Ostpolitik - Zwischen Stahlkolossen

Es wird ungemütlich für Deutschland und die Europäische Union: Amerika geht auf Distanz, die Briten gehen von Bord. Und zu Russland ist das Verhältnis praktisch auf dem Nullpunkt. Plädoyer für eine pragmatische Wiederannäherung gen Osten – trotz aller Konflikte

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Die deutsche Bevölkerung ist in ihrer Haltung zu Russland tief gespalten / picture alliance
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Autoreninfo

Andreas Steininger ist ausgebildeter Jurist und Ingenieur. Nach mehrjähriger Tätigkeit in Aserbaidschan und Russland wurde er als Professor für Wirtschaftsrecht an die Hochschule in Wismar berufen. Zusammen mit dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement gründete er 2009 das Ostinstitut Wismar (www.ostinstitut.de), das Wirtschaftsjuristen für deutsche Unternehmen in Russland ausbildet.

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Zurzeit fühlt es sich so an, als säßen wir Europäer in einem Schlauchboot auf hoher See, dem langsam die Luft ausgeht. Noch dazu ist dieses Schlauchboot eingekeilt zwischen einem amerikanischen Flugzeugträger, der von einem politisch unerfahrenen Egomanen gesteuert wird, und einem zwar rostigen, aber voll aufmunitionierten russischen Schlachtschiff, auf dessen Brücke ein Alleinherrscher sowjetischer Prägung das Sagen hat. Zu allem Überfluss salutieren sich der Egomane und der Alleinherrscher bisweilen freundlich zu. Als erste Passagiere des Schlauchboots sind die Briten bereits freiwillig von Bord gegangen, andere könnten folgen. Das ist alles andere als eine gemütliche Situation.

 

Da stellt sich die Frage, ob man die Kommandan­ten der beiden Stahlkolosse überzeugen kann, etwas auf Abstand zu gehen, damit die Besatzung des Schlauchboots wieder Raum zum Navigieren gewinnt. Für den Kapitän des Flugzeugträgers scheint Europa allerdings genauso relevant zu sein wie ein Fruchtjog­hurt mit abgelaufenem Verfallsdatum. Sein Blick schweift, wenn überhaupt, in eine andere Richtung – nach China.

Beim Kapitän des russischen Schlachtschiffs verhält es sich ein bisschen anders. Er und seine Mannschaft können sich noch gut daran erinnern, wie sie machtpolitisch einst selbst in einem wenig seetauglichen Schiff saßen und alle Hände voll zu tun hatten, die Löcher zu flicken. Es gab Zeiten, da dieser Kapitän (zumindest aus seiner Sicht) Signale gegeben hat, das damals noch seetüchtigere europäische Boot möge nicht so weit vorpreschen, weil die Wellen in seinen eigenen rostigen Kahn schwappen könnten. Der russische Kapitän hatte sich damals sogar gewünscht, eine gemeinsame Arche mit den jetzigen Schlauchbootfahrern zu bauen. Insofern geht es hier nicht nur um Pragmatismus, sondern auch um enttäuschte Liebe.

Am Steuerruder bleiben

Für die vielstimmige Führung des Schlauchboots, allen voran für die Deutschen, ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, mit wem man ins Gespräch kommen möchte, um sich über Wasser zu halten. Insbesondere, wenn man nicht vom Lauf der Ereignisse überrollt werden und Herr am Steuerruder bleiben will. Wie sich das Verhältnis zu den USA entwickelt, ist zurzeit völlig unabsehbar. So spricht einiges dafür, die Zeit zu nutzen und mit Russland wieder ins Gespräch zu kommen. Hierzu bedarf es einer neuen Ostpolitik, einer regelrechten Zäsur. Auch wenn es vielen nicht gefallen dürfte: Ratsam ist ein zwar selbstbewusstes, jedoch maßvolles und unideologisches Auftreten, weil sonst kaum eine Chance besteht, mit Russland in Verhandlungen zu treten, das sich insbesondere seit der Wahl Trumps weltpolitisch im Aufwind sieht. 

Um einen Neuanfang zu ermöglichen, sollten wir uns bewusst machen, wie es überhaupt zu diesem schlechten Verhältnis zwischen Europa und Russland kommen konnte. Dafür gibt es mehrere Gründe: Russische Skepsis gegenüber Demokratie und westlichen Werten.

