Leichtathletik-WM in Doha - Die verkauften Spiele

In Doha kämpfen Leichtathleten bei der WM vor leeren Zuschauerrängen unter unzumutbaren Bedingungen. Beim Marathon der Frauen mussten von 68 Starterinnen 30 ärztlich behandelt werden. Die Globalisierung hat eben doch Grenzen. Sportgeist und Euphorie lassen sich nicht einfach exportieren

Am Rande der Erschöpfung: In Doha mussten einige Sportler vor der Hitze kapitulieren/ picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die Fußballweltmeisterschaft des Jahres 2022 wird die erste sein, bei der man Glühwein trinkt und Lebkuchen isst. Zumindest hierzulande, wo im November und Dezember Weihnachtsmärkte sonder Zahl um Kundschaft buhlen. Wenn dann zeitgleich im Emirat Katar Millionäre und solche, die es werden wollen, gegen den Ball treten, wird auch der gutmütigste Fan kapieren, was die Stunde geschlagen hat. Spitzensport unter den Bedingungen der Globalisierung ist Sport als Kulissenschieberei und Imagepflege, ist Brachialökonomie auf dem Rücken der Athleten und der Fans. Die gerade in Katar stattfindende Leichtathletik-Weltmeisterschaft zeigt es überdeutlich: Der Sport verliert seine Seele, wenn er sie an den Teufel Mammon verkauft.

In Katars Hauptstadt Doha findet die WM statt, weil Katar das nötige Großgeld zu spendieren bereit war. Doha setzte sich gegen Austragungsorte in Spanien und den Vereinigten Staaten durch. Um welchen Preis aber? In einem Stadion, das 40.000 Menschen fasst, verlieren sich mitunter lediglich 3.000 Zuschauer. Obwohl dort mit gehörigem Aufwand kommode 25 Grad Celsius hergestellt werden. Draußen, jenseits der Klimaanlage, können es 15 Grad mehr sein – mit entsprechenden Kollateralschäden: Beim Marathon der Frauen mussten von 68 Starterinnen 30 ärztlich behandelt werden. Der ehemalige äthiopische Weltklasseläufer Haile Gebreselassie sagt zurecht: „Menschen, die bei solchen Wetterbedingungen laufen, hätten sterben können“.

Euphorie lässt sich nicht einkaufen

Der Leichtathletikweltverband IAAF unter seinem Präsidenten Sebastian Coe nimmt es nicht nur in Kauf. Er treibt den Ausverkauf der Werte voran, um neue Märkte zu erschließen. Coe war Leichtathlet, ein herausragender Läufer. Umso befremdlicher ist die Geschmeidigkeit, mit der er wie viele andere Funktionäre sich zum Handlanger einer entgleisten Globalisierung macht. Katar, politischer Gegenspieler Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate, braucht die Weltmeisterschaft, um seine Rolle als Global Player zu festigen. Die Leichtathletik braucht Katar nicht. Im Wüstenstaat zeigt sich, dass nicht alles relativ, nicht alles kompatibel, nicht alles für Geld zu haben ist. Wo es keine Traditionen der Begeisterung gibt, lässt sich Euphorie nicht einkaufen. Wo es klimatische Grenzen gibt, sind Ausdauerwettbewerbe ein Hochsicherheitsrisiko. Wo das Geld regiert, hat der Sportsgeist schlechte Karten.

Das eben ist das im Wortsinn falsche Zeichen von Doha: Als wäre die klassische Rhetorik vom fairen Kampf der Besten immun gegen jede Instrumentalisierung. Als wäre der edle Wettstreit der Schnellsten, Geschicklichsten, Kräftigsten eine Erzählung, die keine Umstände zerstören können. Wir sehen die Bilder aus Doha, sehen gestählte Körper, die im Rollstuhl aus dem Blickfeld der Kamera gefahren werden, und wissen sofort: Nein, so ist es nicht. Keine Überschrift rettet diese WM. Kein Appell an den Geist der Völkergemeinschaft mildert die Empörung.

Mär von der Globalisierung

Es war ein Fehler, Leichtathleten nach jahrelanger entsagungsreicher Vorbereitung diesen Strapazen auszusetzen. Es wird ein noch größerer Fehler gewesen sein, 32 Nationen mit ihren Auswahlmannschaften 2022 nach Katar zu entsenden, wo Fußball wenig mehr sein kann als ein geldwertes Importgut. Man hätte den Verlockungen von Scheich Tamim Bin Hamad Al-Thani nicht aufsitzen dürfen. Die Mär von einer Globalisierung, die jeden nationalen oder regionalen Unterschied nivelliert, stimmt eben nicht. Eine Fußballweltmeisterschaft in einem Land ohne Fußballfans muss zum Rohrkrepierer werden.

Leichtathleten vor leeren Rängen sind geduldete, aber keine erwünschten Gäste. Darum zeigen uns die deprimierenden Bilder aus Doha, wie es um unsere Weltgemeinschaft im 21. Jahrhundert bestellt ist. Theoretisch ist alles jederzeit überall möglich, praktisch gibt es Grenzen der Anverwandlung. Kein Fisch wird je zum Hürdenläufer, kein Vogel zieht den Pflug. Wer behauptet, die Welt wäre nur das, was sich rechnet, der irrt. Der Reinfall von Doha bringt uns eine alte Lektion zurück: Keine Kultur lässt sich beliebig verpflanzen. Und wo nur das Scheckbuch herrscht, stirbt jeder Geist, erst recht der Sportsgeist.

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