Plastikverbot der EU - Europa am Strohhalm

Die Europäische Kommission hat sich zur großen Plastik-Aktion zusammengefunden. Man ist sich einig: Strohhalme und Wattestäbchen müssen bestraft werden. Wieder einmal siegt der Kleingeist. Doch wer begeistert sich noch für ein Europa der Kleinteile? Von Sabine Bergk

Längst gibt es Alternativen zum Plastikhalm / picture alliance
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Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

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Zu Jahresbeginn hat China der EU einen Korb gegeben. Es will die europäischen Müllberge nicht mehr importieren. Nun steht die EU vor einem gigantischen Entsorgungsproblem. Es gibt nicht genügend Lagerflächen für die Plastikberge und an Recyclinganlagen mangelt es ebenfalls. Dass in der Europäischen Kommission nun eine Plastikstrategie verabschiedet wurde, hat nicht nur mit der Rettung der Weltmeere zu tun. Mit dem chinesischen Importstopp reicht uns auch der an Land anfallende Müll bis an den Hals.

Deutschland und Irland gehören zu den Spitzenreitern der europäischen Plastikmüllverursacher. Laut einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft produziert jeder Bundesbürger im Durchschnitt 37 Kilogramm Plastikmüll im Jahr. In den vergangenen zehn Jahren stieg der Pro-Kopf-Verbrauch an Plastik sogar um 30 Prozent an.

Schachern um Kinkerlitzchen

Dass ausgerechnet Strohhalme im Fokus der neuen Verbannungsliste stehen, wirkt angesichts des riesigen Plastikproblems wie ein Schachern um Kinkerlitzchen. Wird hier nicht ein riesiger Verwaltungsaufwand betrieben – und am Ende geht es um nichts als Wattestäbchen, Luftballonhalter, Einweggeschirr und Trinkhalme? Macht sich die Kommission nicht vor ihren vernunftbegabten Bürgern lächerlich?

Jein. Leider ist der Verbrauch dieser kleinen Bösewichte nicht zu unterschätzen. Die verbannten zehn Dinge machen immerhin 70 Prozent des am Strand gefundenen Mülls aus. Auch der jährliche Strohhalmverbrauch eines EU Bürgers soll bei 71 Stück liegen und summiert sich insgesamt zu einem Milliardenberg. Die zehn Bösewichte sind also wirklich böse, selbst wenn sie wie Gartenzwerge wirken.

Dennoch wird wieder einmal der Weg des geringsten Widerstands eingeschlagen. Zwar sind weitere Schritte geplant – bis 2025 sollen unter anderem 90 Prozent der Einwegplastikflaschen getrennt gesammelt werden – den Auftakt aber macht der Strohhalm. Das ist ein seltsamer Auftakt für die große anstehende Plastikverringerungssinfonie. Es klingt nach Vermeidung, bevor überhaupt der Müll vermieden wird. Man beginnt mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner und arbeitet sich ängstlich nach vorne vor. Sollte man von einer europäischen Plastik-Aktion im aufstrebenden Europa Emmanuel Macrons nicht mehr erwarten?

Es gibt Alternativen

Ein Umdenken in Sachen Strohhalm schmerzt keinen Industriezweig im Kern. Strohhalme kann man zur Not einfach weglassen und Wattestäbchen sind eh nicht gut für die Ohren. Auch sind längst alternative Artikel entwickelt. Es gibt Trinkhalme aus dem Biokunststoff PLA (Mais und Milchsäure) oder aus Kartoffelstärke und Fasern. Sie sind vollständig kompostierbar und können nach dem Gebrauch als Dünger für Pflanzen benutzt werden. Die Hersteller dürften sich darüber freuen, jetzt neue Standards setzen zu können. Zwar sind Biokunststoffe umstritten, da sie viele Nutzpflanzen verbrauchen – dennoch ist es immer einfacher gegen das Neue zu wettern und im Alten zu verharren, als neue Wege zu gehen.

Um eine zukunftsfähige Plastikstrategie zu verabschieden, müssten auch schmerzhafte Bereiche angetastet werden. Fast alles, was wir herstellen, ist mit Plastik verknüpft. Um den Plastikberg insgesamt einzuschrumpfen, muss in allen plastikverarbeitenden Bereichen umgedacht und eingespart werden. Innovative Ideen gibt es genug, sie sollten jetzt zum Zug kommen.

Plastikmüll ist langlebig. 500 Jahre kann ein Plastikpartikel locker durchhalten. Ähnlich resilient gibt sich auch die Brüsseler Bürokratie – als wäre sie ewig überlebensfähig. Es könnte passieren, dass es in Europa unbequem wird, wenn die Kommission permanent den Weg der Bequemlichkeit wählt. Gurken, Glühbirnen, Strohhalme, Wattestäbchen. Peanuts. Wieder einmal siegt der Kleingeist. Wer begeistert sich noch für ein Europa der Kleinteile?

Die Signalwirkung von Kleinteilen

Wie viele Verwaltungskosten entstanden sind, um den Wattestäbchen und Strohhalmen den Garaus zu machen, möchte ich gar nicht erfragen. Denkt in Brüssel überhaupt jemand über die Signalwirkung von Kleinkram nach? Die Folgen des Imageverlustes kassieren wir bei der nächsten Europawahl.

Ein Wandel ist nicht schmerzfrei. Der Patient muss ein bisschen leiden, wenn sich etwas bessern soll. Es gehört dazu, dass der Binnenmarkt für Unternehmen nicht nur große Vorteile mit sich bringt, sondern dass auch Nachteile geschluckt werden müssen. Aus den Nachteilen kann man schließlich wieder etwas bauen, das nachhaltig ist. Kurzfristige Nachteile werden schließlich zu langfristigen Vorteilen.

Da es aber noch ein weiter Weg bis zur Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner ist, müssen wir nun erst einmal Jahre warten, dass es überhaupt die Strohhalme durch die Kommission schaffen. Europa steht vor einer Geduldsprobe.

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