Lockdown am Ballermann - „Kinder und Betrunkene kann man nicht händeln“

Weil sich Urlauber nicht an die Corona-Regeln hielten, wurden einige Kneipen am Ballermann wieder geschlossen. Carsten Schulz arbeitet seit 20 Jahren als Koch auf Mallorca. Er wirft der Inselregierung vor, sie habe die Exzesse eskalieren lassen, um einen Stopp durchzusetzen.

Förmlich überrannt: Die Kneipen in der Bierstraße wurden wieder geschlossen / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Carsten Schulz ist in Hannover aufgewachsen. Seit 20 Jahren lebt er auf Mallorca. Derzeit arbeitet er als Koch in dem Restaurant „12 Apostel“, das direkt am Ballermann liegt. 

Herr Schulz, die Regierung der Balearen hat den Ballermann für zwei Monate geschlossen. Hat Sie die Entscheidung überrascht?
Ja, klar. Das war über alle überraschend. Es sind drei Straßen gesperrt worden. Die Bierstraße, die Schinken Straße und die Punta Ballena in Magaluf. Wir sind geschockt.

Wenn man sieht, wie Touristen dort am vergangenen Freitag gefeiert hat, ist man eher beruhigt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat schon besorgt gefragt: Kann sich Mallorca ein zweites Ischgl leisten?
Nein, aber das Verbot der Inselregierung kam so unvermittelt. Wenn man Fehler macht, kriegt man eigentlich erstmal eine Verwarnung. Man kann auch ein Bußgeld verhängen. Den Wirten aber von heute auf morgen die Existenzgrundlage zu entziehen, ist nicht der richtige Weg.

Aber zu feiern, als wäre nichts gewesen, ohne Abstand und Maske und mit Kampfsaufen aus dem Fünf-Liter-Eimer, das ist doch kein Kavaliersdelikt.
Es war das erste Mal, dass die Insel nach der Coronakrise wieder ein bisschen gelebt hat. Die Bilder, die ich gesehen habe, geben kein Verbot her. Ich habe den Eindruck, viele waren inszeniert. Was da angeblich passiert sein soll, kann auch nicht passiert sein.

Aber man sieht, wie Menschen zusammen aus demselben Eimer trinken.
Woher wollen Sie denn wissen, dass die sich nicht schon vorher gekannt haben? Ich bin seit 20 Jahren auf Mallorca. Ich würde nicht mit Leuten aus einem Eimer trinken, die ich nicht kenne. Die Touristen waren eben ausgehungert nach Feiern. Die Wirte haben aber aus der Geschichte gelernt.

Was meinen Sie damit?
Jeder hat einen bis zwei Security-Leute dazugenommen, obwohl das gar nicht ihre Aufgabe ist. Die Mitte der Straße gehört der Stadt Palma.  

Wieso hat die Polizei dort am Freitag nicht kontrolliert?
Das fragen wir uns auch alle. Aber die muss ja auch noch die spanischen Kids kontrollieren, die in Industriegebieten und an Stränden ausgelassene Partys feiern – bis sieben, acht Uhr morgens, ohne Masken. Es war aber schon seit Tagen keine Polizei mehr am Ballermann. Die Regierung hat einfach ein Exempel statuiert. Ich glaube, das war ein abgekartetes Spiel.

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Man hat von vornherein vorgehabt, den Ballermann zu schließen?
Ja, es gibt ja schon lange Pläne, den Sauftourismus zu verbieten. Jetzt hat die Regierung einen Grund gefunden.

Im Gegensatz zu Deutschland hat Spanien schon einen harten Lockdown hinter sich. Eine Urlaubsinsel kann sich keinen zweiten Lockdown leisten. Hat die Regierung da nicht eher verantwortungsbewusst gehandelt?
Dass sie „Stopp!“ ruft, ist in Ordnung. Aber warum hat sie die Wirte nicht direkt informiert, sondern gleich ein Verbot verhängt? Die Kneipen und Restaurants machen jetzt für zwei Monate zu. Die Angestellten stehen auf der Straße. Die kriegen jetzt auch kein Geld mehr aus dem Topf, den die Regierung für die Coronakrise eingerichtet hatte. Die rutschen jetzt in die Arbeitslosenhilfe.