Demokratieskepsis

Die meisten Russen verbinden mit dem Begriff Demokratie noch immer nichts Gutes. Zu prägend waren die schlechte Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjet­union und die Wirren der Jelzin-Ära. Die Rückkehr starker staatlicher Autoritäten wird als Wohltat empfunden. So erklärt sich der Zuspruch für Putin oder jetzt auch für Trump. Mit dieser Demokratieskepsis geht ein Misstrauen gegenüber vielen im Westen anerkannten Werten einher, sodass das Fehlen eines gemeinsamen Wertefundaments kaum erstaunlich ist. 
Erweiterung der Nato und fehlende Einbindung Russlands

Fakt ist, dass die Nato seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach Osten hin stetig erweitert wurde. In Russland empfindet man dies nicht nur als Niederlage, sondern auch als Bedrohung. Die Einrichtung eines Raketenabwehrschirms, der offiziell zwar nur gegen Raketen aus dem Iran gerichtet ist, bestärkt solche Gefühle. Dies mag aus westlicher Sicht als übertrieben oder gar hysterisch erscheinen. Trotzdem müssen diese Emotionen ernst genommen werden. Deshalb wäre es klug gewesen, hätte die Nato Russland institutionell besser eingebunden, bevor sie ehemalige Staaten des Warschauer Paktes (und sogar solche der ehemaligen Sowjetunion) als Mitglieder aufnahm. Denkbar gewesen wäre etwa eine neue Sicherheitsstruktur, die wesentlich über die Schlussakte von Helsinki und die OSZE hinausgeht. Ein Nato-Russland-Rat, der auch noch gerade dann ausgesetzt wird, wenn es Probleme gibt, ist sicherlich nicht ausreichend.

Ukrainekrise und Vertrauensverlust 

Die Ukrainekrise hat nicht nur das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen zerrüttet, sondern auch in vielen russischen und ukrainischen Familien tiefe Risse hinterlassen. Zu alten Sowjetzeiten unterschied man kaum zwischen Ukrainern und Russen, doch nunmehr stehen zwei eng verwobene Brudervölker gegeneinander. Hier liegt auch einer der fundamentalen Unterschiede in der Sichtweise auf diese Krise: Für den Westen ist das russische Vorgehen in der Ukraine ein eklatanter Bruch des Völkerrechts. Für Russland stellt sich der ganze Konflikt wie eine Art Familienkrach dar, als eine interne Streitigkeit, in die sich Außenstehende nicht einzumischen haben. Russland tut sich schwer, die Ukraine als fremden Staat wahrzunehmen, und mag nicht einsehen, dass sich hier eigene völkerrechtliche Strukturen gebildet haben, dass sich das Rad der Geschichte weitergedreht hat. 

Umgekehrt musste dem Westen spätestens seit der Orangenen Revolution im Jahr 2004 klar sein, dass die Ukraine ein gespaltenes Land ist, dessen einer Teil sich Russland zugehörig fühlt, der andere aber gen Westen strebt. Mit einem solchen Land fünf Jahre über ein Assoziierungsabkommen zu verhandeln, ohne Russland aktiv einzubinden, war zumindest kurzsichtig. Vor allem auch stellt sich die Frage, welche langfristige Perspektive die Europäische Union mit dem Assoziierungsabkommen anstrebte: EU-Mitgliedschaft und dann irgendwann auch Beitritt zur Nato? Es liegt der Verdacht nahe, dass der Westen ähnlich in Einflusssphären denkt, wie man es Russland durchaus vorwerfen kann.

Russland hat durch sein unberechenbares Agieren auf der Krim, durch sein Engagement in der Ost­ukraine und durch nicht eingehaltene Zusagen das Vertrauen des Westens verspielt. Auf der anderen Seite hat der Westen ebenfalls Vertrauen verloren durch das teilweise massive Umwerben von Mitgliedern der ukrainischen Regierung, ohne deren Rollen und Hintergründe kritisch zu hinterfragen.

