er ihn auch ideologisch zu verlassen.

Die PiS hatte im Wahlkampf eine Justizreform versprochen, und dafür gibt es tatsächlich viele Gründe. Im Kern ist der Vorwurf an die bisherige Praxis, dass Richter in Polen zu viele Privilegien genössen und keiner ausreichenden Kontrolle unterlägen. Auch Duda hat diese Haltung vertreten. 

Mehr Macht für Justizminister

Er hat am Dienstag eines von drei besonders umstrittenen Gesetzen unterschrieben. Jenes, das dem Justizminister das Recht gibt, alle leitenden Richter an den gewöhnlichen Gerichten einschließlich der Berufungsgerichte zu ernennen oder zu entlassen. 

Das ist nicht wenig. Denn der Justizminister, Zbigniew Ziobro heißt er und gilt als PiS-Hardliner, muss bei Personalentscheidungen nun nicht mehr die Vollversammlung der polnischen Richter konsultieren oder im Falle einer Ablehnung durch dieses Gremium den Landesrichterrat befragen. Er hat völlig freie Hand bei solchen Personalentscheidungen und ist niemandem Rechenschaft schuldig.

Änderungen an zwei weiteren Gesetzen geplant

Doch Duda verlangt Änderung bei zwei noch härteren Gesetzen: Die würden es der Regierung ermöglichen, auch die Richter des Obersten Gerichts in den Ruhestand zu schicken und ihre Posten neu zu besetzen. Die Richterposten in dem Landesrichterrat sollen danach ebenfalls neu besetzt werden. Beide Novellen sind bereits parlamentarisch verabschiedet, so dass nun alles an Duda hängt.

Die EU hat mächtig Druck aufgebaut. Kommissions-Vize-Präsident Frans Timmermans warnt nicht nur mit einem Vertragsverletzungsverfahren. Er hat sogar mit der Einleitung eines Stimmrechtsentzugs auf europäischer Ebene nach Artikel 7 des EU-Vertrags gedroht. 

Zu Recht, findet Polens Opposition. Sie sieht den wichtigsten Standard aller EU-Mitgliedsländer vor dem Fall: die Gewaltenteilung zwischen Regierung, Parlament und Justiz. Duda will in den nächsten zwei Monaten alternative Vorschläge zu den beiden Gesetzen vorlegen.

Die Macht Brüssels

Hier, in dieser Zeitspanne, könnte der Trick liegen, dass Duda in Wahrheit nicht gegen, sondern für Kaczynski arbeitet. Denn bis Herbst könnten die Massenproteste in Warschau abschwellen, das Thema durch leichte Korrekturen nach hinten gerückt sein, auch in der europäischen Aufmerksamkeit.

Doch es ist ebenso möglich, dass Duda begriffen hat: Ohne die EU geht es nicht. Dass er die politische Macht Brüssels und vor allem die der Europäer inner- und außerhalb Polens erkannt hat. Wie auch Erdogan die wirtschaftliche Macht der Europäer, allen voran der Deutschen, zu fürchten scheint. Sein Außenminister gab sich am Dienstag ausgemacht (wirtschafts-)freundlich bei Gesprächen mit der EU-Außenbeauftragen in Brüssel und schnurrte den EU-Erweiterungskommissar geradezu an, doch weiter Verhandlungskapitel zu eröffnen.

Die EU ist den Vorwurf gewöhnt, sie sei zahnlos und langsam. Wenn jedoch die Konsequenzen nun sind, dass ihretwegen die Paranoia von Möchtegern-Autokraten ein wenig zwangstherapiert wird, kann sie gelassen weiter mit dem üblichen Spott leben. Hauptsache ihre Mitglieder wissen: Vereint durch unsere Werte sind wir stark!

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