Österreichs neuer Kanzler - Untadelig oder nur adelig?

Nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz wechselt Alexander Schallenberg vom Außenministerium ins Bundeskanzleramt. Wer ist der neue österreichische Kanzler? Nur ein Übergangskanzler? Zumindest lässt der Aristokrat keine Zweifel aufkommen, dass er Kurz die Treue hält.

Alexander Schallenberg (ÖVP), Bundeskanzler von Österreich, wird in der Präsidentschaftskanzlei vereidigt / dpa
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Autoreninfo

Simone Brunner lebt und arbeitet als freie Journalistin in Wien. Sie hat in Sankt Petersburg und in Wien Slawistik und Germanistik studiert und arbeitet seit 2009 als Journalistin mit Fokus auf Osteuropa-Themen.

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Alexander Schallenberg wischte die Vorwürfe einfach vom Tisch. Buchstäblich, vor den Augen der Fernsehkameras und des Plenums im Nationalrat, dem österreichischen Parlament. Dieser Moment, als ihm eine oppositionelle Abgeordnete die 104-seitige Anordnung zur Hausdurchsuchung auf sein Pult legte, und Schallenberg die Ermittlungsakten einfach auf den Boden warf, mit einer verächtlichen Geste, markiert den Beginn seiner Kanzlerschaft.

Symbolisch, wie sehr der neue Kanzler die Ermittlungen der Justiz gegen seinen Parteifreund und Vorgänger im Kanzleramt, Sebastian Kurz, verachtet? Es sind Vorwürfe, die Kurz erst vor wenigen Tagen das Amt gekostet haben.

Turbulente Tage

Es war der politische Eklat des Tages – in einer an politischen Eklats nicht gerade armen Woche. Obwohl sich Schallenberg später für sein Verhalten entschuldigte, wirft die Szene Fragen auf: Wie hält es der neue Kanzler mit der unabhängigen Justiz? Werden unter ihm die rhetorischen Angriffe gegenüber der Justiz, die nicht nur gegen den Altkanzler Sebastian Kurz, sondern auch gegen neun enge Kurz-Vertraute und die ÖVP insgesamt ermittelt, aufhören?

Österreich hat turbulente Tage erlebt. In der Vorwoche gab es Hausdurchsuchungen unter anderem im Bundeskanzleramt, der ÖVP-Zentrale und dem Finanzministerium. Vorwurf: Inseratenkorruption zwischen dem Finanzministerium und dem einflussreichen Medienhaus „Österreich“. Türkise Propaganda mit Steuergeld. Im Zentrum der Affäre: Bundeskanzler Kurz und die ÖVP. Die Quelle: zahllose Chats zwischen Kurz und seinen Vertrauten, die frisierte Umfragen gegen Regierungsinserate in der Gratiszeitung „Österreich“ geschaltet haben sollen. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.

Mit einem vornehmen Habitus

Die Grünen, in einer Koalition mit der türkisen ÖVP, forderten den Rücktritt Kurz‘ als Kanzler, an seine Stelle solle eine „untadelige Person“ treten, die das Regierungsamt führen könne, ohne ständig mit Korruptionsvorwürfen und Ermittlungen konfrontiert zu sein. Die Wahl fiel auf den bisherigen Außenminister der Türkisen, Alexander Schallenberg. Dass der 52-jährige Schallenberg aus einer adeligen Diplomatenfamilie stammt, einen aristokratischen Habitus pflegt und das vornehme Zungenspitzen-R spricht, sorgte für Witze in den sozialen Medien: Schallenberg sei „untadelig und adelig“.

Der studierte Jurist namens Alexander Georg Nicolas Christoph Wolfgang Tassilo Schallenberg ist ein Kosmopolit. Geboren in der Schweiz, wuchs er in Indien, Spanien und Paris auf. Seit 1997 arbeitet er im österreichischen Außenministerium, von 2000 bis 2005 leitete er die Rechtsabteilung der Ständigen Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union in Brüssel. Danach wurde er Pressesprecher der ÖVP-Außenministerin Ursula Plassnik und später ihres Nachfolgers Michael Spindelegger.

Kurz‘ Sprachrohr?

Schallenberg ist kein Mann der ersten Reihe. Nun Kanzler zu sein, sei eine Ehre, „die ich mir nie erwartet hätte, und die ich mir auch nie gewünscht habe“, sondern vielmehr eine Pflicht, um „das Regierungsschiff wieder in ruhige Gewässer zu bringen“, wie er in seinen ersten Interviews betonte. Pflichterfüllung statt Ehrgeiz.

