Nordkorea-Krise - Auf der Schwelle zum Dritten Weltkrieg?

Nordkorea testete erstmals den Start einer Interkontinentalrakete, die USA lassen Bomber üben. Was die gegenwärtige Krise so gefährlich macht, liegt auch an der Geltungssucht der Staatsmänner Kim Jong Un und Donald Trump. Den USA bleiben fünf Optionen – ideal ist davon keine

Ein offizielles Bild des nordkoreanischen Staates vom Test einer Interkontinentalrakete / picture alliance
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Autoreninfo

Rudolf Adam war von 2001 bis 2004 Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes. Von 2004 bis 2008 leitete er als Präsident die Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Er ist Senior Advisor bei Berlin Global Advisors. Foto: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

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Das Auf und Ab von Krise und Wiederannäherung zwischen den USA und Nordkorea ist nichts Neues. Weshalb ist die gegenwärtige Situation besonders gefährlich? Zwei Entwicklungen fließen im Moment zu einer explosiven Mischung zusammen: Erstens: Nordkorea nähert sich überraschend schnell der Fähigkeit, nukleare Sprengköpfe mit Interkontinentalraketen bis in die USA zu tragen. Zweitens: Mit Kim Jong Un und Donald Trump stoßen zwei Protagonisten aufeinander, die sich an Geltungssucht in nichts nachstehen. Trump kennt nur Gewinner und Verlierer und will unter keinen Umständen verlieren. Kim Jong Un schürt eine aggressive Kriegspropaganda, die die USA als Erzfeind darstellt und damit jede Verständigung eigentlich unmöglich macht. 

Die USA halten Nordkorea für einen „Schurkenstaaten“. Unter Bill Clinton entstand die Hoffnung, Nordkorea werde bald zusammenbrechen und es werde von innen heraus zu einem Regierungs- und Politikwechsel kommen. Diese Hoffnung hat getrogen. Die Dynastie der Kims ist fest etabliert. Selbst der junge Kim Jong Un, der mit 27 Jahren 2011 an die Spitze von Staat und Partei trat, hat sich behauptet. Nordkoreas Wirtschaft ist rückständig, aber robust.

Nukleare Ambitionen

2003 kündigte Nordkorea seine Mitgliedschaft im Nichtverbreitungsvertrag, dem es 1986 auf Drängen der Sowjetunion beigetreten war. 2006 zündete es den ersten nuklearen Sprengsatz und deklarierte sich selbst zur Atommacht. Inzwischen sind weitere Nukleartests erfolgt. Parallel dazu entwickelt Nordkorea mit Hochdruck seine Raketentechnologie. Verfügte es vor 15 Jahren nur über Kurzstreckenraketen mit Reichweiten von etwa 500 km, wurde vergangene Woche eine Rakete getestet, die eine interkontinentale Reichweite (über 5.500 Kilometer) hat. Fraglich bleibt, wie zuverlässig dieses Trägersystem funktioniert und ob Nordkorea einen nuklearen Sprengsatz bauen kann, der auf die Spitze einer solchen Rakete passt. Nordkorea verfügt über kein globales Aufklärungssystem. Es müsste Ziele suchen, die kartographisch bekannt sind. Nordkorea dürfte gegenwärtig über etwa 20 nukleare Sprengkörper verfügen. 

Mit seinen gegenwärtigen Fähigkeiten könnte Nordkorea konventionell 40 Prozent der südkoreanischen Bevölkerung unter Beschuss nehmen, darunter die Hauptstadt Seoul. Japan muss damit rechnen, in einem koreanischen Konflikt ebenfalls Ziel nordkoreanischer Vergeltungsaktionen zu werden.

