Medienreform „Operation Attack“ - Wie Boris Johnson die BBC entmachten will

Boris Johnson und seinem Chefberater Dominic Cummings ist die BBC schon lange ein Dorn im Auge. Jetzt wollen sie die Rundfunkanstalt, die Vorbild für die öffentlich-rechtliche ARD war, zu einer Art Netflix umbauen. Von den 61 Radio- und zehn Fernsehsendern soll nicht viel übrigbleiben.

Premierminister Boris Johnson hat es auf den Nachrichtensender BBC abgesehen / picture alliance
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Die Bombe wurde bereits 2004 gelegt, dürfte aber jetzt erst hochgehen. „Drei Dinge müsste die Rechte schaffen: Die Glaubwürdigkeit der BBC unterminieren; ein Equivalent zu FoxNews entwickeln und politische Werbung im Fernsehen erlauben.“ So dachte Dominic Cummings in einem Blog für seinen damaligen Thinktank New Frontiers Foundation darüber nach, wie die Macht des staatlichen Fernsehens gebrochen werden könnte.

Die nach den Statuten unparteiliche BBC war ihm schon damals ein Dorn im Auge. Sechzehn Jahre später ist Dominic Cummings als Chefberater von Boris Johnson in Downing Street angekommen. Der Spindoktor hatte erst 2016 die Brexitkampagne erfolgreich gemanagt, indem er den Slogan „Take back control“ erfand. Die Briten stimmten für den Brexit. Dann führte er seinen Kandidaten zu einem überwältigen Triumph bei den Wahlen am 12. Dezember.

Kommunikation 2020

Jetzt kann er sich mit einem seiner Lieblingsprojekte beschäftigen: Kommunikation 2020, maßgeschneidert. In Downing Street heißt die Sache „Operation Attack“. Der BBC geht es an den Kragen. In der „Sunday Times“ berichtete am 16. Februar Chefreporter Tim Shipman, wie die Pläne für die Entmachtung der BBC genau aussehen: Statt einer – ähnlich dem Mitgliedsbeitrag des ORF – soll die BBC in Zukunft auf ein Abonnement-System umgestellt werden; von den 61 Radiostationen der BBC sollen nur ein paar wenige wie der Klassiksender Radio 3 und der intellektuellere Sender Radio 4 erhalten bleiben.

Auch von den zehn Fernsehsendern sollen nur wenige übrig bleiben. Die BBC-Website soll extrem verschlankt werden. Außerdem sollen BBC-Stars keine lukrativen Nebenjobs mehr annehmen dürfen – wenn, dann sollen sie ihr Honorar spenden. Der einzige Bereich, in den investiert werden soll: Der BBC-World-Service.

Ein neues Umfeld als Herausforderung

All das soll bis 2027 geplant werden. Dann wird die Royal Charter der BBC erneuert. In der BBC ist man besorgt und versucht besonnen auf die Regierungspläne zu reagieren. Man weiß, dass das Umfeld sich geändert hat. „Polarisierende Themen werden immer wichtiger und sie lassen sich nicht entlang der gewohnten politischen Loyalitäten diskutieren.“

„Das hat den Job der BBC schwieriger gemacht“, sagt Gautam Rangarajan, der Strategiechef der BBC, dem Prospect Magazine, „es fühlt sich heute alles persönlicher an“. Kritik erntete die BBC immer schon. Den einen war sie zu freundlich zu Margaret Thatcher, den anderen zu sanft gegenüber Tony Blair. Wie auch bei den staatlichen Fernsehanstalten in Deutschland bedeutet Ausgewogenheit, das Steuerrad auch unter den Angriffen wütender Kritiker auf stetem Kurs zu halten.

Einseitigkeit siegt über Ausgewogenheit

Doch das Umfeld, in dem Medien heute agieren, hat sich geändert. Verstärkt wird dieser Effekt durch die sozialen Medien. Ausgewogene Berichterstattung, zu der die BBC per Statut verpflichtet ist, erscheint vielen Zusehern oder Zuhörern inzwischen zu kompliziert und irritierend, weil sie in ihren Twitter-Blasen oft nur eine Seite des Arguments mitbekommen.

„Die Leute können heute Nachrichten aus anderen Quellen beziehen“, sagt BBC-Nachrichtenchefin Fran Unsworth, „aber nicht nur das. Sie ziehen diese anderen Quellen uns oft vor.“ Seit ihrer Gründung 1922 gehörte die British Broadcasting Corporation zu den angesehensten Rundfunkanstalten der Welt. Sie ist nicht nur die älteste nationale Station, sondern behauptet von sich selbst, immer noch auch jene mit den meisten Angestellten der Welt zu sein.