Bei der Abwägung, ob sie die Gesundheit der Inselbewohner und Urlauber oder die Existenz der Ballermann-Wirte retten soll, hätte es heißen müssen: Arbeitsplätze first?
Nein, aber man kann diesen Faktor doch nicht ignorieren. Zwei von drei Mallorquinern leben vom Tourismus. Und die Klientel am Ballermann ist eben nicht pflegeleicht. Kinder und Betrunkene kann man nicht händeln.  

Carsten Schulz / privat 

Aber dann ist es doch gut, wenn die Regierung die Notbremse zieht.
Nein, es sind ja nicht alle Ballermann-Urlauber so. Aber an diesem Abend hat es sich eben so ergeben, dass das Publikum sehr jung war. Es war der erste Abend, an dem mehr als zwei Läden in der Bierstraße geöffnet hatten. So etwas spricht sich herum. Die Wirte sind komplett überrannt worden. Und es war kein Polizist da, der dazu beigetragen hätte, die Situation zu entschärfen.

Macht Sie das als Wahl-Mallorquiner nicht wütend, dass die Einheimischen jetzt den Preis dafür bezahlen müssen, dass einige Touristen über die Stränge geschlagen sind?
Nein, die Jugendlichen stehen heute unter ungeheurem Druck. Ich verstehe das, wenn die einfach mal eine Woche Urlaub machen und sich den Kopf freiblasen.

Feiern, bis der Arzt kommt?
Ich glaube, den deutschen Jugendlichen ist diese Gefahr gar nicht so bewusst. Uns Spaniern dagegen schon. Wir haben diese Krise ganz anders erlebt. Wir waren zwei Monate weggesperrt. Wir durften nur zum Einkaufen raus. Da prallen zwei Welten aufeinander.

Was hat das für Sie bedeutet?
Ich habe 50 Tage lang auf das Geld gewartet, das die Regierung Arbeitnehmern gezahlt hat – 80 Prozent meines Gehaltes. Die Miete und die anderen Kosten sind aber weitergelaufen.

War das schwer?
Für mich nicht, im Gegensatz zu den meisten Spaniern besitze ich keine Wohnung oder kein Haus. Aber viele andere mussten schon Kredite hin- und herschieben und mit ihrer Bank verhandeln.

Wie ist das, auf einer Urlaubsinsel im Haus eingesperrt zu sein?
Ach, ich konnte zumindest raus in den Garten. Für mich war es Erholung. Unser Lokal hat das ganze Jahr über geöffnet. Ich hatte den ganzen Winter über gearbeitet.  

Und was haben Sie den ganzen Tag gemacht?
Was man halt so macht. Die Wohnung war nie so sauber wie in dieser Zeit. Es wurde alles gelesen, gespielt und gepuzzelt, was im Schrank stand.

Macht Ihnen die Aussicht auf einen zweiten Lockdown keine Angst?
Warum? Es ist doch noch gar nichts passiert. Die Infektionsrate ist hier niedrig.

Die Inkubationszeit beträgt 14 Tage. Keine Sorge, dass es Sie auch erwischen könnte?
Ach, wissen Sie. Ich war im Februar noch auf dem Kölner Karneval. Ich habe das auch überlebt (lacht).

Tragen Sie eine Maske bei der Arbeit?
Na klar. Die Maske ist jetzt Pflicht. Wenn man als Gastronom ohne erwischt wird, kostet es 3.000 Euro Strafe. Diese Woche ist die Regierung noch kulant. Aber ab nächster Woche wird kontrolliert. Touristen müssen dann 100 Euro bezahlen.

