Palästina - Abstiegskampf in Ramallah

Mit seinen Äußerungen, die Juden hätten durch ihr soziales Verhalten den Holocaust mitverursacht, hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas für Empörung gesorgt. In Palästina selbst geht es nur noch um seine Nachfolge. Doch auch für den aussichtsreichsten Kandidaten gibt es fast nichts zu gewinnen

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Die Herrschaft des Palästinenserführers Mahmud Abbas neigt sich dem Ende zu / picture alliance
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Markus Bickel ist freier Journalist. Er war jahrelang Nahostkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Der mögliche Neue steht für das Alte. Allein vom Alter her: Sollte sich Mahmud al Aloul gegen seine internen Rivalen durchsetzen, bedeutete die Machtübernahme des 1950 in Nablus geborenen Palästinensers alles andere als frischen Wind. Genau deshalb aber hat sich der 83 Jahre alte Präsident der Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, im März für ihn als seinen Nachfolger ausgesprochen. Wegen Herz- und Lungenproblemen neigt sich die Herrschaft des Palästinenserführers dem Ende zu.

Was der von Krankheit und politischer Ungemach geplagte Mann an der Spitze des palästinensischen Rumpfstaats will, ist klar: Kontinuität. Dafür steht al Aloul, besser bekannt unter seinem Nom de Guerre Abu Dschihad aus Zeiten des Libanonkriegs und der ersten Intifada in den achtziger Jahren. Dass der bislang vor allem im Hintergrund agierende stellvertretende Fatah-Vorsitzende sein Wunschkandidat für eine Nachfolge sei, gab Abbas bekannt, als er nach einem Auftritt bei den Vereinten Nationen im Februar in ein Krankenhaus in Maryland eingeliefert worden war. Dass es sich dabei nur um eine Routineuntersuchung gehandelt habe, wie von seinem Büro gestreut, glaubt in Ramallah und Tel Aviv aber keiner.

Allianz zwischen Israel und Saudi Arabien

So gesehen läutet der bevorstehende Wechsel an der Spitze von Fatah und Autonomiebehörde tatsächlich das Ende einer Ära ein. Denn ein Vierteljahrhundert nach Unterzeichnung der Osloer Verträge 1993 wird al Aloul allenfalls als Nachlassverwalter einer von beiden Konfliktparteien vertanen Friedensphase wirken können. Viel zu verlieren haben die Palästinenser dabei nicht mehr, weshalb dieser die Politik von Abbas fortsetzen dürfte. Doch bis es so weit ist, stehen noch harte interne Machtkämpfe an: Sowohl Fatah-Geheimdienstchef Majed Faraj wie dem bei Abbas in Ungnade gefallenen früheren Gaza-Sicherheitschef Mohammed Dahlan werden wegen deren Unterstützung durch diverse Golf-Mächte noch Chancen zugerechnet. Wie diese ausgehen, steht auch deshalb in den Sternen, weil die Spannungen Israels mit Syrien und der libanesischen Hisbollah seit Jahresbeginn zugenommen haben – neue Waffengänge nicht ausgeschlossen.

Ohne Zustimmung Saudi-Arabiens wird auch al Aloul nicht in das höchste palästinensische Staatsamt wechseln können. Der junge Kronprinz Mohammed bin Salman machte im April Furore, als er Israel das Recht auf einen eigenen Staat zugestand. Neu ist diese Position zwar nicht, doch erstmals seit der Beiruter Erklärung von 2003 bedeutet das eine Anerkennung der realen Verhältnisse: Hinter den Kulissen besteht längst eine strategische antiiranische Allianz zwischen Israel und dem Königshaus in Riad.

Die Ausgleichsphase ist durch Trump beendet

Diese zu akzeptieren, wird auch Abbas’ designierter Nachfolger nicht umhinkommen. Gut gerüstet dafür ist er: Sich immer wieder anzupassen an widrige Umstände hat der nur zwei Jahre nach der arabischen Niederlage im israelischen Staatsgründungskrieg 1948 geborene al Aloul gelernt. Nach dem Sechstagekrieg 1967 wurde er von israelischen Sicherheitskräften festgenommen und gelangte nach seiner Abschiebung über Jordanien in den Libanon. Dort kämpfte er an Seiten Jassir Arafats für die Befreiung des historischen Palästinas. Dem Gründer der PLO folgte er 1983 auch ins tunesische Exil, ehe er nach Abschluss der Osloer Verträge Mitte der neunziger Jahre als Gouverneur von Nablus auf das Gebiet der Palästinensischen Autonomiebehörde in seine Geburtsstadt zurückkehrte – zunächst gegen israelischen Widerstand.

Das Festhalten am Kurs des verbitterten Palästinenserpräsidenten Abbas ist angesichts der proisraelischen Politik von US-Präsident Donald Trump allerdings riskanter denn je: Mit dem Bau immer neuer Siedlungen im Westjordanland schwinden die Grundlagen für eine Zweistaatenlösung Tag für Tag. Und die Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem im Mai bedeutet mehr als nur die symbolische Abkehr von einer über Jahrzehnte auf israelisch-palästinensischen Ausgleich ausgerichteten Nahostpolitik Washingtons. Letztlich ist die in Oslo begonnene, seit Jahren aber nur noch rhetorisch aufrechterhaltene Ausgleichsphase damit beendet.

Anerkennung der nahöstlichen Realität

Insofern ist es interessant, dass al Aloul zumindest in einem Punkt von seinem Ziehvater Abbas abweicht: Einer Einstaatenlösung, wie früher nur von der israelischen Rechten propagiert, steht er durchaus positiv gegenüber. Die Abkehr vom Dogma zweier Staaten ergibt sich aus al Alouls pragmatischer Herangehensweise an einen Konflikt, der für die Palästinenser nicht mehr zu gewinnen ist. Abstiegskampf in Ramallah lautet die Devise für die Zeit nach Abbas. Und der lässt sich sozial und finanziell nur abmildern durch Zugehen auf Israels neuen Verbündeten Saudi-Arabien. Erste Aufgabe von Abbas’ künftigem Nachfolger besteht deshalb in der schonungslosen Anerkennung der nahöstlichen Realität.

Dies ist ein Artikel aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.













 

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