Medien in Hongkong - Zu bedeutend, zu unbequem

Über Jahrzehnte hat das „Apple Daily“ die Debatten in Hongkong mitgeprägt. Doch seit im einst autonomen Stadtstaat ein neues Sicherheitsgesetz gilt, ist die Arbeit schwierig geworden. Am Donnerstag hatte die Zeitung ihren letzten Tag. Mit ihr verschwindet in Hongkong die Freiheit.

Menschen stehen Schlange, um die letzte Apple-Daily-Ausgabe zu kaufen Foto: Vincent Yu/dpa
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Felix Lill ist als Journalist und Autor spezialisiert auf Ostasien.

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Die Bilder aus Hongkong sind bewegend. Vor einzelnen Verkaufsständen an den Straßenecken stellten sich Hunderte Menschen an und warteten stundenlang, um noch ein letztes Exemplar zu kaufen. Vor dem Redaktionsgebäude versammelten sich Leser, um den Journalisten für ihre Arbeit zu applaudieren, woraufhin diese vom Fenster aus per Smartphone-Blitzlicht zurückgewinkt haben. Es schien, als wäre ganz Hongkong wehmütig. Denn das Apple Daily ist nun Geschichte.

Am Mittwochabend wurden nach Redaktionsschluss die Lichter ausgeknipst, endgültig. Über die 26 Jahre, während derer die auf Chinesisch publizierte Tageszeitung in Hongkong erschienen ist, hat sie Debatten mitgeprägt und angeeckt. Sie hat die Hongkonger Stadtregierung genauso kritisiert wie die Regierung in Peking. Und dies ist der Grund, warum das Apple Daily wohl keinen Platz in den offiziellen Geschichtsbüchern erhalten wird.

Pflichtlektüre der Demokraten

Für den Kampf um die Presse- und Meinungsfreiheit ist das Blatt schlicht zu bedeutend und unbequem gewesen. Vor einer guten Woche wurde das Redaktionsgebäude von der Hongkonger Polizei durchsucht, Führungskräfte wurden festgenommen. Am Mittwoch folgte noch die Festnahme eines Kolumnisten. Der Gründer der Zeitung, der Milliardär Jimmy Lai, wurde schon voriges Jahr festgenommen. Als Hongkonger Behörden kürzlich dann auch Lais Vermögen einfroren, hieß es seitens der Zeitung, man werde nicht mehr lange durchhalten.

Am Donnerstag, dem finalen Erscheinungstag, betrug die Auflage des Apple Daily statt der sonst üblichen 80.000 nun eine Million Exemplare – bei Hongkongs Bevölkerung von 7,5 Millionen eine enorme Zahl. Aber sie dürften sich alle verkauft haben. Denn in der demokratisch gesinnten Szene Hongkongs gehörte das Blatt über ein gutes Vierteljahrhundert zur Pflichtlektüre. Als Hongkongs Regierung im Sommer 2019 ein Gesetz verabschieden wollte, durch das Angeklagte in Hongkong nach Festlandchina hätten ausgeliefert werden können, berichtete die Zeitung über die schweren Proteste auf den Straßen.

Vorwurf der Kollaboration

Kurz darauf traf sich Gründer Jimmy Lai mit dem damaligen US-Außenminister Mike Pence, was der Regierung in China missfiel. Die Kritik in der regierungsnahen „Global Times“: Lai sei ein Verräter und kollaboriere mit fremden Mächten. Dies wurde ein Jahr später illegal, als der Nationale Volkskongress in Peking das „Nationale Sicherheitsgesetz“ für Hongkong verabschiedete. Kritik an der Regierung wurde damit quasi verboten und mit potenziell langen Haftstrafen belegt.

Seitdem hat sich das Klima in Hongkong grundlegend verändert. Eine Demokratie nach westlichen Standards war der bis dato autonome Stadtstaat zwar nie. Aber über die Jahrzehnte unter britischer Herrschaft hatten sich Rechte wie die Presse- und Meinungsfreiheit etabliert. Der Übergabevertrag zwischen Großbritannien und China vereinbarte dann, dass Hongkong für die nächsten 50 Jahre seinen Autonomiestatus behalten würde, nach dem Prinzip: „Ein Land, zwei Systeme“. Das „Basic Law“ von 1997 gab den Menschen auch die Aussicht auf freie Wahlen.

Vorselektion der Wahlkandidaten

Doch über die vergangenen Jahre hat sich immer wieder gezeigt, dass es die Regierung in Peking mit diesen Zusagen nicht mehr sonderlich ernst zu meinen schien. Für die letzte Hongkonger Gouverneurswahl im Jahr 2017 sollten die Einwohner Hongkongs aus Kandidaten wählen, die durch überwiegend pekingnahe Wahlmänner vorselektiert waren. Auf die daraus resultierenden langanhaltenden Proteste folgte dann das Nationale Sicherheitsgesetz.

Die Tausenden Verhaftungen, die es seit Inkrafttreten des Gesetzes vor einem Jahr gegeben hat, haben allmählich auch die mutigeren Kritiker eingeschüchtert. Für Journalisten ist es zusehends schwierig geworden, noch Quellen zu finden, die sich mit Klarnamen zitieren lassen. Zudem wird von Selbstzensur berichtet. Man sei äußerst vorsichtig, wie man welche Art von Kritik ausdrücke, haben Medienschaffende aus Hongkong immer wieder berichtet.

„Zerschlagung der Pressefreiheit“

Dass nun die wichtigste Plattform kritischen Journalismus in Hongkong verschwindet, bezeichnet Christian Mihr, Vorsitzender der NGO Reporter ohne Grenzen, als „die Zerschlagung eines Symbols der Pressefreiheit“. Im internationalen Vergleich der Pressefreiheit ist Hongkong über die vergangenen zwei Jahrzehnte von Platz 18 auf Platz 80 gefallen. Mit den Geschehnissen der vergangenen Wochen dürfte nun ein freier Fall bevorstehen. Und für viele Menschen in Hongkong eine Zeit, in der sie kritische Berichterstattung eher noch aus dem Ausland beziehen können.

Ein Orientierungspunkt hierfür könnte das benachbarte Taiwan sein. Auch dort erscheint eine Ausgabe des Apple Daily. Und die sei finanziell unabhängig vom Mutterblatt in Hongkong, hieß es diese Tage.

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