In Ihr Restaurant „12 Apostel“ sind die Touristen gerne vor dem Feiern gekommen. Wieviel Umsatz bricht Ihnen jetzt weg?
Ungefähr 50 Prozent. Es fehlt die Laufkundschaft. Die tausenden Menschen, die sonst auf der Straße sind. Mit dem Ballermann ist es wie mit der Bildzeitung. Keiner hat sie gelesen, aber jeder weiß, was drinsteht. Die Leute, die sich am meisten über den Ballermann aufregen, kennen sich erstaunlich gut damit aus. Die kommen da gerne hin. Die wissen, dass es da lustig ist.

Aber sind die Ballermann-Touristen nicht eine Minderheit auf Mallorca?
Ich schätze, ihr Anteil liegt mindestens bei 25 Prozent. Die durchgeknallten Engländer fahren nach Alcudia und Magaluf, die durchgeknallten Deutschen an die Playa Palma oder nach Cala Ratjada. Es bleiben immer noch 3550 Quadratmeter für Ruhe.

Kann es sich Mallorca nicht leisten, auf den Sauftourismus zu verzichten?
Man darf das nicht unterschätzen. Ein so genannter Party-Tourist hat zwar ein preiswertes Hotel, er gibt aber am Tag genauso viel aus wie ein Golfer: 150 bis 200 Euro. Bei einer Familie mit zwei Kindern, die ein All-Inclusive-Hotel gebucht hat, sind es vielleicht 30 Euro am Tag.

In Ihren Worten schwingt Sympathie für den Ballermann mit.
Ja, ich mag den auch. Nettes Ambiente, schöne Musik, viel Leben. Sie müssen mal sehen, wie es jetzt hier aussieht. Es ist alles tot. Wie im Dezember, nur mit besserem Wetter.

Nervt es Sie nicht, wenn Ihnen die Leute vor den Laden kotzen?
Nein, das habe ich auch schon in Deutschland erlebt.  

Sie kommen aus Hannover. Sind Sie als Tourist auf Mallorca hängengeblieben?
Nein, Kolleginnen von mir sind auf die Kanarischen Inseln ausgewandert. Die haben mich auf den Geschmack gebracht.

Was ist so toll daran, dort zu arbeiten, wo andere Urlaub machen?
Es ist schon ein schönes Leben. Man muss für das gleiche Geld zwar viel mehr ackern als in Deutschland. Aber es ist eine andere Lebensqualität. Die Kunden sind entspannt. Das ist auch für den Gastgeber schön.

Aber wo hört die Urlaubsstimmung auf, wo fängt der Stress mit besoffenen Gästen an?
Da wir ein Speiselokal sind, haben wir meistens schon zu, wenn der Alkoholpegel gestiegen ist.

Ist die Schließung der Bier- und Schinkenstraße jetzt der Anfang vom Ende des Ballermanns?
Nein, es ist zwar ein großer Einschnitt, aber nicht das Ende. Clubs wie der „Bierkönig“ oder der „Megapark“ haben ja keine deutschen, sondern mallorquinischen Eigentümer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich das Geschäft aus der Hand nehmen lassen. Und noch ist ja auch nicht der ganze Ballermann geschlossen.

Aber feiern die Touristen dann nicht einfach in anderen Läden weiter?
Es könnte sein, dass sich die Szene nur verlagert. Es könnte aber auch passieren, dass die Maskenpflicht solche Urlauber abschreckt. In dieser Woche sind schon ganz viele Flüge storniert worden. Vielleicht fahren die jetzt lieber zu Icke Hüftgold an den Goldstrand in Bulgarien. Dort gibt es ja auch schon einen „Megapark“.

Ist das für Mallorca nicht eine gute Gelegenheit, sich neu zu erfinden und den Party-Tourismus zu reformieren?
Ja, aber die Leute, die Mallorca erreichen will, die wollen auch Party haben. Das sind Golfer, die wollen sich nicht mit der Maske ins Restaurant setzen. Die wollen am Strand Champagner schlürfen. Aber das ist ja jetzt auch alles verboten.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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