Ob ihm das gelingen wird? Das wird vor allem davon abhängen, wie sehr er sich vom umstrittenen Ex-Kanzler Kurz lösen können oder eben nur sein Sprachrohr sein wird. Es ist derzeit die Kernfrage der österreichischen Politik: Wie eng wird Schallenberg mit Kurz zusammenarbeiten? Wird Kurz wirklich zum „Schattenkanzler“, wie es die Opposition kritisiert? Schallenberg gilt als enger Vertrauter von Kurz, ohne jedoch in die aktuelle Affäre um frisierte Umfragen und Inseratenkorruption verwickelt zu sein.

„In der Migrationspolitik bin ich ein Überzeugungstäter“

In seinen ersten Statements als Kanzler ließ er keine Zweifel daran, dass er Kurz die Treue hält. Er werde selbstverständlich „sehr eng“ mit Kurz zusammenarbeiten, immerhin zieht sich Kurz nicht aus der Politik zurück, sondern bleibt ÖVP-Bundesparteiobmann und wird zudem Klubobmann im Parlament. Schallenbergs Loyalitätsbekundungen fielen so deutlich aus, dass sie selbst Politik-Beobachter überrascht haben. Er halte die Vorwürfe gegen Kurz für „falsch“, sagte Schallenberg in seinem ersten offiziellen Statement als neuer Kanzler. Als wäre es nicht einzig und allein die Sache einer unabhängigen Justiz, diese Frage zu klären.

Überhaupt ist Schallenberg, obwohl Diplomat, zuletzt nicht mit sanften Tönen aufgefallen. Insbesondere, was die harte Flüchtlingspolitik der ÖVP angeht, die sich nur noch unwesentlich von jener der rechtspopulistischen FPÖ unterscheidet. „In der Migrationspolitik bin ich ein Überzeugungstäter“, sagte Schallenberg einmal in einem Interview. Man müsse die Taliban „an ihren Taten messen“, sagte er zuletzt zum Thema Afghanistan und sprach sich dagegen aus, Flüchtlinge von dort aufzunehmen. Genauso, als es um die Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger aus dem niedergebrannten Flüchtlingslager Moria ging: „Das Geschrei nach Verteilung kann nicht die Lösung sein.“

Fauxpas als Außenminister

Der vierfache Vater wird als umgänglich und diskutierfreudig beschrieben. Ein eigenständiger Akt abseits der Parteiräson wird ihm nachgesagt, weil er 2019 nach dem Ibiza-Skandal in der Übergangsregierung zum Außenminister wurde – ein Schritt, dem ihn so mancher ÖVP-Politiker übel genommen haben soll, immerhin stürzte Kurz zuvor über einen Misstrauensantrag. Ein Amt, das er dann aber auch unter der nächsten ÖVP-Regierung mit den Grünen behielt.

Ein Bereich, in dem Schallenberg mehr Akzente setzen könnte, ist die EU-Politik. Seine erste Auslandsreise führt ihn am heutigen Donnerstag nach Brüssel. Als Kurz zuletzt mehr Fairness für Ungarn und Polen forderte, rückte Schallenberg aber nicht etwa zur Verteidigung des EU-Wertegerüsts aus, sondern klang eher wie ein treuer Parteisoldat: „Kein Rechtsstaat ist perfekt.“ Als Außenminister leistete er sich auch einige Fauxpas wie etwa im Frühling, als er – inmitten einer Gewalteskalation im Nahen Osten – auf dem Ministeriumsgebäude die israelische Flagge hissen ließ, was zu internationalen Protesten führte.

Ist Schallenberg nur der Platzhalter für Kurz bis zu den nächsten Wahlen? Ein Übergangskanzler? Zumindest die mächtigen ÖVP-Bundesländerchefs stellen sich hinter den neuen Kanzler. „Schallenberg ist keine Schachfigur, die man hin und her schiebt“, sagte Hermann Schützenhöfer, der steirische Landeshauptmann. „Er wurde nominiert, weil er als konsensfähiger und harmonieorientierter Politiker mit dem Koalitionspartner die drängenden Zukunftsprojekte der Regierung weiterführen soll.“ Kurz? Seine Rückkehr als Spitzenkandidat hält er nur noch für „theoretisch“.

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