Libyen-Gipfel in Berlin - XY - ungelöst

Für ihren Libyen-Gipfel bekam die Kanzlerin mehr Lob als Tadel. Dabei hat die Konferenz in der Sache nichts Neues gebracht. Ein Waffenembargo gab es auch vorher schon. Um einen dauerhaften Waffenstillstand durchzusetzen, fehlt Europa etwas Entscheidendes

Blanke Nerven: Kann die Kanzlerin eine 2. Flüchtlingswelle aus Libyen aufhalten?/ picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin u.a. zum politischen Islam und zum Terrorismus.

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Die Libyen-Konferenz in Berlin endete mit meist verhalten optimistischen Kommentaren und mehr Lob als Tadel für die Bundesregierung. Tatsächlich war dies das erste Mal seit langer Zeit, dass Deutschland weithin sichtbar Einfluss auf die Ereignisse in unserer Nachbarregion zu nehmen versuchte – ein Indiz dafür, wie nervös das politische Berlin ob einer neuerlich drohenden Flüchtlingswelle aus Afrika seit einiger Zeit schon ist. Allerdings hat das Treffen noch kein Problem gelöst.

Eine Waffenruhe war schon vorher in Kraft, und es steht in den Sternen, ob diese zu einem länger haltenden Waffenstillstand ausgebaut werden kann. Noch schlechter steht es um die Zusage der auswärtigen Unterstützer der Konfliktparteien, das schon seit 2011 bestehende Waffenembargo einzuhalten. Es gibt keine Veränderung in der aktuellen Situation, die ernsthaft darauf hoffen ließe, dass die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Russland oder die Türkei die Hilfen an ihre Klientel im Land einstellen. 

Traum vom anti-islamistischen Regime

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) glauben, sich in einer existentiellen Auseinandersetzung mit dem politischen Islam in der arabischen Welt zu befinden. Zu diesem Zweck haben sie schon den Militärputsch in Ägypten 2013 unterstützt. Sie sehen in der Einheitsregierung ein Instrument gefährlicher Islamisten und unterstützen General Haftar, von dem sie erwarten, dass er ein stabiles, anti-islamistisches und autoritäres Regime aufbaut, das auch dafür sorgt, dass sich die Instabilität in Libyen nicht negativ auf Ägypten auswirken kann. Ägypten ist lediglich der Juniorpartner der neuen Regionalmacht mit Hauptsitz in Abu Dhabi, verfolgt aber identische Ziele. 

Während die VAE Haftar bereits seit 2014 unterstützen, ist die Türkei eher ein Neuankömmling auf dem libyschen Konfliktschauplatz. Die islamistischen Milizen im Westen wurden in der Vergangenheit vor allem von Katar unterstützt, doch hat die Türkei mittlerweile die Rolle des kleinen Emirats übernommen. Seit Ende 2019 intensivierte sie ihr Engagement, indem sie ein kleines Militärkontingent und mehr als 2.000 syrische Söldner zum Schutz der Einheitsregierung schickte – um so einen Sieg Haftars zu verhindern. Da Libyen auch ein wichtiger Partner für die türkische Energiepolitik ist, hat Ankara kein Interesse daran, gerade jetzt seine Hilfe für Tripolis zu stoppen.

Warum Europa kein starker Akteur ist

Auch Russland ist erst seit kurzer Zeit aktiv. Zwar unterstützt es Haftar bereits länger, doch schickte der Kreml erst 2019 etwa 1.500 russische Söldner nach Libyen, um der ins Stocken geratenen Offensive des Kriegsfürsten gegen Tripolis neuen Schwung zu verleihen. Russland will vor allem als Großmacht anerkannt werden, doch hat es auch ein Interesse an einem stabilen autoritären Regime, das Russland freundlich gesinnt ist. Dieses Ziel hat Putin noch nicht erreicht. 

Und dann gibt es noch den „Generalfeldmarschall“ – der Fantasietitel ist Programm – Haftar selbst, der im Laufe des Jahres 2019 weite Teile Libyens eingenommen hat und glaubt, kurz vor seinem großen Ziel zu stehen, der Machtübernahme in Tripolis. Wenn Abu Dhabi, Kairo und Moskau ihn nicht zwingen, den Krieg zu beenden, dürfte er wenig Interesse an den Vereinbarungen von Berlin zeigen. Dieser kurze Abriss der Interessenlage zeigt schon, wie schwach die deutsche und europäische Position ist, wenn sie ohne die Rückendeckung der USA agieren. Die VAE, Ägypten, Russland und die Türkei nutzen das amerikanische Desinteresse an Libyen und scheuen nicht davor zurück, militärische Lösungen zu suchen. Sie nehmen die USA ernst, nicht aber die Europäer, die kein relevanter sicherheitspolitischer Akteur sind, weil sie ihren Argumenten nicht militärisch Nachdruck verleihen können und das oft gar nicht mehr wollen. 

Europas Sorge vor einem iranischen Atomprogramm 

Dabei ist das bevölkerungsarme und sehr reiche Libyen nur ein Vorgeschmack auf das, was Europa in seiner unmittelbaren Nachbarschaft nach dem Ende der amerikanischen Hegemonie im Nahen Osten in den nächsten Jahren droht. Kaum ein Land an der Gegenküste des Mittelmeeres ist wirklich stabil, fast überall herrschen korrupte Regime, die sich wenig für das Wohl ihrer Bürger interessieren. Die Bürgerkriege im Jemen und in Syrien dauern an, und auch im Irak ist die Situation prekär. Im Hintergrund wächst die Sorge über das iranische Atomprogramm, aus dem sehr schnell ein militärisches werden kann. 

Deutschland wird sich vor den Auswirkungen der kommenden Krisen im Nahen Osten nur schützen können, wenn es seinen diplomatischen Initiativen gegebenenfalls auch Nachdruck verleihen kann. Dazu fehlen aber ein einsatzfähiges Militär und der Wille, es im äußersten Fall auch einzusetzen – und belastbare Beziehungen zu starken Partnern in Europa und der Region. Bis diese Voraussetzungen erfüllt sind, bleiben Deutschland und Europa auf absehbare Zeit militärisch und sicherheitspolitisch von den USA abhängig. Und wenn die USA sich wie in Libyen nicht für die Probleme der Europäer interessieren, dann lösen andere Länder sie in ihrem eigenen Sinne – die VAE, die Türkei, Ägypten und Russland.

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