Niederlande - Was die Wahl über Europa sagt

Droht nach dem Brexit der Nexit? Markus Jachtenfuchs erklärt, warum das Anti-Europa-Programm von Geert Wilders PVV so viel Erfolg hat in einem Land, dem es wirtschaftlich gut geht und das wie kaum ein anderes auf die EU angewiesen ist

Wer hat am Ende den Hut auf? / picture alliance
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Autoreninfo

Markus Jachtenfuchs ist Professor of European and Global Governance an der Hertie School of Governance. Sein Forschungsinteresse gilt in erster Linie der Untersuchung des Mehrebenensystems der politischen Steuerung innerhalb der EU sowie im System der internationalen Politik.

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Den USA wird oft vorgeworfen, von der Welt und selbst von großen Verbündeten wenig zu verstehen. Aber auch in Deutschland weiß man kaum, wann in kleinen Nachbarländern Wahlen stattfinden oder, worum es dabei geht. Das ist jetzt anders: Die niederländischen Wahlen wirken wie eine wichtige Landtagswahl, die Ausdruck über die Stimmungslage gibt und vielleicht die Kräfteverhältnisse in ganz Europa ändern könnte.

Das ist ein gutes Zeichen, denn es zeigt, dass die EU zusammenwächst und miteinander diskutiert. Es ist auch ein Zeichen dafür, dass sie nicht nur aus Tagungen des Europäischen Rates besteht, bei denen die Staats- und Regierungschefs augenscheinlich nur mit und für ihre eigenen Landsleute kommunizieren. Es ist ein Zeichen dafür, dass es eine europäische Öffentlichkeit gibt, obwohl in der EU mehr als 20 Sprachen gesprochen werden und die Medienlandschaft weitgehend national bleibt.

Wilders und das Establishment

Es zeigt aber auch, wie schwer es ist, sich von den Vorstellungen des eigenen politischen Systems zu lösen, wenn man die Entwicklungen in einem Nachbarland diskutiert. Wenn in Deutschland eine Partei die Wahlen gewinnt, dann hat sie Anspruch auf die Kanzlerschaft. Noch mehr gilt das für Großbritannien. Wenn in den Niederlanden eine Partei die Wahlen gewinnt, dann heißt das lediglich, dass sie die meisten Stimmen hat. Das niederländische System kennt viele und relativ kleine Parteien. Kompromiss und Verhandlungen, Konsens und Kooperation sind wichtig für die Regierungsbildung. Geert Wilders lehnt das ab. Mit dieser Anti-Establishment-Haltung gewinnt er Stimmen und reduziert gleichzeitig seine Chancen auf Regierungsverantwortung. Vielleicht will er auch gar nicht regieren. Aber auch die meisten der übrigen Parteien erteilten einer Koalition eine Absage.

Damit zeigt Wilders die gleiche Verantwortungslosigkeit wie die Rechtspopulisten in Großbritannien, wo Nigel Farage am Tag nach dem Brexit-Referendum erklärte, sein politisches Ziel sei erreicht und er könne nun zurücktreten. Die eigentliche politische Herkulesarbeit, einen Austritt aus der EU ohne massiven Schaden für Großbritannien zu erreichen, bleibt für das so heftig kritisierte politische Establishment übrig. Aus Farages Sicht war das klug, weil man nur verlieren kann, wenn die realen politischen und wirtschaftlichen Probleme kommen. Viele Freihandelsabkommen sind schnell gefordert. Sie abzuschließen dauert etwas länger.

Auch Wilders wirbt für den Austritt aus der EU. Dass die großen und mächtigen USA Protektionismus und Souveränität betonen und sich aus internationalen Abkommen zurückziehen, ist zumindest nachvollziehbar, auch wenn man diese Position nicht teilt. Für das mittelgroße Großbritannien ist das schon schwerer vorstellbar. Für die kleinen Niederlande wirkt es nur noch absurd. Es gibt ja bereits Staaten, die diesen Weg vorgehen: Norwegen und die Schweiz. Deren Situation ist ganz einfach: Sie sind existentiell auf den Zugang zum größten Markt der Welt angewiesen und erhalten ihn, indem sie sämtliche Regelungen der EU übernehmen, ohne bei ihrer Verabschiedung irgendwie mitwirken zu können. Sie können sich noch nicht einmal über das vermeintliche Demokratiedefizit der EU beklagen, weil ihre eigenen Parlamente die EU-Regeln durchwinken müssen.

Schutz gegen die Macht der Großen

Man sollte sich hier nicht von düsteren Verfallsprognosen täuschen lassen. Die EU ist weiterhin eine wirtschaftliche Supermacht und sie nutzt diese Macht aus. Für die nationale Souveränität kleiner Randstaaten bleibt da nicht viel übrig. Trotzdem haben die kleinen Staaten die EU immer als Schutz gegen die Macht der großen Staaten gesehen.

Aber warum hat ein solches Programm so viel Erfolg in einem Land, dem es wirtschaftlich gut geht und das keine vernünftige Option außerhalb der EU hat? Ein Grund dafür ist sicher, dass der alte Mechanismus immer noch funktioniert: Alles Gute kommt von zu Hause, alles Schlechte kommt aus Brüssel. Ein anderer ist die Alternativlosigkeit, mit der wirtschaftliche Globalisierung und europäische Integration lange präsentiert wurden. Alternativlosigkeit mag niemand – und so entstehen am Ende doch Alternativen, selbst wenn es schlechte sind.

Europäische Konflikte

Der Hauptgrund aber ist, dass sich die politische Konfliktlage in Europa langsam und grundlegend verschiebt. Neben den klassischen Links-Rechts-Konflikt tritt zunehmend der Konflikt zwischen internationaler Öffnung und nationaler Schließung. Der macht es für Parteien auf der linken Seite schwerer als für Parteien auf der rechten. Sahra Wagenknecht, Die-Linke-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, versucht es zwar, aber noch ist ihren Wählern eine restriktive Asyl- und Migrationspolitik sowie die Betonung nationaler Sonderregeln schwer zu vermitteln. Auf der rechten Seite ist das einfacher. Deshalb gibt es keinen starken Links-, dafür aber einen starken Rechtspopulismus in Europa. Der gewinnt Zulauf, indem er auf die durch Migration entstehenden Probleme hinweist, ohne die Kosten für die propagierten Lösungen bezahlen zu müssen.

Die Wahl in den Niederlanden ist deshalb Teil eines großen Konflikts in Europa, der sich schon lange anbahnte und nicht so schnell verschwinden wird. Das heißt nicht, dass der Rechtspopulismus langfristig auf der Gewinnerseite ist. Der Aufwärtstrend bei den niederländischen Grünen und der Zulauf für den französischen Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron in Frankreich zeigen beispielhaft, dass die Gegenposition sich nicht zu verstecken braucht, wenn sie den politischen Kampf aufnimmt und sich nicht von Untergangsszenarien lähmen lässt.

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