Streit um rechtsextreme Wissenschaftlerin - Die Stipendiatin mit der Hakenkreuzflagge

Das Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen erkannte einer ukrainischen Wissenschaftlerin ihr Stipendium ab. Zum Verhängnis wurde ihr ihre Tätigkeit in der rechtsradikalen Szene. Doch ausgerechnet Rechtsextremismusforscher kritisieren die Entscheidung.

Olena Semenjaka
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Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Wenn es um den wissenschaftlichen Dialog zwischen Ost- und Westeuropa geht, ist das unabhängige Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien eine Institution. Seit seiner Gründung im Jahre 1982 fördert es den geistigen Austausch zwischen Ost und West, zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sowie zwischen einer Vielzahl von Disziplinen und Denkrichtungen.

Auf diese Weise hat sich das IWM zu einem Zentrum intellektuellen Lebens in Wien entwickelt“, rühmt sich das Institut auf seiner Internetseite. Jedes Jahr begrüßt das unter anderem vom österreichischen Bildungsministerium, seinem polnischen Pendant und dem tschechischen Außenministerium finanzierte Institut rund 100 Fellows und Gäste, die dort forschen. „Wissenschaftliche Fragestellungen auf der einen und praxisbezogene Projekte auf der anderen Seite sollen sich wechselseitig Impulse geben“, schreibt dazu das IWM.

Die First Lady des ukrainischen Nationalismus

Eine der Wissenschaftlerinnen, die vom Januar bis zum Ende Juni dieses Jahres Stipendiatin des IWM sein sollte, ist die Ukrainerin Olena Semenjaka. „Jan Patočka über Ernst Jüngers Dialektik der Aufklärung und »Europa nach der Ukraine«“, hieß das Forschungsprojekt, das im Rahmen des „Ukraine in European Dialogue“-Programms des IWF mit einem monatlichen Stipendium in Höhe von 1.800 Euro ermöglicht werden sollte. Ein Vorhaben, das für das IWM noch aus einem anderen Grund wie gemacht ist. Zu den wissenschaftlichen Schwerpunkten des Instituts gehört auch die Arbeit des tschechischen Philosophen und Dissidenten Jan Patočka.

Doch die 1987 geborene Olena Semenjaka ist nicht irgendeine talentierte Nachwuchswissenschaftlerin aus der Ukraine. Vielmehr bekannt ist die junge Dame als „First Lady des ukrainischen Nationalismus“, wie der französische Rechtsextremismusforscher Adrien Nonjon sie in einem Beitrag bezeichnete. Und dies nicht ohne Grund. Semenjaka ist eines der Vorzeigegesichter des rechtsradikalen Asow und seines politischen Arms, des „Nationalen Korps“. Bei Asow, einem 2014 entstandenen paramilitärischen Freiwilligenbataillon, das vom US-Außenministerium als „nationalistische Hassgruppierung“ eingeordnet wird, ist Semenjaka verantwortlich für internationale Beziehungen.

Das Netzwerk der Olena Semenjaka  

Und wie gut vernetzt Semenjaka mit der rechtsradikalen Szene ist, zeigen ihre Kontakte. Sie hielt Vorträge bei den „Jungen Nationalisten“, der Jugendorganisation der NPD. Ebenfalls zu Gast war sie in der Adam-Kuckhoff-Straße in Halle, wo die Identitäre Bewegung ein Wohn- und Veranstaltungshaus betreibt. Für ihre Idee eines Bündnisses rechtradikaler Gruppen mit Azow und der Ukraine als Zentrum dieses Bündnisses, warb sie auch beim III. Weg, ebenso wie bei der neofaschistischen Casa Pound in Italien.

Zu ihren international agierenden Bekannten gehört auch Denis Nikitin. Der in Köln-Chorweiler aufgewachsene und nun in der Ukraine lebende Russe heißt eigentlich Denis Kapustin und entwickelte sich mit seinem Kampfsport-Label „White Rex“ von einem Fußball-Hooligan zu einer festen Größe im internationalen Rechtsextremismus. Jüngste Recherchen offenbarten enge Beziehungen zwischen Asow und militanten rassistischen Milizen aus den USA. Und auch hier spielte Semenjaka eine zentrale Rolle.

