Karin Kneissl - Die Real-Idealistin

Österreichs Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) weist bislang keine russischen Diplomaten aus. Sie gilt als kundig wie konfliktfreudig – und hat als Quereinsteigerin keine Erfahrung mit echter Politik. Kann das gut gehen? Ein Porträt

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Karin Kneissl liest enorm viel und kann sich in fast jede Materie profund einarbeiten / Stanislav Jenis (picturedesk.com)
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Autoreninfo

Rainer Nowak ist Journalist und war zuletzt Chefredakteur der österreichischen Tageszeitung Die Presse. Foto: Launchy (Nowak)

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Es ist ganz offenbar ein menschliches Phänomen: Rückkehrer haben es schwer in Österreich. Wer einmal die Gruppe, die Gemeinde oder die Organisation verlässt, wird von den Zurückgelassenen meist wenig charmant beurteilt. Karin Kneissl kennt das aus eigener Erfahrung gleich doppelt.

Vor rund 20 Jahren tat Kneissl das, was echte Österreicher nie tun: Sie verließ das Außenministerium und damit eine sichere Beamtenlaufbahn, die in Wien gern „geschützter Bereich“ genannt wird. Warum? Sie hatte die enge Welt des Wiener Außenamts, das nach mehr als 100 Jahren als letzter Rest einer einstigen geopolitischen Großmacht übrig ist, satt. Der Anlass: Kneissl war von ihrem Vorgesetzten gefragt worden, ob sie nicht in die Botschaft nach Madrid wechseln könnte. Immerhin spreche sie doch Italienisch. Aber Kneissl wollte nicht. Sie hatte sich nämlich für die Botschaften in Budapest und Damaskus beworben. Aus gutem Grund: Die studierte Juristin und Arabistin spricht seit ihrer Kindheit Arabisch, Ungarisch lernte sie damals gerade. 20 Jahre später kehrte Kneissl nun zur Überraschung vieler als Parteilose an die Spitze des Außenministeriums zurück.

Kaum ein Thema, mit dem sie nicht vertraut wäre

Dafür hat sie eine andere Welt verlassen müssen, deren Bewohner ebenfalls wenig Verständnis für Überläufer haben. Kneissl wurde in Österreich vor allem als Publizistin, als Buchautorin und Kolumnistin bekannt und bei manchen auch beliebt – unter anderem als Autorin für Cicero. In dem kleinen Land mit seiner überschaubaren Medienszene hatte sie sich durch ihre Arbeit den einen oder anderen Feind gemacht. Denn wenn es um Positionen rechts der Mitte, um Honorare und vor allem um den heiß umkämpften Platz in Zeitungen geht, kennen Journalisten keine Gnade. Zumal Kneissl ihrem jeweiligen Gegenüber oft und gerne das Gefühl gibt, inhaltlich und damit intellektuell überlegen zu sein.

Was übrigens fast immer tatsächlich der Fall ist: Es gibt kaum ein Thema, kaum einen Konflikt und kaum einen Teil der Welt, mit dem Kneissl nicht vertraut wäre; sie liest enorm viel und kann sich in fast jede Materie profund einarbeiten. Karin Kneissl beherrscht mehrere Fremdsprachen fließend, verblüfft Gesprächspartner im arabischen Raum mit Kenntnis von deren Muttersprache, genauso wie sie in Israel mit ihrem Hebräisch glänzt.

Von ÖVP und von FPÖ gleichermaßen geschätzt

Verständnis für fremde Kulturen zu entwickeln, das predigt die Ministerin ihren neuen Mitarbeitern tagein, tagaus. Man müsse „versuchen, sich in die Rolle und das Weltbild des jeweils anderen hinzuversetzen und damit ein Problem besser zu verstehen“. Das klingt schon sehr diplomatisch. Tastsächlich räumt sie selbst ein, anfangs anders aufgetreten zu sein sei. Kneissl gilt nämlich als eine Frau, die sich weder eine Meinung vorschreiben lässt noch einem Konflikt aus dem Weg geht. Kein Wunder, dass viele Beobachter damit rechneten, die Außenministerin würde binnen kürzester Zeit Schiffbruch erleiden in den Untiefen zwischen einerseits der Rechtsaußen-FPÖ und deren Liebe zu Russland, Ungarn oder Serbien sowie der Europapartei ÖVP auf der anderen Seite. Doch bisher umschiffte sie jedes Problem. Bestimmte Themen, etwa die Haltung der FPÖ, wonach der Kosovo zu Serbien gehöre, seien rein mediale Phänomene; in der „echten Außenpolitik“ spiele so etwas keine Rolle.

Womöglich klappt die Zusammenarbeit in der Regierung auch deshalb so gut, weil Kneissl von beiden Parteien geschätzt wird: Tatsächlich hatte auch die ÖVP mit ihr als Quereinsteigerin geliebäugelt, bevor sie schließlich für die FPÖ Außenministerin wurde. Dass sie mit der Regionalbahn statt mit Chauffeur und Dienstwagen ins benachbarte Bratislava reiste, brachte ihr Applaus bei den Boulevardzeitungen. In der EU wiederum weiß man ihre Bemühungen zu schätzen, das europäisch-türkische Verhältnis zu normalisieren, ohne dass dabei jemand sein Gesicht verliert.

Die Flüchtlingskrise trieb sie zur FPÖ

Ihr Interesse für den Nahen Osten ist biografischer Natur und wurde bestärkt durch die Flüchtlingsfrage als zentrales Thema unsrer Zeit. Ihre Kindheit verbrachte die gebürtige Wienerin zum Teil in Amman; König Hussein hatte ihren Vater als Piloten für die jordanische Airline engagiert. Später kehrte Kneissl immer wieder in die Region zurück – als Studentin, als Journalistin und für Vorträge. Die 53-Jährige versteht sich als Realpolitikerin, doch es steckt auch eine Idealistin in ihr. In jungen Jahren war sie Mitglied von Amnesty International und Greenpeace. In die Arme der FPÖ aber hat sie die Flüchtlingskrise getrieben. Als sie in der Presse am Sonntag auf den hohen Anteil junger Männer unter den arabischen Migranten und die testosteronbedingten Implikationen hinwies, brach ein Shitstorm im Internet über sie herein. Heute denken viele wie sie. Nicht zuletzt die Mitglieder der österreichischen Regierung.

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.










 

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