Krim-Krise - Warum Christian Lindner recht hat

Weil Christian Lindner dafür eintrat, die russische Annexion der Krim-Halbinsel vorerst zu akzeptieren, verurteilen große Teile der Medien und der Politik den FDP-Chef. Die Reaktion ist hysterisch und kurzsichtig. Wer Frieden und Sicherheit will, muss den Weg für politische Lösungen öffnen

Christian Lindner wird als „Putinversteher“ beschimpft. Dabei ist „verstehen“ die Wurzel von Verständigung / picture alliance
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Frank Elbe war deutscher Botschafter in Polen und Indien sowie Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt. Als Rechtsanwalt betreut er heute Mandanten aus allen Teilen der Welt, auch aus Russland.

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Mitten im Wahlkampf hat sich Christian Lindner in einem Interview mit der Funke Mediengruppe deutlich dafür ausgesprochen, wieder Bewegung in das Verhältnis zu Russland bringen zu wollen. Erwartungsgemäß jaulte ein Großteil der Medien und Teile von CDU und SPD auf. Zusammen unterstellten sie Lindner einen „Abschied vom Rechtsstaat“ und bezichtigten ihn, ein „Putinversteher“ zu sein. Diese hysterische Argumentation schloss sich nathlos daran an, womit seit Beginn der Ukraine-Krise jeder Versuch, Bewegung in eine festgefahrene Politik zu bringen, im Keim erstickt wird. Damit ist man auf dem besten Weg, die Entwicklungen in Europa zu versteinern. Manche Journalisten – wie Richard Volkmann von der Bild – müssen die Archive geöffnet haben, um authentisch an den Propagandastil ihrer Berichterstattung zur Zeit des Kalten Krieges anknüpfen zu können.

Muss Russland tun, was Deutschland verlangt?

Doch auch erfahrene Politiker wie Gernot Erler von der SPD, immerhin Russlandbeauftragter im Auswärtigen Amt, lassen sich zu harter Kritik hinreißen. Erler steht in der Tradition der Ost-Politik von Willy Brandt. Er ist Herausgeber eines sehr klugen Buches – „Die Europäisierung Russlands“. Er müsste also besser wissen, wie man mit Russland umgehen kann. Stattdessen setzt er sich Scheuklappen auf und verkehrt die weise Empfehlung von Egon Bahr „Wandel durch Annäherung“ in „Annäherung durch Wandel“. Das bedeutet im Verhältnis zu Russland nichts Anderes, als dass sich in Zukunft nichts bewegen kann, solange Russland nicht genau das tut, was wir in Deutschland verlangen. Dagegen blieb der jüngste Artikel von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble „Der Westen muss auch mit Gegnern kooperieren“ in der Welt weitgehend unbeachtet. Schäuble hatte klar, realistisch und besonnen eine multipolare Weltordnung und einen Dialog mit Putin eingefordert.

Schon Genscher wurde verteufelt

Es gehört zu den Traditionen der Liberalen, zweierlei Maß gut ertragen zu können. Sie sind seit Jahrzehnten daran gewöhnt. Hans Dietrich Genscher forderte 1987 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos die Teilnehmer auf, „Gorbatschow ernst zu nehmen, ihn beim Wort zu nehmen“. Es brach ein Sturm der Entrüstung los, die Geburtsstunde des Begriffs „Genscherismus“. Er zielte darauf ab, Genscher als ein „Weichei“ im Umgang mit der Sowjetunion verächtlich zu machen. Das war natürlich Unsinn, denn die Bereitschaft, die sowjetische Führung beim Wort zu nehmen, sie ernst zu nehmen, war kaum mit einem politischen Risiko für den Westen verbunden, wohl aber für die Sowjets riskant, wenn ihre Taten hinter ihren Worten blieben. Prompt regte sich der sowjetische Botschafter Julij Kwizinski auf: „Genscher will uns vorführen!“

„Genscherismus“ und „Putinversteher“ sind zwei Schuhe desselben Paares. Es sind fiese politische Kampfbegriffe. Sie dienen der Diffamierung. Hinter ihnen steht die mehr oder minder versteckte Absicht, die Meinungsführerschaft einer kleinen Partei zu verhindern, um sie ja nicht größer werden zu lassen. Keine Partei – ob groß oder klein – tut gut daran, sich das Nachdenken über politische Lösungen, die aus einer Sackgasse führen können, verbieten zu lassen.