Bruch des Völkerrechts 

Das russische Vorgehen auf der Krim, vor allem aber im Hinblick auf die Ostukraine, ist nach Meinung der meisten Völkerrechtler ein eklatanter Völkerrechtsbruch. Fraglich ist jedoch, wie man in Zukunft mit dieser Tatsache umgeht. Auch sollte der Westen sich hüten, diesen Punkt überzustrapazieren. Denn zum einen hängt im Völkerrecht insbesondere die Rechtsdurchsetzung letztlich von den politischen Machtstrukturen ab – und nicht von einem neutralen Gericht oder von unabhängigen Vollstreckungsorganen. Zum anderen lassen sich durchaus Beispiele anführen, die den Verweis des Westens auf das Völkerrecht zumindest aus russischer Sicht nicht sehr glaubwürdig machen. Man denke nur an die Legitimation des zweiten Irakkriegs mit der Behauptung, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen. So kommt bei vielen Russen der Verdacht auf, das Völkerrecht werde vom Westen zu seinen Gunsten instrumentalisiert. 

Unklare Verhältnisse in Russland, keine klare Strategie im Westen 

Die politische Willensbildung in Russland ist kaum mehr transparent. Oder anders formuliert: Sie ist im Wesentlichen nur noch von einem Mann abhängig: von Putin. Im Schatten der Präsidentenwahl in den USA hat der russische Präsident in den vergangenen Monaten damit begonnen, seine „alte Garde“ fast unbemerkt auszutauschen. So wurde zum Beispiel der Chef der Präsidialadministration Sergej Iwanow durch Anton Waino ersetzt, den Posten des bisherigen Leiters des Auslandsgeheimdiensts Michail Fradkow übernahm Sergej Narischkin. Immer mehr junge Gesichter zeigen sich an der Seite des Präsidenten, darunter auch der neue Präsident der Duma, Wjatscheslaw Wolodin, der sogar als Kronprinz gehandelt wurde. Putin setzt damit das klare Signal, dass sich niemand in seiner Position sicher fühlen kann. Für den Westen wird es deshalb immer schwieriger, die Moskauer Verhältnisse einzuschätzen. Sicher ist nur: Putin will, dass Russland auf Augenhöhe mit den USA steht.

Aber auch in Deutschland und im Westen insgesamt lässt sich keine klare Linie, geschweige denn eine Strategie gegenüber Russland erkennen. Das gilt auch für die politischen Parteien in der Bundesrepublik. Insofern ist der Ausgang der Bundestagswahl in dieser Hinsicht fast unerheblich. Die südosteuropäischen Staaten würden lieber heute als morgen die Sanktionen abschaffen, um ihren schwächelnden Ökonomien zu helfen. In Frankreich könnte schon bald eine Person an der Spitze des Staates stehen, der oder die eine Annäherung an Russland wünscht. Und die deutsche Bevölkerung ist in ihrer Haltung zu Russland tief gespalten.

Verpasste Chancen zur Reform der russischen Wirtschaft

Russland hat vor allem wirtschaftspolitische Fehler gemacht. Nach der von Putin herbeigeführten Stabilisierungsphase der Jahre 1998 bis 2008 wäre es erforderlich gewesen, einen Mittelstand aufzubauen und die russische Wirtschaft zu diversifizieren, um nicht mehr allein von Öl und Gas abhängig zu sein. Entsprechende Bemühungen während der Präsidentschaft Medwedews oder auch die einst zwischen Deutschland und Russland beschlossene Modernisierungspartnerschaft sind kaum weiterentwickelt worden. Weltmarktfähige russische Produkte gibt es kaum. Das hat auch mit der in Russland verbreiteten Vorstellung zu tun, der Westen benötige die russischen Bodenschätze dringender als umgekehrt Russland westliche Technologie. Tatsächlich dürfte die russische Regierung die wirtschaftliche Verflechtung ihres Landes mit dem Westen unterschätzt haben.

Viele westliche, insbesondere deutsche Medien zeichnen ein einseitig negatives Bild von Russland. Umgekehrt muss man sich bisweilen die Augen reiben, welch propagandistische Töne in den russischen Medien über den Westen verbreitet werden: verweichlicht, homophil, chaotisch, überflutet mit Flüchtlingen, nicht leistungsfähig und so weiter. Die Folge ist eine Entfremdung zwischen den Bürgern beider Seiten.

