Martin Schulz und das EU-Parlament - „Wir brauchen keinen Alleinunterhalter als Präsidenten“

Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, fordert die Ablösung des Parlamentspräsidenten Martin Schulz – und kündigt die Nominierung eines eigenen Kandidaten an

Der ewige Präsident? Martin Schulz / picture alliance
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Am 17. Januar 2017 wird das Europaparlament einen Präsidenten für die zweite Hälfte der Legislaturperiode wählen. Im Parlament herrscht eine informelle Große Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten. Eigentlich ist verabredet, dass der Sozialdemokrat Martin Schulz seinen Posten als Parlamentspräsident, den er seit 2012 inne hat, zugunsten eines konservativen Kandidaten abgeben soll. Doch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, selbst ein Konservativer, hat oft betont, wie gern er mit Schulz zusammenarbeite und dass er an ihm festhalten will. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat – zumindest bisher – in der EU auf Kontinuität gesetzt. Doch die Personalie Schulz erregt die Gemüter der konservativen EVP-Fraktion im Parlament. Ihr gehört auch Herbert Reul an, der die CDU/CSU-Gruppe in der EU-Kammer führt.

Herr Reul, Sie haben sich gegen eine neue Amtszeit von Präsident Martin Schulz ausgesprochen – warum?

Das ist relativ einfach. Wir haben im Parlament eine Regel, die heißt: Alle zweieinhalb Jahre werden die Spitzenämter getauscht. Wir haben also eine Rotation. Das war hier immer guter Brauch, und keiner hat das bisher in Frage gestellt. Nach der Europawahl 2014 ist die Amtszeit von Martin Schulz einfach verlängert worden. Das heißt, er hat schon eine Doppelperiode hinter sich und ist aus dieser Regel ausgebüchst. Ursprünglich wollte er sogar gleich um fünf Jahre verlängern.

Wo ist das Problem, es sind doch alle mit ihm zufrieden?

Herbert Reul

Das Problem ist, dass wir eine schriftliche Absprache haben.  Er hat unterschrieben, dass nach zweieinhalb Jahren die andere große Fraktion am Zuge ist. Insofern ist klar, dass diesmal wir dran sind, und dass dann auch alle Sozialisten unseren Kandidaten wählen.

Und wenn nicht?

Ich gehe davon aus, dass Martin Schulz ein Ehrenmann ist und sich an Absprachen, die er selber getroffen hat, auch hält. Wenn nicht, dann ist eben das Tischtuch zerschnitten.

Heißt das, dass die informelle Große Koalition im Europaparlament beendet wäre?

Das müssen die Fraktionen selbst wissen, ob sie das wollen. Ich glaube jedenfalls nicht, dass die Große Koalition nur deshalb arbeitsfähig ist, weil es Martin Schulz gibt. Ich glaube, dass das Manfred Weber, unser Fraktionsvorsitzender, und Gianni Pitella, Fraktionsvorsitzender der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten, auch ohne ihn können. Ich fange immer dann an zu zweifeln, wenn einer glaubt, er allein könne das Abendland retten. Dann schnappt einer meistens über, und das ist gefährlich.

Nun gibt es aber ein Problem: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich für den Verbleib von Schulz ausgesprochen…

Genau. Doch es geht Herrn Juncker nichts an, um es deutlich zu sagen, denn er ist Vorsitzender der Kommission, und nicht Mitglied des Parlaments. Die Parlamentarier sind alle Manns und Frau genug, um selbst zu entscheiden, wen sie zum Präsidenten wählen. Das nennt man auch Trennung der Gewalten. Ich käme ja auch nicht auf die Idee zu sagen, wen Herr Juncker einstellen soll.

Ist das eine Mehrheitsmeinung in der EVP-Fraktion, haben Sie das schon so offen angesprochen?

Ja. Ich trage das seit Monaten vor in der Fraktion und in der CDU/CSU-Gruppe, auch im Präsidium der CDU Deutschland. Mir hat bisher noch niemand widersprochen.

Und was passiert, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel sich für Schulz ausspricht? Ist das denkbar?

Es ist alles im Leben denkbar. Wenn Angela Merkel eine andere Auffassung hat, dann würde ich sagen, dass ich die Sache mit Martin Schulz oft genug in ihrer Anwesenheit vorgetragen habe, und es gab keinen Widerspruch. Ich erzähle es immer wieder, damit keiner sagen kann, er hätte es nicht gewusst. Wenn jetzt jemand auf die Idee kommt, den Kurs zu ändern, dann tut’s mir leid: Es ist zu spät – und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Wen hätten Sie denn am liebsten als Nachfolger für Schulz?

Ich habe keinen Favoriten. Wir brauchen eine qualifizierte Person, die öffentlich wirksam ist wie Schulz und das Parlament führen kann. Ich würde mir wünschen, dass sie auch die Fraktionen zusammenführen kann und nicht so ein Einzelkämpfer ist. Wir brauchen keinen Präsidenten, der Alleinunterhalter ist. Sondern jemand, der sich als Spitzenmann unter Gleichen versteht. Wenn der Neue das besser machen würde, dann könnten wir nur gewinnen.

Er oder sie muss nicht unbedingt Spitzenkandidat in der Europawahl gewesen sein, wie Schulz?

Darf er, muss er aber nicht.

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