Sofort reagiert

Die große Frage ist, wie der Jury des IWM, die über das Stipendium entschieden hat, Semenjakas Tätigkeit für Asow unbemerkt bleiben konnte. Für Experten, die sich mit dem Land beschäftigen, ist die 33-Jährige keine Unbekannte. Im Internet dauert es nur wenige Minuten, um Informationen über Semenjakas Kontakte zu der rechten Szene zu sammeln.

Das Institut hat aber sofort reagiert, als am Montag in den sozialen Netzwerken auf die politische Tätigkeit Semenjakas hingewiesen wurde und dazu auch ein Foto verbreitet wurde, das sie und weitere Frauen mit erhobenem Arm und einer Hakenkreuz-Flagge zeigt. Noch am selben Tag gab das IWM bekannt, dass es Semenjaka das Stipendium aberkannt hat und löschte zudem alle Informationen über seine Kurzzeit-Stipendiatin von seiner Internetseite. „Ihre Tätigkeit in rechtsextremen Gruppen, die darauf abzielen, Hass zu verbreiten, Gewalt zu fördern und unsere Gesellschaften zu spalten, entspricht nicht der Mission des Fellowship-Programms oder des Instituts“ heißt es in einer Stellungnahme, in der auch Konsequenzen angekündigt werden, um zukünftig solche Situationen zu vermeiden.

Ein Fall von Cancel Culture? 

Eine Entscheidung, die jedoch nicht von allen begrüßt wird. Der schon erwähnte Adrien Nonjon, der Semenjaka als „First Lady des ukrainischen Nationalismus“ bezeichnet hatte, verwies darauf, dass sie nun Konsequenzen aus ihrer politischen Tätigkeit trage, er selbst aber die Aberkennung des Stipendiums für einen Fehler halte, da sie dieses für ihre wissenschaftliche Arbeit erhielt. Ähnlich äußerte sich auch der russische Rechtsextremismusforscher Wjatscheslaw Lichatschew. Der Ukrainer Anton Schechowzow, einer der bekanntesten Experten für die rechtsradikale Szene in Osteuropa und selbst ehemaliger Stipendiat des IWM, sprach gar von „Cancel Culture“.

„Meine Kritik basiert auf meinem Verständnis des Liberalismus. Ich bin der festen Überzeugung, dass es der Zugang zu Wissen und akademischen Studien ist, der die liberale Kultur selbst unter den Illiberalen fördert, anstatt diesen zu leugnen. Es ist eine Aufgabe liberaler akademischer Institutionen, liberale Werte zu stärken“, erklärt Schechowzow gegenüber Cicero, der für seine Kritik selber zum Teil hart angegangen wurde. „Der Tag, an dem wir glauben, dass der Zugang zu akademischen Studien nur Liberalen vorbehalten ist, wird der Tag sein, an dem der Liberalismus stirbt“, so Schechowzow weiter.

Darf man Rechtsextreme einfach ausschließen? 

Der international bekannte Forscher, der ebenfalls darauf hinweist, dass die Jury Semenjakas Forschungsprojekt am überzeugendsten fand und deshalb ihr das Stipendium zusprach, verweist noch auf einen anderen Aspekt. „Was machen wir mit rechtsextremen Menschen? Schließen wir sie einfach für immer von unserer Gesellschaft aus? Mein Standpunkt ist, dass jeder Mensch in radikalen Bewegungen einen Ausweg haben sollte“, erklärt Schechowzow. Die Aberkennung des Stipendiums  sendet für ihn die Botschaft an  Ausstiegswillige aus der rechten Szene: Sie sind hier nicht willkommen. „Meiner Meinung nach ist es das Gegenteil von dem, was eine liberale Gesellschaft braucht, das Gegenteil von sozialem Zusammenhalt“, erklärt Schechowzow.

Es ist eine Meinung, mit der man nicht einverstanden sein muss. Doch es ist eine Meinung über Liberalismus und Extremismus aus Osteuropa, mit der man sich auseinandersetzen sollte. Auch dies gehört zu einem Dialog zwischen West und Ost.

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