Flüchtlingslager Moria - Bitte nicht nochmal wie 2015!

Der Brand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos muss zur Folge haben, dass Deutschland vor Ort hilft. Das heißt aber nicht, dass sich 2015 wiederholen darf. Doch dazu könnte es kommen, wenn die Aufnahme von Menschen nun auf kommunaler oder auf Landesebene entschieden wird.

Demonstration für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Es geht schon wieder los. Als hätte 2015, das exakt fünf Jahre her ist, nie stattgefunden. Hamburg bietet an, Flüchtlinge aus dem abgebrannten Lager in Moria auf Lesbos aufzunehmen. Nordrhein-Westfalen auch. Die Landesfürsten und Bürgermeister in Deutschland sind damit gerade dabei, den verheerenden Fehler zu wiederholen, den die Bundeskanzlerin 2015 gemacht, nie eingestanden aber doch abgeräumt hat mit dem Satz: 2015 darf sich nicht wiederholen. 

Genau. Deshalb dürfen jetzt auch nicht der Schultes von Schützenweiler und der Ortsvorsteher von Kleinkleckersheim die europäische Migrationspolitik in die Hand nehmen. Sondern die Europäische Union. Subsidiarität ist eine gute Sache, und man kann nach unten abgeben, was nach unten abgegeben werden kann in die nächst kleinere Gebietskörperschaft.

Kein zweites deutsches Solo

Aber dieses Thema ist ganz oben aufzuhängen. Schön, wenn Kommunen jetzt schon signalisieren, dass sie Menschen aufnehmen können. Das sollen sie auch melden. Aber nicht einfach selbst handeln. Das ist ebenso verheerend wie die private Seenottrettung im Mittelmeer. Die einfache Aufnahme der Flüchtlinge von Lesbos nach dem Brand in Moria hätte die gleichen Folgen wie Merkels unbedachtes „Wir schaffen das“ 2015. Eine ungeheure Sogwirkung. Und einen Nachahmungseffekt.

Deshalb: Bitte so nicht. Bitte nicht noch ein deutsches Solo mit verheerenden Folgen in alle Richtungen. Wohlfühlen mit Teddybären am Münchner Hauptbahnhof ohne einen einzigen Gedanken an das Danach. Sondern ein systematischer und kühl rationaler Ansatz. Konkret: Jetzt sofort das THW, Container und Zelte und alles an Hilfe und Material aus Deutschland und anderen EU-Staaten nach Lesbos. Diesen Menschen muss sofort geholfen werden. Und den Griechen auch. Das geht. Das geht bei Naturkatastrophen auch. 

Nothilfe und gemeinsames Zukunftskonzept

Das ist das eine: Die akute Nothilfe nach einer Katastrophe wie diesem Brand. Darüber hinaus muss endlich und sofort ein gemeinsames europäisches Vorgehen nach vorne organisiert werden. Konkret:

Asylcheck der Migranten vor Ort, am besten in den Startländern, sonst in Moria und entsprechenden Lagern (zwei Drittel der Migranten haben keinen Anspruch auf Asyl). Ein sofortiges Ende der privaten Seenotrettung von Kirchen und NGOs und Übernahme der Seenotrettung als hoheitliche Aufgabe einer europäischen Küstenwacht. Verteilung der anerkannten Asylbewerber auf alle europäischen Staaten nach Maßgabe der jeweiligen Möglichkeiten. „Wir“ schaffen das. Ja. Aber nur gemeinsam europäisch. Das „Wir“ ist Europa.

Gemeinsam von Anfang an

2015 ist viel kaputt gegangen. Durch das deutsche Solo und hinterher die ebenso verzweifelte wie vergebliche Forderung, andere Länder sollten doch bitte Flüchtlinge abnehmen. „Ce n'etait pas nous qui avaient dit: venez!“ sagte damals nicht Viktor Orbàn, sondern der französische Premier Manuel Valls: „Wir haben nicht gesagt: kommt!“ Ende der Debatte.

Deshalb bitte dieses Mal: Gemeinsam von Anfang an. 2015 darf sich wirklich nicht wiederholen. Das hält Deutschland, das hält die Europäische Union ebenso wenig aus wie die Wirtschaft einen zweiten Corona-Lockdown. Es wäre an Angela Merkel, sich daran zu machen, ihren zweiten historischen Satz (2015 darf sich nicht wiederholen), in die Tat umzusetzen. Es würde ihre Fehlleistung 2015 nicht tilgen und die Folgen nicht verschwinden lassen. Aber ein Stück weit wieder gutmachen.

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