Werte und Machtpolitik

Es ist selbstverständlich, dass Deutschland und die EU die Demokratie und Menschenrechte auf die höchste Stufe stellen. Allerdings sollte sich das außenpolitische Handeln nicht allein danach ausrichten, ob und inwieweit ein anderer Staat dieselben Werte anerkennt. Wäre dies der Fall, dürfte man zu etlichen anderen Ländern keine Kontakte mehr pflegen: China oder Saudi-Arabien sind auch nicht gerade als eiserne Verfechter von Menschenrechten bekannt, trotzdem sind sie willkommene Handelspartner. Inzwischen scheinen unter der Präsidentschaft Trumps nicht einmal mehr die Vereinigten Staaten ein Bollwerk für freiheitliche Werte sein zu wollen. Da bleibt abzuwarten, wie lange sich die Europäer, vor allem die Deutschen, als entsprechende Gralshüter positionieren können.

Der Osteuropaforschung ist in Deutschland während der vergangenen Jahre zu wenig Beachtung geschenkt worden. Viele Institute und Organisationen wurden verkleinert oder ganz geschlossen. Mit der Folge, dass derzeit ein Mangel an Experten herrscht. Die Bundesregierung hat zwar versucht, mit der Gründung eines neuen Instituts dieser Tendenz entgegenzusteuern; Letzteres nimmt allerdings gerade erst seine Arbeit auf. Weil bestehende Institute an Universitäten wenig oder gar keine Förderung erhalten, geht noch immer großflächig Wissen verloren. 
Was also sollte geschehen, damit Russland und die anderen Europäer wieder zueinanderfinden? Natürlich gibt es keine Patentlösungen. Aber die derzeitige Situation ist derart unbefriedigend und letztlich auch gefährlich, dass ein Status quo den Schaden für beide Seiten immer nur weiter verschlimmern würde. Ich schlage deshalb folgende Punkte vor:

Kein Vertrauen, aber Verträge: neue Sicherheitsstruktur für Europa

Das gegenseitige Vertrauen zwischen dem Westen und Russland lässt sich durch schöne Worte nicht über Nacht wieder aufbauen. Umso wichtiger ist deshalb eine neue Sicherheitsstruktur für Europa. Nach der KSZE-Schlussakte von Helsinki von 1974 und dem Budapester Memorandum von 1994 ist es jetzt wieder an der Zeit, ein Vertragswerk zu entwickeln, das Garantien und vor allem Mechanismen für gegenseitige Sicherheit enthält. Beispielsweise könnte vereinbart werden, dass die Ukraine neutral bleibt, sie hierfür jedoch erhebliche materielle Unterstützung aus der EU erfährt. Es müssten ständig arbeitende Institutionen zur Verständigung geschaffen werden, die nicht ausgerechnet dann ihren Dienst versagen, wenn es zum Konflikt kommt (wie der Nato-Russland-Rat zu Beginn der Ukrainekrise). In diesem Zusammenhang bedarf es einer institutionellen Einbindung Russlands in Entscheidungsprozesse der Europäischen Union und der Nato, die Russland selbst betreffen. Hierbei müsste Russland nicht einmal Stimmrecht haben; es würde schon reichen, wenn für Vertreter der Russischen Föderation eine Plattform existierte, auf der sie ihre eigenen Positionen darstellen können. Darüber hinaus könnte die OSZE zu einer schlagkräftigen – auch militärischen – Organisation erweitert werden, in der Vertreter des Westens und Russlands gleichermaßen repräsentiert sind und die auch in der Lage wäre, Konfliktparteien wenn nötig mit Gewalt zu trennen.

Verhandlungen ohne Vorbedingungen

Aus westlichen Diplomatenkreisen ist oft zu hören, dass Verhandlungen mit Russland nur dann geführt werden könnten, wenn dessen völkerrechtswidriges Verhalten bereinigt und das Minsk-II-Übereinkommen umgesetzt ist. Allerdings wird man auf die vollständige Umsetzung des Minsk-II-Übereinkommens wohl lange warten müssen: Die russische Seite dürfte ihre Truppen genauso wenig aus dem Grenzgebiet beziehungsweise aus der Ostukraine zurückziehen, wie die ukrainische Seite auf absehbare Zeit freie Kommunalwahlen und damit Autonomie erlauben dürfte. Will man den festgefahrenen Zustand aufbrechen, so wird vor allem die EU über ihren Schatten springen und Verhandlungen über eine neue Sicherheitsstruktur beginnen müssen, bevor die USA und Russland sich möglicherweise über die Köpfe der Europäer hinweg einigen. Seit der Wahl Trumps drängt die Zeit.