Beide Länder verlassen sich auf Sicherheitsgarantien der USA. Deshalb führt die amerikanische Regierung die Front gegen Nordkorea an. Denn an sich stellt das nordkoreanische Arsenal keine unmittelbare Bedrohung der USA dar. Amerikanisches Territorium könnte mit Raketenabwehrsystemen gegen einzelne Interkontinentalraketen geschützt werden. Die USA haben regionale Raketenabwehrsysteme in Südkorea stationiert. Es bleiben jedoch Zweifel, ob diese Systeme im Ernstfall tatsächlich alle anfliegenden Raketen abwehren könnten. Vor allem bleiben sie wirkungslos gegen konventionelle Artillerie. Der US-Verteidigungsminister James Mattis hat zu Recht bemerkt, ein Krieg in Korea bedeute „the worst kind of fighting in most people‘s lifetimes“. 

Regimewechsel in Pjöngjang?

Die USA haben seit langem keinen Zweifel daran gelassen, dass sie in Nordkorea auf einen Regimewechsel zielen. Atom- und Raketenprogramme gelten ihnen als unzulässig. Die Vereinten Nationen haben Nordkorea wiederholt verurteilt. Scharfe Wirtschaftssanktionen sollen Nordkoreas Leistungsfähigkeit schmälern.

Nordkorea hingegen sieht die massive militärische Präsenz der USA in Südkorea als Bedrohung. Vor allem hat Nordkorea die Rhetorik der USA zum Regimewechsel im Iran und in Syrien und das Vorgehen gegen Saddam Hussein und Ghaddafi genau verfolgt. Es hat gelernt, dass nur äußerste Abschreckungsdrohungen eine Weltmacht wie die USA von einer Invasion abhalten können. Die USA glaubten, Probleme im Irak und Libyen militärisch lösen zu können. Sie haben dadurch das Problem mit Nordkorea weiter verschärft. Kim Jong Un sieht im Atomwaffen- und Raketenprogramm die einzige Rückversicherung für sein Leben und den Bestand seines Staates. Nordkorea ist eine Armee, die sich ein Land hält. Es ist durch und durch militarisiert, das Militär hat höchste Priorität. Ein Militärstaat braucht als raison d‘être eine ständige äußere Bedrohung. Die kriegerisch  Propaganda Nordkoreas ist eher Zeichen seiner Schwäche; ohne sie wäre die ständige Kriegsbereitschaft nicht aufrecht zu erhalten. Was die Vereinten Nationen als „Provokationen“ verurteilen, sind aus der Sicht von Pjöngjang notwendige Verteidigungsmaßnahmen zum Erhalt der eigenen Abwehrfähigkeit.

Iran als Nordkoreas nuklearer Partner

Beunruhigend ist die Geschwindigkeit, mit der Nordkorea technische Fortschritte erzielt hat. Pakistan hat mehr als drei Jahrzehnte benötigt, um sein Atompotential aufzubauen. Nordkorea hat es in zehn Jahren geschafft. Das lässt darauf schließen, dass Nordkorea ausländische Hilfe erhalten hat. Abdul Qadir Khan, der „Vater“ der pakistanischen Atombombe, hat Nordkorea wichtige Baupläne und Komponenten zukommen lassen. Diese Verbindung ist 2004 mit dem Auffliegen von Khans geheimen Transfers abgebrochen. Wichtigster Partner Nordkoreas dürfte seither der Iran sein, der ebenfalls mit Nachdruck an Atomwaffen- und Raketenprogrammen arbeitet und mit Nordkorea in tiefer Feindschaft gegenüber den USA verbunden ist. Fraglich bleibt, ob auch Russland geholfen hat und noch hilft. 

