Die Nato und China - Der systemische Rivale

2019 hatte Frankreichs Präsident Macron die Nato noch „hirntot“ genannt. Joe Biden hat das Militärbündnis wiederbelebt. Beim ersten Nato-Gipfel mit dem neuen US-Präsidenten war der Kampf gegen China ein Schwerpunkt. Warum gilt seine Politik auch militärisch als Bedrohung?

Sicherheitsbeamte nahe des Tiananmen-Platzes in Peking /dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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In Brüssel holte Präsident Biden die Innenpolitik wieder ein. Wie er den Verbündeten in der Nato Vertrauen in die amerikanische Außenpolitik vermitteln könne, da die USA so tief gespalten seien, wurde er gefragt. Das ist die größte Hypothek von Bidens Europatour, dessen Treffen mit der EU die vierte Etappe ist. Den Verbündeten das Engagement der USA erneut zu versichern und gleichzeitig sichtbar die Führungsrolle in der Gruppe der Demokratien zu übernehmen, ist Bidens Hauptaufgabe. Bisher hat er sie tadellos umgesetzt.

So wurde jetzt auch beim Nato-Gipfel in Brüssel die Richtung aufgegriffen, die zuvor mit Großbritannien und auf dem G7-Gipfel eingeschlagen wurde. Die demokratischen Staaten werden von den USA in die Position manövriert, Chinas Streben nach internationaler Dominanz auszubremsen, indem die eigenen Fähigkeiten verstärkt werden sollen. Technologische Führung, produktionsstarke Unternehmen, Unabhängigkeit von Lieferungen aus gegnerischen Staaten. Dazu werden demnächst die globalen Lieferketten überprüft.

Manöver weisen nach Peking

Dabei ging die Nato einen Schritt weiter als die G7. Die G7 hatte auf diesem Feld vor allem die B3W (Build back better world) initiiert, so etwas wie die „Entwicklungsstraße der Demokratien“, die ein alternatives Angebot zur chinesischen Neuen Seidenstraße darstellen soll. Selbst Bundeskanzlerin Merkel, deren Politik der Unbestimmtheit nunmehr an der neuen amerikanischen Außenpolitik bricht, stellte ja fest: „China betreibt erfolgreiche Infrastrukturpolitik“. Nach nur acht Jahren – seit 2013 werden von China in diesem Rahmen Projekte finanziert – kamen die Spitzen der westlichen Politik zur Erkenntnis, dass man Ähnliches auflegen könnte. Die Innovationszyklen sind in unterschiedlichen Branchen doch sehr unterschiedlich. Jetzt immerhin geschieht es und wurde aus Peking ja sogleich bitter kommentiert: Da versuche eine Clique von Staaten ihre Werte durchzusetzen.

Im Nato-Abschlusskommuniqué wird China nun deutlicher adressiert als zuvor. Schon in Punkt drei der 79 Punkte umfassenden Erklärung wird es prominent genannt, wenn auch direkt hinter Russland. Denn für viele Nato-Staaten liegt der Fokus der Bedrohungswahrnehmung weiterhin auf Russland. Die gemeinsamen Manöver, die China mit Russland abhielt, weisen aber auch nach Peking. Seit dem ersten Manöver 2005 hat sich die militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und China intensiviert. Seit 2012 findet sie auch zur See statt. Inzwischen sind es mehr als 30 gewesen, auch wenn sich beide Staaten nicht gegenseitig in ihre militärischen Gefahren – die Ukraine im Westen, Taiwan im Osten – ziehen lassen wollen. China sei, so heißt es heute bei der Nato, ein systemischer Rivale, der die regelbasierte internationale Ordnung herausfordert (Punkt 55 der Erklärung). Chinas Verhalten stehe in Kontrast zu den Werten, die dem Washingtoner Vertrag zugrunde liegen.

Revolutionäre Macht

Übersetzt heißt das: China ist eine revolutionäre Macht. Das Land will nicht mehr in der bestehenden internationalen Ordnung agieren, sondern eine andere Ordnung aufbauen. Dieser Anspruch Chinas ist nicht neu. Bis 2035 soll er durch Führerschaft in vielen technologischen Forschungsbereichen und den daraus resultierenden Handelsaktivitäten umgesetzt werden. Parallel werden die Streitkräfte kräftig aufgerüstet. Schon heute hat China zahlenmäßig die größte Marine, hält zwei Millionen Soldaten unter Waffen, beherrscht mit Abwehrraketen das südchinesische Meer und intensiviert den Aufbau eines nuklearen Arsenals. Auch Chinas Desinformationskampagnen werden von der Nato angesprochen, wie überhaupt dem Thema Cyber sehr viel Platz eingeräumt wird. Darüber hinaus beunruhigt, dass China inzwischen Zugriff auf Infrastruktur in Europa hat und an kritischer Infrastruktur beteiligt ist, beispielsweise an Häfen. Dass sein Militär in der Lage ist, Satelliten zu zerstören, wurde schon vor Jahren bewiesen.

Der französische Präsident Macron hatte die Nato 2019 noch „hirntot“ genannt. Präsident Trumps Ignoranz brachte das Bündnis an die Klippen des Abgrunds. Mit der Ausarbeitung einer neuen Strategie, in der die veränderten Prioritäten reflektiert werden, wird die Nato nun zu einem Brennpunkt, an dem die Interessen der Mitgliedstaaten gebündelt und aufeinander abgestimmt werden. Das wird ruppig. Doch Präsident Biden hat bisher in ruhiger Art die Verschiebung der Prioritäten kommuniziert. Das Ziel, die internationale Dominanz Chinas zu verhindern, ist an die erste Stelle getreten.

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