Netflix und Co als neue Platzhirsche

Seit 1923 gibt es die Lizenzgebühr, die heute 154 Pfund (185 Euro) im Jahr beträgt und die 25, 7 Millionen Haushalte zahlen. Im Februar 2020 musste die BBC allerdings erneut ihren Mitarbeitern ein Sparprogramm verkünden – die Zeiten werden grundsätzlich schlechter. Schon während des Wahlkampfes im Herbst 2019 forderte Boris Johnson die Aufhebung der Lizenzgebühr.

Für den Premier ist sie nicht mehr gerechtfertigt, da andere Fernsehstationen andere Formen der Finanzierung gefunden haben. Hat man früher gefürchtet, dass das Privatfernsehen mit enormen Werbeeinschaltungen das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Bedrängnis bringt, so sind es heute Abonnement-Systeme wie jenes von Netflix, die den Platzhirschen die Zuschauer streitig machen. Wobei sie offenbar bereit sind, sich die Werbefreiheit mit einem Abo zu erkaufen.

Die politische Attacke zielt auf Qualität

Genau darin aber lag für BBC-Fans die Schönheit des Programmes: Es ist von kommerziellen Einflüssen unabhängig und ihre Sendungen werden nicht ständig von Werbeeinschaltungen unterbrochen. Reformbedarf besteht also auf jeden Fall. Doch die jüngsten Attacken auf die BBC dürften einen politischen Hintergrund haben.

Diese populistische Attacke, die von der BBC nur schwer abzuwehren sein wird, zielt genau auf das ab, was die BBC ausmacht: ihre Qualität. Boris Johnson will lieber in selbstgebastelten Videos seine Gefolgschaft direkt ansprechen, als sich den harten Fragen der BBC-Interviewer zu stellen. Vor den Wahlen weigerte er sich zum Beispiel, dem als harten BBC-Interviewer bekannten Andrew Neil ein Interview zu geben.

Keine Strafen mehr für Nicht-Zahler?

Um seine Kritiker zum Schweigen zu bringen, stellt der Premierminister deshalb gleich die Finanzierung der BBC in Frage. Zur Zeit ist die BBC-Gebühr bis 2027 garantiert. Allerdings überlegt die Regierung als erste Maßnahme, die Strafen für Schwarzseher aufzuheben – damit wäre dem Ende der Gebühr die Tür geöffnet, ohne dass das Parlament die Aufhebung beschließen müsste.

In der Radioshow „Today Program“ auf Radio 4 wird seit Jahrzehnten von sechs bis neun Uhr morgens die politische Agenda mit Ministern und Experten diskutiert. Die Moderatoren sind hart, professionell und mächtig. Ausgerechnet dort lancierte Charles Moore am Morgen nach dem Wahlsieg am 13. Dezember die erste Attacke.

Populistische Volten und polarisierende Eiferer

Der konservative Publizist, Kolumnist beim Wochenmagazin „The Spectator“ und Biograf von Margaret Thatcher schoss scharf: „Sie vom Today Program haben die Stimmung im Land nicht verstanden“, schnauzte er den Präsentator an und stellte fest: „Die Lizenzgebühr wird fallen.“ Moore hat darüber zwar nicht zu bestimmen, aber sein Angriff war ein deutliches Indiz dafür, wie weit die Diskussion über die Entmachtung der BBC in manchen Kreisen bereits gediehen ist.

Der von populistischen Volten getriebene Brexitprozess hat das Vereinigte Königreich polarisiert und manche Konservative in Eiferer verwandelt, die – ähnlich wie Donald Trump in Amerika – gegen „die Elite“ und „das Establishment“ wüten. Obwohl sie ihr selbst angehören. Teil der neuen Medienstrategie ist es, dass die Minister von Boris Johnsons Regierung nicht mehr live auf Radio 4 im Today Program auftreten dürfen.

Spin-Doc Dominic Cummings findet dieses Programm besonders despektierlich, weil es – so sein Vorwurf – in einer urbanen Blase agiert und angeblich nichts vom Land versteht. Das Resultat des Minister-Banns hat zwei Effekte: Das BBC-Radioprogramm verliert dadurch an Macht. Und die Minister können den harten Fragen der Journalisten ausweichen. Genau das hatte sich Spindoktor Cummings in seinem Blog im Jahre 2004 vorgestellt: „Minister sollten keine Auftritte im Today Program mehr wahrnehmen.“ Check, done.

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