Verbal haben Russland und China die Kritik an Nordkoreas Nuklear- und Raketenprogramm in den Vereinten Nationen mitgetragen. China ist jedoch nicht bereit, Nordkorea lebenswichtige Unterstützung zu entziehen. China will kein nukleares Nordkorea. Allerdings wird diese Sorge überlagert von dem dominierenden Interesse, eine Präsenz der USA an der eigenen Grenze unter allen Umständen zu verhindern. 1952 trat China in den Koreakrieg gegen die USA ein, weil diese an den Grenzfluss Yalu vorgestoßen waren. Nordkorea ist für China ein unersetzlicher Puffer gegenüber den USA. Russland hat 1946 die Kim-Dynastie begründet. Es hat immer noch enge, vielfältige Beziehungen zu Nordkorea. Jeder Konflikt in und um Korea muss mit diesen beiden Mitspielern rechnen. Hinzu kommt, dass Japan sich unmittelbar von Nordkoreas Raketenprogramm bedroht sieht. Das Sechser-Format der Gespräche (Nord- und Südkorea, USA, Japan, China, Russland), die von 2003 bis 2007 stattfanden, trug dem Rechnung. 

Fünf schlechte Optionen

Bisher haben die USA versucht, die Entwicklungen in Nordkorea zu behindern und zu verlangsamen. Es wird ihnen nicht gelingen, sie zu stoppen oder gar umzukehren. Das ist es aber, was Trump noch Anfang des Jahres großspurig verkündet hat: „It won‘t happen“ twitterte er über eine Bedrohung der USA durch nordkoreanische Raketen. Jetzt ist genau dieser Fall eingetreten. Einige Monate später twitterte er von einem „major, major conflict“ und entsandte einen Flugzeugträgerverband nach Korea. 

Die Optionen der USA sind beschränkt und allesamt nicht ideal: 

1. Sie können den Druck weiter verstärken und erneut verhandeln, letztlich aber die Entwicklungen hinnehmen und Südkorea und Japan mit Raketenabwehrsystemen ausrüsten. Das Problem dabei liegt in der nicht erwiesenen Zuverlässigkeit derartiger Systeme. Schon eine einzige Lücke könnte katastrophale Folgen haben. Eine solche Lösung würde Trump zum Verlierer machen, der seinen markigen Worten und Drohgesten keine Taten folgen lässt und in der Sache nichts erreicht.

2. Die USA könnten versuchen, China zu weiterreichenden Wirtschaftssanktionen zu bewegen. China hat bereits die Annahme von nordkoreanischer Kohle verweigert und dem Land damit eine wichtige Einnahmequelle genommen. China wird jedoch niemals die Stabilität seines Nachbarn in Frage stellen. Auch Russland wird kaum bereit sein, seinen Druck auf Nordkorea so weit zu erhöhen, dass er existenzbedrohend wird. Beide Nachbarn wollen die Nuklearisierung der Region verhindern, nicht jedoch die geopolitische Lage verändern. Die Existenz Nordkoreas als Puffer gegen die pazifische Präsenz der USA hat für beide höchste Priorität.

3. Die USA könnten eine Seeblockade gegen Nordkorea verhängen. Abgesehen davon, dass die Landübergänge zu China und Russland davon nicht betroffen wären, würde dies eine gewaltige Operation von Marine und Luftwaffe erfordern und dennoch schwerlich sämtlichen Schiffsverkehr unterbinden. Es wäre eine völkerrechtlich fragwürdige Maßnahme, die weder von China noch von Russland widerspruchslos hingenommen würde. Die USA würden damit riskieren, Hungersnöte und den wirtschaftlichen Zusammenbruch Nordkoreas auszulösen. Nordkorea würde dies vermutlich als kriegsähnlichen Angriff auf seine Existenz betrachten und entsprechend reagieren. 

