Niederlande - Die falsche Strategie

Kolumne: Grauzone. Dem Rechtspopulismus von Geert Wilders stellte Premier Mark Rutte im Wahlkampf einen Populismus der Mitte entgegen. Das ist nicht ungefährlich. Denn es führt zu einer Sinnentleerung des Politischen, die Wählerschaft und Establishment noch weiter voneinander entfremdet

Der Medienhype um Geert Wilders steht in keinem Verhältnis zu seiner Bedeutung / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Die Erleichterung über das schlechte Abschneiden von Geert Wilders Einmannpartei PVV war am Donnerstagmorgen geradezu mit Händen zu greifen. Von einem „Sieg der Vernunft“ sprach Spiegel-Online, die Süddeutsche sah „ein gutes Zeichen für Europa“, und der übermäßiger Gefühlsausbrüche ansonsten unverdächtige Kanzleramtsminister Peter Altmaier ließ sich sogar hinreißen, einen alten niederländischen Stadien-Song zu zitieren: „Nederland oh Nederland jij bent een kampioen!“

Doch gerade die Euphorie, mit der das niederländische Wahlergebnis aufgenommen wurde, hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Denn sie unterstreicht eindrucksvoll, wie sehr es derzeit selbst bizarren Gestalten gelingt, die politische Agenda zu bestimmen – mit tatkräftiger Unterstützung der Medien natürlich.

Hype und Wirklichkeit

Wer die Berichterstattung über den niederländischen Wahlkampf in den letzten Wochen mitverfolgt hat, musste den Eindruck gewinnen, der Urnengang hätte nur einen einzigen Sinn: über Geert Wilders abzustimmen.

Wie im Rausch drehte sich das Medienkarussell um einen Mann, der von 87 Prozent der Niederländer nicht gewählt wurde. Mit anderen Worten: Der Medienhype und das Getöse um Geert Wilders stehen in keinem Verhältnis zu seiner Bedeutung. In anderen Ländern verhält es sich in vergleichbaren Fällen ähnlich. Dass solch eine verzerrte Darstellung der politischen Wirklichkeit langfristig der demokratischen Kultur gut tut, darf bezweifelt werden.

Rutte als Wilders-Verhinderer

Die Eindimensionalität, mit der sowohl der Wahlkampf als auch sein Ergebnis in den Medien kommentiert wurden, zeigt sich auch daran, dass Mark Rutte im Wesentlichen auf seine Rolle als Wilders-Verhinderer reduziert wurde. Dabei hat Rutte, nicht zuletzt dank seiner liberalen Wirtschaftspolitik, durchaus Erfolge vorzuweisen. Den Niederlanden geht es wieder gut, die Arbeitslosenquote sank von 7 Prozent im Jahr 2013 auf nahezu 5 Prozent. Die Staatsverschuldung wurde auf beinahe 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gedrückt. Das Wirtschaftswachstum lag zuletzt bei etwa 2 Prozent. Von diesen Werten können andere Länder nur träumen.

Doch all das hätte Rutte nichts genützt. Gerettet hat ihn schließlich ein gefährliches Manöver, das so oder ähnlich auch in anderen Ländern zu beobachten ist: Mit tatkräftiger Unterstützung der Medien entpolitisierte er die Wahl, indem er sie personalisierte und zur Schicksalswahl hochstilisierte.

Die Rechnung ging auf. Rutte konnte den Urnengang für sich entscheiden, weil er die einfache Frage stellte: Der oder ich? Dem Populismus der Ränder stellte er einen Populismus der Mitte entgegen. Das ist ein Stück weit verständlich, ungefährlich ist es jedoch nicht.

Sinnentleerung des Politischen

Was droht, sind sich gegenseitig aufschaukelnde Effekte aus Politikverdrossenheit und Entpolitisierung: Auf die Enttäuschung der Bürger über die etablierten Parteien reagieren diese mit der Schaffung ideologischer Feindbilder, programmatischen Vereinfachungen und Personalisierung. Diese Sinnentleerung des Politischen führt zu einer weiteren Entfremdung zwischen Wählerschaft und politischem Establishment. Die Kluft zwischen den Erwartungshaltungen an die Politik und den hilflosen Reaktionen der Parteien wird immer größer.

Verstärkt wird dieses Phänomen verhängnisvollerweise dadurch, dass die Sehnsucht der Wähler nach programmatischer Klarheit und politischer Gestaltungskraft sie in die Arme immer kleinerer Parteien treibt. Die sind zwar in der Lage, sehr konkrete politische Bedürfnisse maßgeschneidert zu bedienen – durchsetzen können sie diese aber nicht.

Politische Paralyse

Paradoxes Ergebnis: Der Wunsch nach einer möglichst konturierten Politik führt über die damit verbundene Zersplitterung des Parteiensystems zu Koalitionen aus drei, vier oder mehr Parteien. Die politischen Handlungsräume werden eng, die Politik verliert endgültig jede Gestaltungskraft. Die Wahrscheinlichkeit, dass aus dieser destruktiven Dynamik früher oder später antiparlamentaristische Parteien erwachen, ist nicht eben gering.

Wenn nicht alles täuscht, werden die Wahlen in den Niederlanden in vielerlei Hinsicht die Blaupause sein für die europäischen Urnengänge in den nächsten Jahren. Mit dem Ergebnis, dass die Sehnsucht nach politischer Gestaltung in die politische Paralyse führt. Verhindern lässt sich diese Entwicklung nur, wenn wir lernen, die begrenzten Handlungsmöglichkeiten der Politik ebenso zu akzeptieren wie ihre zunehmende Unfähigkeit, Durchsetzungsstärke zumindest zu simulieren.

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