Um auf das Eingangsbild zurückzukommen: Will Europa nicht zwischen den beiden Kolossen zerrieben werden, muss es auch Stärke zeigen. Damit sind nicht Truppenstationierungen im Baltikum gemeint. Vielmehr müsste möglichst schnell eine gemeinsame und vor allem schlagkräftige europäische Armee aufgebaut werden, die zumindest ansatzweise den russischen und den US-Streitkräften ebenbürtig und von amerikanischer Unterstützung unabhängig wäre. Dafür braucht es milliardenschwere Investitionen. Was vielleicht noch wichtiger ist: Europa muss entscheidungsfähig werden – was am Ende nicht durch Einstimmigkeit, sondern nur durch Mehrheitsentscheide möglich ist. Dies könnte vor allem für Deutschland nicht nur bitter, sondern auch teuer werden – etwa bei einer Vergemeinschaftung der Schulden. Aber entweder, wir machen weiter mit nationalstaatlichem Partikularegoismus und geraten dadurch machtpolitisch ins Abseits. Oder wir versuchen, gegenüber den „Großen“ eine Einheit zu bilden. Es wird Aufgabe der Politik sein, dies der Bevölkerung insbesondere in Deutschland zu vermitteln. 

Visafreiheit

Eine der besten Möglichkeiten, russische Normalbürger davon zu überzeugen, dass die Zerrbilder in russischen Medien über den Westen nicht der Realität entsprechen, ist die eigene Anschauung: ermöglicht durch freies Reisen, also durch Visafreiheit. Auch bestünde die Chance, dass sich Deutsche und Russen persönlich kennenlernen und ein besseres Verständnis füreinander entwickeln.

Der von Russland im Jahr 2010 vorgeschlagene gemeinsame Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon wird zurzeit als unrealistisch und naiv belächelt. Aber es ist immerhin eine Vision. Auf jeden Fall braucht es neue Perspektiven, die mehr verheißen als bestenfalls eine Abschaffung der Sanktionen oder eine neue Sicherheitskonferenz. Im Zuge einer Lösung des Ukrainekonflikts könnten etwa Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen vergleichbar mit Ceta in Aussicht gestellt werden. Dieses sollte nicht nur Steuer- und Zollerleichterungen enthalten, sondern auch erste Schritte zur Rechtsangleichung oder zur gegenseitigen Anerkennung zivilrechtlicher Urteile. Parallel dazu wäre auch ein Kooperationsvertrag zwischen der Eurasischen Union und der EU denkbar.

Einfluss auf die Führung der Ukraine

Die EU sollte mehr Einfluss auf die ukrainische Staatsführung nehmen, damit sich bei der Umsetzung des Minsk-II-Übereinkommens endlich etwas bewegt. Damit würde auch die russische Seite unter Zugzwang gesetzt. Sinnvoll wäre es zudem, mit einer Kombination aus finanzieller Unterstützung und politischem Druck darauf hinzuarbeiten, dass sich die Ukraine von innen heraus reformiert. Eine wirtschaftlich erfolgreiche Ukraine könnte auch den separatistischen Bestrebungen in der Ostukraine den Wind aus den Segeln nehmen.

Es wird viel Kraft, Verständnis und Geduld brauchen, um alle diese Probleme zu lösen. Aber wir haben keine Wahl: Der Platz in einem löchrigen Schlauchboot ist lebensgefährlich. Wie sich der amerikanische Flugzeugträger künftig verhalten wird, ist ungewiss. Da wäre es erst recht ein Fehler, dem russischen Schlachtschiff auch weiterhin keine Beachtung zu schenken.

 

Dieser Text stammt aus der Aprilausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erhalten.      

 

 

 

 

 

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