Klimagesetzgebung - Frankreich greift durch

In Frankreich ist jüngst ein Gesetzespaket verabschiedet worden, das den Ökozid, die Schädigung des ökologischen Gleichgewichts, als Straftatbestand festlegt. Die verabschiedeten Klimamaßnahmen könnten zum Vorbild anderer europäischer Gesetzgebungen werden.

Das französische Parlament Foto: Etienne Laurent/dpa
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Alissa Kim Neu studiert Kulturwissenschaften und Romanistik in Leipzig. Derzeit hospitiert sie bei Cicero.

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Im Petit Larousse, einem der wichtigsten Wörterbücher in Frankreich, gibt es seit der Edition von 2020 ein neues Wort: Écocide, auf Deutsch: Ökozid. Damit ist die absichtliche und langfristige Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts durch Umweltverschmutzung gemeint. In Frankreich ist der Ökozid nun auch ein Straftatbestand. Wer also in Zukunft mutwillig und langfristig die Umwelt schädigt, der muss mit einer bis zu zehnjährigen Haftstrafe oder einer Geldstrafe von bis zu 4,5 Millionen Euro rechnen.

Der Ökozid ist Teil eines Gesetzespakets mit dem Ziel, die Treibhausgasemissionen in Frankreich bis 2030 zu reduzieren um 40 Prozent im Vergleich zu 1990; es wurde am Dienstag von Senat und Nationalversammlung bestätigt. Die darin enthaltenen 146 Punkte sehen unter anderem die obligatorische Installation von Solaranlagen bei großen Neubauten und Renovierungen vor, mehr Platz für Teilautos, die Option vegetarischer Menüs in den Universitäts- und Staatskantinen sowie das Verbot von inländischen Kurzstreckenflügen, wenn das Ziel auch innerhalb von zweieinhalb Stunden mit der Bahn zu erreichen wäre. Der französische Premierminister Jean Castex nannte das Gesetz auf Twitter eine Frucht demokratischer Anstrengung mit historischer Schlagkraft. Die Regierung unter Macron könnte damit auch auf einen besseren Ruf beim Klimaschutz hoffen, der im kommenden Wahljahr 2022 eine große Rolle spielen wird.

Eigens gegründeter Klima-Bürgerrat

Inspiriert wurden viele Punkte von den Vorschlägen eines eigens gegründeten Klima-Bürgerrats, den Präsident Macron als Reaktion auf die Gelbwestenproteste 2018 und 2019 ins Leben rief. In diesen Rat wurden 150 Menschen per Los berufen, die in ihrer Zusammensetzung die französische Gesellschaft repräsentieren sollen. Viele Vorschläge des Rats aber wurden für das Gesetzespaket stark abgeschwächt. So fällt der Ökozid nun vielmehr unter den Tatbestand eines Delikts anstatt, wie gefordert, den eines Verbrechens. Auch zentrale Vorschläge wie ein Tempolimit auf den Autobahnen und ein Referendum für das Klima wurden nicht übernommen.

Vielen Politikern geht das Klimagesetz deshalb nicht weit genug und sie bezweifeln die Wirksamkeit der Maßnahmen.„Macrons Engagement ist oberflächlich … es ist nur Gerede, Schall und Rauch. Er belehrt andere, aber in Wahrheit bestehen seine Handlungen in Frankreich den Test nicht“, äußerte sich die Abgeordnete Jennifer de Temmerman gegenüber Politico. Sie war zwei Jahre, nachdem sie in die Nationalversammlung gewählt wurde, aus der Partei Macrons La République en Marche (LREM) ausgestiegen.

Nur ein Anfang?

Der auf Umweltrecht spezialisierte Anwalt Arnaud Gossement äußerte sich gegenüber der Liberation, dass ein Ausbau der französischen Justiz und offizieller Stellen notwendig sei, damit die neuen Maßnahmen überhaupt wirken könnten. Auch auf der rechten Seite begegneten Politiker dem Gesetz skeptisch. Der Republikaner Julien Aubert sprach im Parlament von einem Gefühl großer Unordnung angesichts der verabschiedeten Maßnahmen. 

Zugleich könnte Frankreich nur der erste von vielen Staaten sein, der den Straftatbestand des Ökozids einführt. Auch in Deutschland gibt es eine solche Initiative. Auf europäischer Ebene setzt sich die Stop Ecocide für die Anerkennung schwerer Umweltschädigungen als Verbrechen gegen den Frieden und damit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein. Gegen Ökozid könnte dann vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag geklagt werden. Schon im März schrieben internationale Abgeordnete verschiedener Parteien einen offenen Brief an den Präsidenten des europäischen Rats, Charles Michel, und die Europäische Kommission. Sie forderten das Recht auf eine gesunde Umwelt in Europa und weltweit ein.

Ein neues Bewusstsein

Eine internationale Expertengruppe präsentierte im Juni einen entsprechenden Gesetzesentwurf, der vom Internationalen Gerichtshof übernommen werden könnte. Ökozid wird darin als ein rechtswidriger wie mutwilliger Akt definiert, der mit hoher Wahrscheinlichkeit großflächige wie langfristige Umweltschäden auslöst.

Auch der Straftatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei erst nach langem Kampf eingeführt worden, lautet ein Argument der Gruppe. „Die Übernahme eines Rechtstexts wird nicht verhindern, dass Schlimmes passiert, aber es kann unser Bewusstsein verändern. Es bringt uns dazu, anders über unseren Platz in der Welt und über Umweltschutz durch unsere Gesetze nachzudenken“, erklärte Philippe Sands, Rechtswissenschaftsprofessor am University College London und Co-Vorsitzender der Expertengruppe gegenüber der Brussels Times.

Nötig ist eine Zweidrittelmehrheit

Vorerst braucht es aber erst einmal eine Zweidrittelmehrheit der Mitgliedstaaten, um überhaupt über eine Statusänderung diskutieren zu können. Als Beispiele für mögliche zukünftige Anklagen nannte Sands die Abholzung des Regenwaldes und das absichtliche Ausrotten der letzten existierenden nördlichen Breitmaulnashörner.

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