4. Die USA haben schon vor mehr als 20 Jahren die Option erwogen, durch Luftschläge die nordkoreanische Rüstungsindustrie zu zerstören. Das Problem einer solchen Option liegt darin, dass die wichtigsten Elemente der nordkoreanischen Rüstungsindustrie unterirdisch und damit schwer zu treffen sind und dass die materielle Zerstörung nicht das Know-How in den Hirnen der Experten vernichtet. Nordkorea würde nach einem solchen Schlag keine Kosten scheuen, seine Rüstungsindustrie so rasch wie möglich wieder aufzubauen. Wer den Wiederaufbau Deutschlands nach der totalen Zerstörung seiner Industrie im Zweiten Weltkrieg vor Augen hat, weiß, dass materielle Zerstörung bestenfalls zu Verzögerungen, nicht aber zur Aufgabe dieser Programme führen wird. Nordkorea wird versuchen, solch einem Angriff zuvorzukommen nach dem Prinzip: „use them or lose them“.

5. Bleibt als letzte Option die Invasion Nordkoreas mit dem Ziel, das Regime zu stürzen. In diesem Fall wird Nordkorea sein gesamtes Militärpotential zu seiner Verteidigung einsetzen. Es wird sich nicht bloß zu verteidigen, sondern wird Ziele in Südkorea und Japan angreifen. Südkorea hat zwar ein weitreichendes Zivilschutzprogramm, ein Artilleriebeschuss Seouls würde jedoch ein unvorstellbares Chaos auslösen und hohe Opfer fordern. Viele Tausende Tote, zerstörte Städte und ein Kollaps der Wirtschaft wären die Folge. Es wäre ein Konflikt, der wesentlich härter, blutiger und vernichtender wäre als der erste Koreakrieg. Zudem werden China und Russland es nicht tatenlos hinnehmen, dass die USA ihre Präsenz bis an ihre Grenzen vorschiebt. Sie werden auch bei einem begrenzten Militärschlag schwerlich passiv bleiben. Südkorea wird alles daran setzen, eine solche Option zu vermeiden. 

USA und Nordkorea in der Krisenspirale 

Beide Seiten liefern sich eine Eskalation von Kriegsrhetorik und Drohgesten. Beide wollen keinesfalls als leere Prahler entlarvt werden und ihr Gesicht und ihre politische Autorität verlieren. Mit jedem Tag fällt es schwerer, aus dieser Spirale auszusteigen oder sie gar zurückzudrehen. Kim Jong Un hat durch riskante Operationen wiederholt gezeigt, dass er nicht davor zurückschreckt, sein Militär einzusetzen. Er war bereit, sein Volk hungern zu lassen, um sein Militärprogramm voran zu treiben. In die Ecke getrieben und vom Verlust seiner Position bedroht, wird er nicht zögern, alle verfügbaren Gewaltmittel einzusetzen.

Die Hoffnung, dass das Militär gegen ihn revoltieren könnte, hat getrogen und wird weiter trügen, denn ein Regimewechsel würde auch das Ende des nordkoreanischen Militärapparats bedeuten. Kim Jong Un wird sein Atom- und Raketenprogramm nicht aufgeben. Für Trump ist die Aufgabe dieser Programme jedoch Kernforderung. Er hat sich selbst unter Erfolgsdruck gesetzt. Er muss entweder eine Militäroperation riskieren oder hinnehmen, sich als Loser verspotten zu lassen, der vollmundigen Ankündigungen keine Taten folgen lässt.

Die USA stehen vor einem schwer lösbaren Dilemma. Es geht nicht nur um Nordkorea, sondern um die Zukunft der nuklearen Nichtverbreitung. Gelingt es Kim Jong Un, ungestraft davon zu kommen, wird der Druck, sich ein eigenständiges Nuklearpotential zuzulegen, auch in anderen Weltgegenden steigen. Vor allem, wenn die Sicherheitsgarantien der USA in Zweifel geraten. In Deutschland werden entsprechende Stimmen bereits laut. Eine weitere Zunahme von Nuklearwaffenstaaten würde das globale Machtgleichgewicht tiefgreifend verändern und das Risiko, dass diese Waffen auch eingesetzt werden, erheblich erhöhen. Die Welt steht vor einer Entscheidung, die bis weit in die Zukunft die globalen Macht- und Sicherheitsstrukturen prägen wird.
 

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