Geschichte gab „Russlandverstehern“ recht

Offensichtlich haben die Wortschöpfer von „Putinversteher“ übersehen, dass „verstehen“ die Wurzel für Verständnis, Verstand und Verständigung ist. Bei aller Festigkeit in Rechtspositionen ist es geboten, die Prinzipien des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy für seine Gespräche mit dem damaligen sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow während der Kubakrise zu beachten: „Stelle Dich in die Schuhe Deines Gegners und versuche, die Dinge mit seinen Augen zu sehen. Vermeide Selbstgerechtigkeit wie den Teufel. Nichts macht Dich selbst so blind.“

Es war 1987 nicht die Absicht des deutschen Außenministers Genscher, Gorbatschow „vorzuführen“. Er suchte den ernsten Dialog mit der sowjetischen Führung. Die Geschichte hat ihm recht gegeben. Mit seiner Geduld und Festigkeit hat er eine politische Strategie verteidigt, die die größten Veränderungen in der Nachkriegszeit Europas auslösten – ohne auch nur einen einzigen Schuss abzufeuern: die Deutschen erhielten ihre Einheit, der Warschauer Pakt löste sich auf, seine Mitglieder erlangten ihre politische Selbstständigkeit und Russland führte seine in der DDR und Polen stationierten Divisionen heim.

Lindner öffnet Weg für politische Lösung

Christian Lindner stellt sich in die Tradition dieser Politik. Wie es aussieht, hat er seine Äußerung nach vielen Gesprächen mit Mitgliedern des Bundesvorstands getroffen. Es hat mit seinem Stellvertreter Wolfgang Kubicki vertiefende Gespräche gegeben. Man ist sich offenbar einig, dass diejenigen, die nicht bereit sind, sich auf der Grundlage einer bewährten Politik für Frieden und Sicherheit einzusetzen, auch nicht von der FDP umworben werden sollten.

Lindner denkt stringent und folgerichtig. Er erkennt die Annexion der Krim nicht an. Er kapselt sie ein, oder – wie Diplomaten es bei schwierigen Vertragsverhandlungen nennen würden – er „setzt sie in Klammern“. Damit öffnet er vorsichtig den Weg zu einer politischen Lösung. Eine Lösung ist auf rechtlichem Weg allein nicht zu erreichen. Wenn bei einem Wasserrohrbruch das Haus nicht absaufen soll, ruft man den Klempner und nicht den Rechtsberater. Jetzt sind Diplomatie und Politik gefordert.

Es geht zunächst darum, den Verhandlungsprozess des Abkommens Minsk II erfolgreich zu beenden. Da steht nicht nur Russland, sondern auch die Ukraine in der Pflicht. Es ist unredlich, die Sanktionen gegen Russland im Halbjahresrhythmus zu verlängern mit der Begründung, dass die Einhaltung des Waffenstillstands nicht ausreichend gesichert sei und dabei zu übersehen, dass die Ukraine ihren Verpflichtungen aus dem Abkommen nicht nachkommt: in der Ost-Ukraine Selbstverwaltungsrechte zu gewähren und lokale Wahlen abzuhalten.

Geopolitik nach amerikanischem Vorbild ist fatal

Die Alternative wäre, die Ukrainekrise weiter vor sich hindümpeln zulassen, um Russland wegen seines Rechtsbruchs auf Dauer an den Pranger zu stellen und jede Zusammenarbeit mit Russland zu lähmen. In bestimmten politischen Lagern – insbesondere in den USA – erscheint eine solche Lösung leider durchaus attraktiv. Es wäre beunruhigend, wenn die Amerikaner zu Vorstellungen der alten Geopolitik zurückkehren würden. Dass es die Aufgaben der Amerikaner seien, die Ränder Eurasiens zu besetzen und Russland zu beherrschen. Ebenso sind Pläne der Neokonservativen, Russland und Deutschland dauerhaft zu trennen, absurd.

Diese Vorstellungen entsprechen nicht der politischen Ethik Europas. Wir Europäer verfolgen keine geopolitischen Ziele, die zu einer Ausgrenzung Russlands führen sollen. Wir halten uns an die Zielsetzungen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von 1975, der Charta von Paris von 1990 und des Harmel-Berichtes der Nato von 1967, eine „dauerhafte und gerechte Friedensordnung in Europa zu schaffen“. Das mag unter den gegebenen Umständen ein Fernziel sein, aber wir müssen in jedem Fall diesen Weg beharrlich weitergehen. Noch gilt für uns – wie für jeden anderen Bündnispartner – die Verpflichtung der Ziffer 7 des Harmel-Berichtes, sich „nachdrücklich um eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland zu kümmern“.

Wenn sich nichts bewegt, bewegt sich auch nichts zu Gunsten der Menschen in der Ukraine, deren Wohlergehen dem Westen angeblich so sehr am Herzen liegt. Ihre wirtschaftliche Lage hat sich seit Beginn der Krise fortwährend verschlechtert. Es ist Zeit, jedweden politischen Zynismus aufzulösen und den Stellvertreterkrieg in der Ukraine zu beenden.

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